Fast jeder 10. Laden wird schliessen müssen – morgen wie übrigens auch schon früher

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„An einem Herbsttag des vergangenen Jahres erhängte sich Detailhändler W.H. 39, aus G. am Ast einer Eiche. Er hatte es nicht hinnehmen können, dass sein 1925 gegründeter und vom Vater vererbter Laden vor einem Onlinehändler kapitulieren musste.“*

Geschlossene Borders Filiale, Downtown San Francisco 2011 - Quelle: HD Zimmermann @ Flickr
Geschlossene Borders Filiale, Downtown San Francisco 2011 – Quelle: HD Zimmermann @ Flickr

Fast jeder 10. Laden verschwindet

So das Verdikt einer aktuellen Studie des IFH in Köln. Man gewinnt fast den Eindruck, sie baut auf der „berüchtigten“ GfK Studie zu den Sättigungstendenzen im E-Commerce auf („Stationäre Beruhigungspille oder warum…„).

Das IFH erwartet jedoch bereits 2020 einen Onlineanteil von 25% am Non-Food Detailhandel und nicht wie die GfK erst 2025.

Was dies für die Innenstädte bedeutet ist klar – es kommt zu Ladenschliessungen im grossen Stil. Oder wie das Handelsblatt zusammenfasst:

„Der stärkste Treiber für das Einzelhandelssterben ist neben dem Bevölkerungsrückgang der wachsende „Kannibalisierungseffekt“ des Onlinehandels, wie ihn das IFH nennt. Rund 73 Prozent der Internetnutzer shoppen heute schon im Netz. Bis 2020 dürfte der Umsatzanteil des E-Commerce am Einzelhandel auf bis zu 15,3 Prozent wachsen, wenn man Güter des täglichen Bedarfs ausnimmt, sogar auf rund 25 Prozent.“

Die sog. „Verödung der Innenstädte“ ruft gar Politiker auf den Plan und es wird allseits mit neuen Rezepturen und Frischzellenkuren für den Einzel- und Detailhandel hausiert.

Dabei lässt sich alle 20-30 Jahre dasselbe Phänomen beobachten. Neue Konzepte verdrängen alte nicht mehr überlebensfähige Konzepte. Und was andernorts Gültigkeit hat, hat für den stationären Handel schon lange Gültigkeit.

History Repeating

Spiegel 12/1971 - Quelle: Spiegel.de
Spiegel 12/1971 – Quelle: Spiegel.de

*) Das einleitende leicht angepasste Zitat stammt aus dem Intro zu einem Artikel der Zeitschrift der Spiegel vom Dezember 1971. Damals mussten zahlreiche Einzelhändler vor den aufkommenden Supermärkten kapitulieren.

Selbstbedienung-Konzepte, Discount-Modelle und mehr forcierten eine Vielzahl von Detailhändlern zur Geschäftsaufgabe. Das sogenannte „Lädelisterben“ war allgegenwärtig in den 70er Jahren. Und ganz vorne dabei, die Migros:

„Der europäische Pionier für Selbstbedienung, der Schweizer Gottlieb Duttweiler, Gründer der Ladenkette Migros, entdeckte schon vor 50 Jahren, daß SB-Geschäfte mit „Wochenmarkt-Atmosphäre“ am besten florieren.“

Dieser Spiegel „Long-Read“ ist übrigens sehr lesenswert und Parallelen zur heutigen Zeit offenbaren sich unweigerlich.

Aber auch später am Ende des letzten Jahrtausends verschwanden in den (Schweizer) Innenstädten Läden en masse. Alleine zwischen 1998 und 2008 machte jedes 10. Geschäft den Laden dicht, wie unter anderem der Retail Outlook der Credit Suisse von 2012 zusammenfasst (PDF Seite 20):

„Das Ladensterben erfasste auch vermeintlich krisensichere Standorte. In den Innenstädten der zehn grössten Schweizer Städte schloss zwischen 1998 und 2008 netto mehr als jedes zehnte Geschäft seine Tore.“

Veränderung ist das Gesetz des Lebens…

…Diejenigen, die nur auf die Vergangenheit oder die Gegenwart blicken, werden die Zukunft verpassen.

Dieses Zitat von John F. Kennedy ist aktueller denn je. Nun zeigen alle mit den Fingern auf die Onlinehändler, die an der „Verödung der Innenstädte“ schuld sein sollen. Doch die Schuld liegt anderswo.

Zum einen bei den stationären Händlern die wenig Veränderungsbereitschaft zeigen und deren Geschäftsmodell so nicht überlebensfähig ist. Veränderungen, die dringend nötig wären, weil sich das Einkaufsverhalten der Konsumenten geändert hat.

Denn wer schon einen Schuldigen sucht, der muss bei sich selber anfangen. Denn die demografische Veränderung der einkaufenden Bevölkerung plus unser verändertes Konsumverhalten, unser Bedarf nach Convenience, Preis- und Markttransparenz und mehr sind der wahre Grund, warum die Innenstädte sich verändern.

Und wir Konsumenten sind es denn auch, die Amazon bis Zalando gross machen.



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

3 KOMMENTARE

  1. Sehr peinlicher Einstieg…

    „„An einem Herbsttag des vergangenen Jahres erhängte sich Detailhändler W.H. 39, aus G. am Ast einer Eiche. Er hatte es nicht hinnehmen können, dass sein 1925 gegründeter und vom Vater vererbter Laden vor einem Onlinehändler kapitulieren musste.“*

    Sind wir auf Blick-Niveau?

    Alfredo Schilirò

  2. […] Jeder 10. Laden wird verschwinden. Solche Bereinigungen gab es schon immer. Und auch die Credit-Suisse Immobilien Analysten haben im vergangenen November ihre Prognose aus dem Jahr 2013 nochmals bestätigt, dass bis zu einem Drittel der stationären Umsätze in den Onlinekanal abwandern werden, wie auch die Handelszeitung resümiert im grossen Ladensterben in der Schweiz. […]

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