Prof. Dr. Gerrit Heinemann: Lohnt sich E-Commerce überhaupt?

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Nachfolgender Gastbeitrag von Professor Dr. Gerrit Heinemann ist ursprünglich am 24-Sep-2015 auf etailment publiziert worden. Wir veröffentlichen diesen in der ursprünglichen Fassung mit freundlicher Genehmigung von etailment und Prof. Dr. Heinemann.

Prof. Dr. Gerrit HeinemannProfessor Dr. Gerrit Heinemann leitet das eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein, wo er auch BWL, Managementlehre und Handel lehrt. Der Handelsexperte mit fast 20-jähriger Handelspraxis veröffentlichte neben rund 200 Fachbeiträgen, 15 Fachbuch-Bestseller zu aktuellen Themen wie E-Commerce, Digitalisierung, Online- und Multi-Channel-Handel.

Sein Buch „Der neue Online-Handel“ kommt Anfang 2016 in siebter Auflage heraus. Die Themen „Wirtschaftlichkeitsbetrachtung“, „Renatbilisierung“ und „Skalierung“ werden verstärkt Einzug in diese Auflage halten.


Im Zuge der digitalen Revolution  wachsen die Umsätze im E-Commerce weiterhin rasant und werden sich allen Prognosen nach in den nächsten 10 Jahren noch einmal mindestens verdoppeln. Wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen deswegen viele Hersteller und Traditionshändler vor der Entscheidung, online zu gehen. Sie fragen sich, ob und wie es mit dem Online-Wachstum weitergeht.

Nach dem „Prinzip Hoffnung“ werden dabei Online Pure Plays vielfach für tot erklärt oder als „Non-Profit-Veranstaltung“ abgetan. Häufigstes Argument, den Schritt in Richtung Online nicht zu wagen, ist die Aussage: „E-Commerce lohnt sich nicht“!

Deswegen erscheint es dringend geboten, diesem hartnäckigen Vorurteil drei Fragen zu entgegnen, nämlich (1.) was die Alternative zur Digitalisierung ist, (2.) wer und was das Thema treibt und (3.) ob sich E-Commerce wirklich nicht lohnt?

Was ist die Alternative zur Digitalisierung?

Bei insgesamt stagnierenden Umsätzen in nahezu allen Branchen und überproportional steigenden Online-Umsätzen ist die Alternative zur Digitalisierung schlicht und ergreifend Umsatzverlust bis hin zur Existenzgefährdung. Ausschließlich auf traditionelle Muster zu setzen wie u.a. Beratung, Erlebnis- und/oder „vorgegebene Anbietersicht-Kundenorientierung“ verhindert diese Entwicklung nicht, sondern vertreibt eher noch Kunden, die vor allem den Mangel an echter Innovationsfähigkeit anprangern und Kundenorientierung mittlerweile für sich völlig anders definieren: „Selbstbestimmte Nachfragesicht-Kundenorientierung“.

Die Digitaisierung befeuert das Entstehen innovativer Geschäftsmodelle, die in kürzester Zeit Kunden erreichen, deren Erwartungen treffen und damit schneller als bisher Umsätze generieren können. In den ersten Handelsbranchen haben Online Pure Plays bereits die Marktführerschaft erreicht (z.B. Amazon bei Büchern, Booking.com bei Reisen und Thomann bei Musikinstrumenten) oder sind auf dem Sprung dorthin (z.B. Zalando bei Mode und Schuhen, Zooplus bei Tierbedarf oder Reuter bei Badausstattung). Sie setzen aus Kundensicht neue Service-Standards in Hinblick auf Produktverfügbarkeit, Preistransparenz, After-Sales-Service, Selbstbedienung sowie Kundeninteraktion. Zunehmend eine Schlüsselrolle nimmt das mobile Internet und damit die Sozialisierung, Lokalisierung sowie Mobilisierung des Online-Handels ein („SoLoMo“).

