Konsoliderung in der Absatz- und Handelskette – E-Commerce Trend 2011

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Aus der Serie: Carpathia E-Commerce Trends 2011

E-Commerce wird gemäss Wikipedia als elektronischer Handel oder Handelsverkehr übersetzt. Aber wozu braucht es Handel? Eine vereinfachte Erklärung hierzu ist, dass Hersteller und Lieferanten die Zusammenarbeit mit Händlern suchen welche wiederum die Artikel den Endverbrauchern über ein Händler- und Niederlassungsnetz anbieten. Händler sind also in dieser vereinfachten Form dazu da, vor Ort beim Kunden zu sein. Sei es in Form von stationären Ladengeschäften oder einem persönlichen Vertriebsnetz von bspw. Aussendienstmitarbeitern. Selbstverständlich macht der Handel noch viel mehr; von Zollformalitäten, Zwischenlagern, Logistikleistungen, Marketing, Verkaufsförderung bis zu Retouren, Reparaturen u.v.a.

Interessant für diesen Trend ist jedoch der Aspekt des „vor Ort“ seins. Mit dem E-Commerce entfällt dieser. E-Commerce erlaubt grundsätzlich jedem, zum Händler zu werden. Das beginnt bei Privatpersonen die erste erfolgreiche Versuche über Auktions- oder Social-Commerce Plattformen starten und sich dann an einen eigenen Shop wagen.

Das gilt aber zunehmend auch für Hersteller; es ist eine Konsoliderung in der Absatz- und Handelskette festzustellen.  E-Commerce erlaubt es den Herstellern, sich direkt an die Endverbraucher zu richten und damit den Zwischenhandel auszuschalten. Ein Vertriebsnetz „vor Ort“ wird mit dem Onlinehandel obsolet. Dies stellt eine der grössten Herausforderung für die Händler dar.

Folgende zwei Triebfedern stehen hinter diesem Trend:

1. Hersteller Druck

Der Hersteller wird selber zum Händler und spricht direkt den Konsumenten an. Eine der Pioniere in diesem Bereich war sicher HP. Bereits seit vielen Jahren verkauft der Hardware-Hersteller am Fachhandel vorbei direkt. Lange war er aber alleine auf weiter Flur. Vor 2-3 Jahren kamen mit dem Mass-Customizing vermehrt Hersteller auf die Idee, zumindest ein Sortiment direkt den Endverbrauchern anzubieten, was der Fachhandel nur erschwert kann. Massanfertigungen und Individualisierungen. Als Beispiel sei hier Nike-ID erwähnt.

Nun folgt aber die nächste Welle; analog dem stationären Prinzip der Flagship Stores bauen v.a. Markenhersteller ihre virtuellen Onlineverkaufswelten. Kompatibel zu den aktuellen Endgeräten zeigt beispielsweise das Luxuslabel Gucci seine Modewelt und bietet die Artikel auch gleich direkt zum Verkauf an. Es gibt kaum ein Fashionlabel, das in den letzten Monaten nicht seinen eigenen Store eröffnet hat. Auch andere Branchen sind von diesen Phänomen direkt betroffen.

(nicht erwähnt seien hier direkte Vertriebskonzepte à la DELL die von Beginn weg auf den Handel verzichteten, jedoch in jüngster Vergangenheit auch diesen Kanal entdecken)

2.Digitalisierungs Druck

Dir fortschreitende Digitalisierung bringt den Handel ebenfalls unter Druck oder schaltet diesen aus. Musik, Bücher und zunehmend auch Filme werden digital angeboten. Der Handel vor Ort entfällt, der Handel online könnte auch entfallen, denn es braucht ihn nicht mehr zwingend. Auch Plattenlabels, Filmstudios und Verlage können ihre Produkte  am Handel vorbei direkt den Endverbrauchern anbieten. Bei digitalen Gütern wird nicht nur die gesamte Absatzkette zusammen schmelzen, auch die Produktion der Datenträger und Bücher, Logistikleistungen und mehr entfällt komplett. Und dass online problemlos bezahlt werden kann, wissen wir alle.

Die Händler kommen unter Druck – wie geht man damit um?

Die Onlinehändler müssen sich gegenüber dem Endverbraucher unverzichtbar machen und mit Services punkten. Entscheidend wird die richtige Positionierung sein. Johannes Altmann hat verschiedene Tipps für Shops in seinem Artikel für die Internet-World gut beschrieben.

1. Verkaufen Sie zu Preisen, die für den Hersteller akzeptabel sind. Preisdumping ist der sichere Weg zum Rauswurf aus der Belieferung.

2. Viel Umsatz heißt relevante Bedeutung.

3. Eine klare Positionierung und eine verständliche Strategie kann Hersteller überzeugen, dass Ihr Shop ein guter Vertriebsweg ist.

4. Ein gutes Markenumfeld schaffen. Topmarken wollen nur in der Umgebung von Topmarken platziert werden. „Resterampen“-Feeling schadet der Marke.

5. Gutes Verkaufen der Marke. Gute Bilder, hervorragende Beschreibungen in einem professionellen Shop schafft Akzeptanz bei den Herstellern.

6. Sortimentsrelevanz. Hersteller wollen, dass Sortimente vollständig gelistet werden. Nur vereinzelte Produkte sind nicht gewünscht.

7. Lieferfähigkeit und Service. Hersteller wollen nicht Ihr Lager und Fulfillmentanbieter sein. Sie müssen Artikel selbst lagern und einen hohen Service bieten.

Ebenfalls finden sich in Altmanns Artikel auch mögliche Strategien der Hersteller, Interessant hierzu ist v.a. Strategie Nummer 4:

„Online verkaufen darf nur der, der stationär auch einen Laden betreibt.“

Schweizer Onlinehändler haben in jüngster Vergangenheit verschiedentlich den Schritt in das stationäre Geschäft gewagt. Dies widerspricht auf den ersten Blick diesem Trend. Könnte sich jedoch strategisch als korrekt erweisen in einem anderen Zusammenhang. Von der WEKO wird diese Tage noch ein Entscheid erwartet im Zusammenhang mit der Behinderung des Onlinehandels durch Hersteller. Gem. unbestätigten Quellen könnte das Verdikt so ausfallen, dass genau diese Strategie Nr. 4 von den Wettbewerbshütern als Voraussetzung für den uneingeschränkten online Handel definiert wird.



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

3 KOMMENTARE

  1. Ein paar Jahre bleiben dem Onlinehandel sicherlich noch, bis die Hersteller mit Direktvertrieb zur Gefahr für sie werden.

    Immerhin sind Stand heute die wenigsten Hersteller auf das Endkundengeschäft ausgerichtet. Und dies betrifft alle Prozesse, von Logistik über Payment über Customer Service …

    Und solange Hersteller 80 – 90% Ihres Umsatzes über den Fachhandel abwickeln, werden sich diese den Direktvertrieb genau überlegen.

    Allerdings habe ich aus vielen Gesprächen mit Hersrtellern den Eindruck mitgenommen, dass mehr oder weniger alle gerne den Sprung in den Direktvertrieb wagen würden. Allerdings warten sie bis einer anderer diesen Schritt geht und die Prügel dafür einsteckt. 😉

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