Parallelen heutiger E-Commerce Strategien mit den Anfängen des letzten Jahrhunderts

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Die heutige Nachricht über den Tod von Werner Otto inspirierte mich, endlich einen lange angedachten Artikel zu verfassen.

Wenn wir von neuen, wegweisenden Onlinevertriebs-Strategien sprechen, dann stehen disruptive Modelle und Konzepte im Mittelpunkt, die festgefahrene Strukturen aufbrechen. Prozesse werden neu konzipiert, effizienter gestaltet und mehr. Aber wie revolutionär ist das überhaupt?

Nicht erst seit diesem sensationellen Song wissen wir, dass sich die Geschichte wiederholt. Blicken wir also kurz in die 30er und 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts:

In Deutschland waren Visionäre daran, den Versandhandel zu entwickeln. Es waren Protagonisten wie Gustav Schikedanz (Quelle), Josef Neckermann oder eben der kürzlich im Alter von 102 Jahren verstorbene Werner Otto.

In der Schweiz war man gar noch ein paar Jahrzehnte voraus. So soll Ackermann gar der erste Versandhandel weltweit gewesen sein; 1843 als Färberei in Entlebuch gegründet, hat man ab 1871 den Versandhandel als erster systematisch betrieben. Auch Jelmoli war ebenfalls von Beginn weg dabei und versandte 1897 den ersten Katalog. Der Distanzkauf entspricht einem frühen Bedürfnis der Menschheit, ist man fast geneigt zu sagen.

Disruptive Konzepte bereits damals

Und was soll das mit neuen E-Commerce Konzepten zu tun haben? Wenn man genauer hinschaut, ziemlich viel. Nehmen wir einen späteren aber nicht minder revolutionären Pionier in der Schweiz; Gottlieb Duttweiler, Gründer der Migros und mehr.

Er revolutionierte eine ganze Branche. Zwar weniger im Versandhandel selber, jedoch weist sein Vorgehen in den 30er Jahren grundsätzliche Parallelen mit heutigen disruptiven E-Commerce Konzepten auf. Duttweiler brach Strukturen auf und stellte den Kunden in den Mittelpunkt. Er brachte seine Waren zu den Kunden und ermöglichte neue Einkaufserlebnisse. Zudem gelang es ihm als einem der ersten, den Zwischenhandel auszuschalten in dem er seine Ware direkt von den Produzenten zum Kunden brachte.

Er wurde geschnitten und als Verräter verschrien, das Establishment stellte sich gegen ihn. Er war ein Revolutionär und musste in seiner Zeit auf seine Art die Leute mobilisieren. Es gab kein Social Media oder Online-Kommunikationsmittel. Er wusste sich jedoch zu helfen und setzte „seinen Grind“ auch mal mit einem Hungerstreik am Sitz des IKRK durch oder liess sich ins Parlament wählen.

Im Kontext der noch wenig entwickelten Emotionalisierung des E-Commerce, Social Commerce Modellen sowie mangelnden Konzepte für digitale Mütter und Frauen hat Duttweilers Aussage „Der Angriff auf die Hausfrau erfolgt über das Herz!“ schon fast wegweisenden Charakter und nach wie vor Gültigkeit.

Branchen dominieren

Er schaffte, was heutige Modelle von A (wie Amazon) bis Z (wie Zalando) auch anstreben und gelingt. Zur ultimativen Shopping-Destination zu werden. Duttweilers Erfolgsmodell war u.a., dass man sich nicht mehr Gedanken machen musste, wo ich Lebensmittel kaufen sollte. Vorbei die Einkaufsplanung mit Bäcker, Metzger, Gemüsehändler etc.

Heute ist es dasselbe; wer seine Branche dominiert, wird zur ultimativen Anlaufstelle für den jeweiligen Bedarf. Denn damit kann man sich auch dem Konkurrenz- und Preiskampf bis zu einem gewissen Grad entziehen.Wo finde ich Medien in ihrer gesamten Vielfalt? Wohin wende ich mich für Fashionbrands in seiner ganzen Breite und Tiefe?

Heute heissen die intl. Pioniere Bezos (Amazon), Jobs (Apple), Omidyar (eBay) , Mason (Groupon). In Deutschland die Gebrüder Samwer (Zalando und mehr), Köhler (fahrrade.de und mehr), Rooke (Spreadshirt) etc. und in der Schweiz Wanner/Locher (LeShop), Liechti (Blacksocks), Teuteberg/Dobler /Herren (Digitec) und viele andere.

Gemeinsamkeiten gestern, heute und morgen

Allen aber gemeinsam ist, dass sie eine Branche oder ganze Vertriebsmodelle auf den Kopf gestellt haben. Sie haben neue Ansätze gesucht, gefunden und erfolgreich umgesetzt. Sie sind heute da, wo die Pioniere des letzten Jahrhunderts zu ihrer Zeit auch waren.

Das Erbe der Pioniere von damals gibt es heute nicht mehr, kämpft mit Schwierigkeiten oder ist etabliert und schwerfällig.

Auch wenn sich die heutigen Pioniere an den Grundsätzen von früher orientieren und heute (noch) erfolgreich sind, laufen auch sie Gefahr, dass ihr Modell u.U. bereits übermorgen überholt sein könnte.

So sollten sie sich einen Vorsatz zu Herzen nehmen: Sich täglich neu erfinden und den neuen Herausforderungen stellen.

Wer sich mit neuen Modellen, disruptiven Konzepten und E-Commerce Strategien auseinandersetzt, dem sei durchaus der Film „Dutti der Riese“ empfohlen – denn manche neuen Ideen sind gar nicht so neu.

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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

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