Markenhersteller sind häufig noch immer auf der Suche nach dem richtigen Schlüssel ins Internet

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Wenn sie den passenden Schlüssel haben, dann zählen Hersteller mit starken Marken zu den Gewinnern der Entwicklung im E-Commerce.

Je nach Organisationsstruktur, Beziehung zum Handel, Art der Produkte und Markenstärke kann der Schritt durch die Tür ins Internet, hin zum Endkunden und dessen verändertem Einkaufsverhalten, jedoch unterschiedlich schwer fallen.

Betrachtet man einige Schweizer Markenhersteller mal etwas genauer, stellt man sowohl grosse Unterschiede im Branchenvergleich als auch innerhalb den jeweiligen Branchen fest.

CH_Markenhersteller_Online-Direktvertrieb_und_Integration_ihrer_Händler
Die Grafik zeigt aktuelle Ausprägungen von Schweizer Markenherstellern bzgl. ihrem Online-Direktvertrieb und der Online-Integration ihrer Händler / Positionierung aus übergreifender Expertensicht Mai 2016

 

Sportartikel
Die Sportartikel-Hersteller sind bzgl. Online-Direktvertrieb am wenigsten weit entwickelt. Bei Micro und Thömus kann ich online direkt bestellen – bei Thömus kann ich mir mein Wunschbike mit viel Geduld (lange Seiten-Ladezeiten) vorher sogar selbst konfigurieren. Thömus selbst verkauft übrigens auch andere Marken als Fachhändler und seine eigenen Produkte über den Marktplatz Siroop – über andere Fachhändler verkauft Thömus keine seiner Produkte.

Bei Stromer kann ich mir mein Wunschbike ebenfalls selbst konfigurieren – im Checkout kann muss ich aber einen Stromer-Fachhändler wählen:

Stromer

Und auf der Bestellübersicht wird mir mitgeteilt, dass:

  • Der Händler wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen, um Sie über die weiteren Schritte Ihrer Bestellung, Bezahlung sowie der Lieferung Ihres neuen Stromer E-Bikes zu unterrichten.“

  • „Die Bezahlung erfolgt vor Ort beim Händler.“

Ein schöner Ansatz und ein guter Schritt in Richtung Online-Direktvertrieb. (Inkl. Online-Händler-Integration)

Flyer hat auch einen Wunschbike-Konfiguraor. Habe aber im Gegensatz zu Stromer kein „Online-Einkaufserlebnis“ – weil ich meine Konfiguration mit der Bestellung weder direkt dem Hersteller selbst noch einem Fachhändler übermitteln kann. Das Speichern und Senden per Email ist möglich – Drucken und Faxen vermutlich auch;)

Flyer1

Das spezielle am Händler-Finder von Flyer ist aber, dass ich die Händler, zusätzlich zu den üblichen örtlichen Kriterien, nach verfügbaren Modellen filtern kann.

Flyer2

Ob der Filter meine persönliche Konfiguration berücksichtigt mag ich jedoch schwer zu bezweifeln. Gut gemeint – aber so irgendwie noch nicht zu Ende Gedacht oder umgesetzt. Denn eigentlich fehlt hier nur noch der Button „jetzt direkt beim Hersteller bestellen“. Vgl. SCHRITT 6: B2C-Shop für den Direktvertrieb mit ausgewählten Produkten – in diesem Fall kundenspezifische Konfigurationen.

 

Uhrenbranche
Auf den ersten Blick sticht die gelbe Gruppe ins Auge – Die Uhrenbranche. Sie hat teilweise wunderbare Webseiten mit vielen emotionalen Inhalten jedoch nur wenig bis kein Commerce! Damit gönnt sie sich förmlich den Luxus, den Online-Direktvertrieb aus der Hand zu geben und versteckt ihr Unvermögen, zumindest aus der Distanz betrachtet und ohne tiefere Kenntnisse bzgl. den jeweiligen Distributionsverträgen, hinter fragwürdigen Argumenten wie:

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Rolex.com: Für mich kein Argument – weshalb ich nicht direkt hier meine Rolex kaufen können soll.