Diesbezüglich muss mehr als erstaunen, dass rund 70 Prozent aller Anbieter in Deutschland nicht online vertreten sind. Noch erstaunlicher ist, dass in den rund 30 Prozent der Fälle, wo es eine Website bzw. einen Online-Shop gibt,  diese(r) nicht mobil optimiert sind. Hier tut sich eine große Lücke auf zwischen dem, was Unternehmen für gut halten und dem, was Kunden wünschen.

Wer oder was treibt die Digitalisierung?

Die Digitalisierung treibt ganz klar der Kunde. Bereits rund 70 Prozent aller erwachsenen Deutschen über 14 Jahren nutzen das mobile Internet, so die neueste Smartphone-Studie, die das eWeb Research Center der Hochschule zum dritten Mal in Zeitreihe zusammen mit der kaufDA-Mutter Bonial Group durchgeführt hat. Sie erwarten von den Anbietern eine digitale und in der Regel mobil optimierte Präsenz. Nicht ohne Grund erzielen die erfolgreichen Online-Händler bereits mittlerweile rund ein Drittel ihrer Umsätze mobil (u.a. Amazon, Zalando , eBay oder Vente Privee).

Die meisten der  deutschen Online-Shops, die mobil vertreten sind, erweisen sich mehrheitlich weder als „Multiscreening“-fähig, noch in Hinblick auf die  Basisanforderungen des Mobile-Commerce als erfolgsversprechend. Diesbezüglich zeigt sich wieder einmal, dass Kanalexzellenz nicht teilbar ist und immer nur ein kanalspezifischer Erfolgsfaktor sein kann. Für Unternehmen, die bereit sind, die Chancen des mobilen Internets zu nutzen und ihr Geschäftsmodell auf die veränderten Kundenanforderungen auszurichten, gewinnen situationsspezifische Angebote und Geschwindigkeit zunehmend an Bedeutung.

Entsprechend der kaufDA-Smartphone-Studie starten Kunden mittlerweile mehrheitlich ihren Kaufprozess auf Mobile-Geräten. Sie führen den Kauf dann allerdings überwiegend noch auf anderen Geräten (Laptop oder Desktop) oder in anderen Kanälen (Filiale) aus. Diese Zubringerfunktion des Smartphones bzw. Mobile-Commerce für andere Kanäle wird häufig unterschätzt und ist in keiner Wirtschaftlichkeitsbetrachtung abgebildet.

Lohnt sich E-Commerce Überhaupt?

Schon die Zubringerfunktion des Smartphones bzw. Mobile-Commerce beantwortet einen Teil der Frage. Und zwar mit folgender Gegenfrage: „Lohnt sich Marketing“? Denn Internet und Mobiles gewinnen als neuer Marketinghebel herausragende Bedeutung und sollte nicht nur unter Renditegesichtspunkten, sondern vor allem auch unter dem Aspekt der Marketing-Wirkung diskutiert werden.

Und als innovative Alternative zu abgenutzten Werbeformen, für die ja in der Regel immer noch reichlich Budget bereitgestellt wird. Möglich wäre eine Reallokation von Werbetöpfen. Diese würde es ermöglichen, durch mobil optimiertes Marketing differenzierbare Wettbewerbsvorteile aufzubauen und wahrnehmbare, zeitgeistgerechte Mehrwerte für die Kunden zu schaffen. Dazu zählt auch die „Zeiteffizienz“, an jedem Ort und zu jeder Zeit Leerzeiten für Einkaufsvorgänge nutzen oder Wartezeiten verkürzen zu können.

Dieses gilt auch für das Warten auf neue Kollektionen sowie Lieferzeiten. Die Themen „Fast Fashion“ sowie „Same Day Delivery“ („SDD“), das Ende des letzten jahres bereits als Branchenstandard gesetzt wurde, unterstreichen diese Entwicklung. „Same Hour Delivery“ befindet sich bereits im Test und wird vor allem die Geschwindigkeit als Wettbewerbsvorteil weiter unterstreichen. Auch wird sie vielen stationären Kunden den Grund nehmen, Innenstädte zu besuchen.