Kompetenz, Fachwissen und auch das entsprechende Ambiente in den Fachgeschäften sind sicher top und lassen jeden Kauf zu einem multisensualen und damit stark positiv emotionalen Erlebnis werden – daran habe ich keinerlei Zweifel! Und vom Emotional-Branding beim Einkaufserlebnis im Fachhandel profitieren notabene ja auch die Hersteller bzw. ihre Marken.

Wenn ein potentieller Kunde jedoch weniger Wert auf das komplette „Rundum-Erlebnis“ legt oder schlicht andere Gründe hat, weshalb er nicht ins Fachgeschäft will oder kann, bleibt ihm online aktuell nur der Weg über Marktplätze und Plattformen.

Wobei doch gerade in dieser Branche das Argument: „Hier kaufen Sie direkt beim Hersteller“ auf jeden Fall vertrauensbildend wirken würde und im Garantiefall es mutmasslich auch einfacher wäre, seine Ansprüche direkt beim Hersteller geltend zu machen.

Es scheint als habe der Fachhandel noch viel Macht gegenüber den Herstellern. Trotzdem erreichen die „integrierendsten“ Uhrenhersteller auf der Y-Achse maximal 5 Punkte. Was so viel heisst, dass Sie den potentiellen Kunden gerademal einen „Händler-Finder“ auf Produktdetailebene anbieten – ob die Uhr dort auch verfügbar ist sehe ich nicht. Die Uhr direkt kaufen, oder sie beim Fachhändler meines Vertrauens zumindest reservieren lassen und allenfalls einen Beratungstermin vereinbaren, kann ich online nicht. Meistens finde ich auch nur eine Adresse, Telefonnummer und Öffnungszeiten. Eine Verlinkung auf die Webseite oder gar direkt auf die Produktdetailseite des Fachhändlers suche ich vergeblich. Führt mich Google dann auf die entsprechende Webseite des Fachhändlers, dann sehe ich sehr häufig nichts, was ich für meine akute Online-Kaufabsicht tatsächlich gebrauchen kann. Sondern Slider-Shows mit Bildern von der Filiale und Phrasen bzgl. Händlertradition seit X Jahren. Finde ich dann mein Objekt der Begierde auf der Webseite des Fachhändlers, was oft gar nicht so einfach ist, werde ich nicht selten wieder zum Hersteller verlinkt und befinde mich damit im Endless-Loop.

Die im Branchenvergleich doch eher ausgeprägte Integration des Fachhandels auf der Webseite der Markenhersteller finde ich grundsätzlich sehr gut. Nur könnte die Integration noch viel weiter ausgebaut werden um den Fachhandel tatsächlich – und nicht nur plakativ – zu integrieren.

Punkte wie:

  • Wie gross ist der Erklärungsbedarf meiner Produkte? Bzw.wie stark bin ich ab wann auf das Fachpersonal im Fachhandel angewiesen?
  • Kann ich den Fachhandel in zukünftige Produkt- und Service-Strategien mit einbeziehen?

Sind genau zu prüfen – um dem Endkunden eine „Problem-Lösung“ und dem Fachhändler einen echten Mehrwert zu schaffen.

 

Mode/ Unterwäsche/ Strümpfe
Diese Branche bietet den Endkunden als Online-Händlerintegration maximal einen Händler-Finder – jedoch ohne direkte Verlinkung und nicht auf der Produktdetailseite. Sechs von den neun betrachteten Marken verkaufen online direkt an den Endkunden – bzw. 5 da Switcher am 26.5 vom Gericht in den Konkurs geschickt wurde. Von den Online-Direktvertriebler spielt Strellson in der Top-Liga – gleichauf mit den Herstellern von Sportbekleidung: Kjus, Odlo und Mammut. Ich erwähne dies deshalb speziell, weil ich die emotionale Involvierung von Kunden bei Mode als wesentlich schwieriger erachte als dies bei Sportbekleidung der Fall ist – Aufschrei in der Damenwelt in Kauf genommen.