Ein Plädoyer für den E-Commerce

Trotz oder gerade wegen der enormen Wachstumsraten im E-Commerce sind mittlerweile vermehrt auch warnende Stimmen aus der Branche zu hören, die in den nächsten Jahren eine Konsolidierung der Branche erwarten. Als besonders gefährdet gelten Online-Händler mit austauschbaren Sortimenten oder fehlender Kanalexzellenz, genauso wie nichtprofilierte Angebote eigentlich grundsätzlich jeden Anbieter gefährden. Deswegen erweisen sich auch vertikale Geschäftsmodelle und die herstellereigenen Online-Shops derzeit als erfolgreichste Betriebstypen im E-Commerce.

Vor allem die Online-Shops, die heute wirtschaftlich noch nicht tragfähig sind, werden es in den nächsten Jahren nicht leicht haben. Dennoch kann E-Commerce erfolgreich und gewinnbringend betrieben werden, wenn ein paar Grundregeln beachtet werden. Je größer der Umsatz ist, desto eher sollte sich der Online-Shop nach dem Prinzip der Skalierbarkeit eigentlich rechnen. Dieses setzt allerdings voraus, dass die Infrastruktur und damit der Fixkostenapparat skalierbar sind. Ist das der Fall, dann sollten bzw. können die Prozesse auch für andere Online-Aktivitäten wie zum Beispiel Marktplätze oder sonstige Internet-Vermarkter genutzt werden.

Vor allem Marktplätze gelten als nachhaltiger Renditehebel, den immer mehr Pure Plays zur Rentabilisierung nutzen (z.B. Zalando aktuell mit dem Partnerprogramm). Das erfordert bei einigen E-Commerce-Anbietern allerdings eine Professionalisierung in der Basisausstattung. Dazu zählen sowohl schlagkräftige E-Commerce-Organisationen, die alle notwendigen Funktionalitäten und dabei vor allem auch Sourcing und Einkauf professionell abbilden, als auch moderne und flexible Systeme.

Das erfordert allerdings eigene Wertschöpfung und damit ein Mindestmaß an Insourcing. Die bisher gängige Annahme, dass in jedem Fall Outsourcing-Lösungen vorzuziehen sind, führt häufig in die Renditefalle. Denn mit variablen Vergütungsmodellen sind eigentlich keine Skalierungseffekte erzielbar. Diese sind aber Grundvoraussetzung für eine Profitabilität im E-Commerce. Vor allem Multi-Channel-Händler, die niemals einen stationären Laden outsourcen würden, tun dies in der Regel mit der Online-Filiale und wundern sich dann darüber, dass diese nicht rentabel arbeitet und „E-Commerce sich nicht lohnt“.

Insofern stellt sich für die  meisten Online-Händler derzeit und in den nächsten Jahren die „Gretchenfrage“: Schaffen es die neuen Geschäftsmodelle, nachhaltig rentabel zu werden und einen angemessenen Return on Investment sicherzustellen, oder aber ist „außer Umsatz nichts gewesen“?



3 KOMMENTARE

  1. Interessanter Artikel, den man mehrmals lesen muss, um die Feinheiten zu verstehen. Allerdings habe ich bei den letzen 3 Abschnitten Mühe zu verstehen, worum es genau geht.

    „Das erfordert bei einigen E-Commerce-Anbietern allerdings eine Professionalisierung in der Basisausstattung. Dazu zählen sowohl schlagkräftige E-Commerce-Organisationen, die alle notwendigen Funktionalitäten und dabei vor allem auch Sourcing und Einkauf professionell abbilden, als auch moderne und flexible Systeme.“

    Auch der nachfolgende Abschnitte ist etwas unklar oder zumindest zu komplex für mein Verständnis.

    Eventuell könnte man hier noch etwas erläutern.

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