 

Sportbekleidung
Im Branchenvergleich sind die mir bekannteren Marken am nächsten beim Endkunden. Zimtstern verkauft online direkt an den Endkunden und verweist auf der Produktdetailseite auf den Händler-Finderund im Finder selbst zusätzlich auf ihre „Online-Dealer“.

Zimtstern.com: Händler-Finder – verweist im Finder selbst zusätzlich auf ihre „Online-Dealer“

Kjus, Mammut und Odlo verkaufen ebenfalls direkt und werden mit ihren Online-Auftritten dem Kriterium „Verschmelzung von Content und Commerce“ sehr schön gerecht. So macht das echt Spass.

Warum der Weg da hin nicht einfach war, erklärte Christian Gisi, Head of Marketing Communications bei Mammut, an der E-Commerce Connect Konferenz 2016 auf dem Panel „Wie digital müssen Marken sein?“.

Im Gegensatz zu Odlo und Mammut verlinkt Kjus seine Händler, was den direkten Klick zum Händler ermöglicht. Egal ob Odlo und Mammut mit der Nicht-Verlinkung den direkten Einkauf auf Ihrer Seite forcieren wollen oder ihnen die Linkpflege, etc. tatsächlich zu mühsam erscheint – der Kunde will das am liebsten so haben wie dies bei Albright ansatzweise gelöste wurde. Nämlich einen Filial-Finder auf der Produktdetailseite inkl. Verlinkung auf die Produktdetailseite des Händlers.

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Albright.ch: Filial-Finder auf der Produktdetailseite inkl. Verlinkung auf die Produktdetailseite des Händlers

Der Ansatz auf der Produktdetailebene gefällt mir. Im Falle Albright ist dies aber speziell einfach da Ochsner Sport der exklusive Vertriebspartner ist.

Optimal aus Endkundensicht wären in der Praxis auf allen Hersteller-Webseiten:

  • Button für den Kauf direkt beim Hersteller – inkl. Click & Collect
  • Button für den Kauf beim gewünschten Fachhändler – inkl. Click & Collect
  • Button für einen Beratungstermin (warum nicht kostenpflichtig) beim gewünschten Fachhändler – inkl. Click & Reserve

Aktuelle Verfügbarkeiten würden Leerläufe vermeiden.

Klar, damit sämtliche Prozesse reibungslos ablaufen, müssen Schnittstellen zur Verfügung stehen die eine nahtlose Integration in beispielsweise ERP-, CRM- und PIM-Systeme gewährleisten. Alles machbar – wenn man will und „kann“.

 

Schuhe
Bis auf Kandahar verkaufen alle betrachteten Schuhhändler direkt an den Endkunden. „On“ macht dies bzgl. User Experience mit vielen spielerischen und informativen Elementen rund um die Produkte, Technologien und Firma sehr toll – auch wenn die Usabilty teilweise holprig ist und eine mobiloptimierte Darstellung nur im Shop-Bereich erfüllt wird. Wäre doch speziell der Händler-Finder ein mobile use case.

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mobile use case „On in deiner Nähe“ nicht mobile-optimiert

Bei der Online-Integration der Händler tun sich aber alle schwer. Ein Händler-Finder ohne Verlinkung ist in dieser Branche wohl das höchste der Gefühle.

 

Fazit
Die Tatsachen, dass eine Marke dem Konsumenten die Orientierung in der nahezu unüberblickbaren Informationsflut des Internet ermöglichen kann und die Markenfans den direkten und kompletten Zugang zu ihrer Marke je länger je mehr suchen, zwingen viele Schweizer Markenhersteller dazu ihre Komfortzone zu verlassen. Sie müssen die strategischen und konzeptionellen Herausforderungen angehen und sich den unliebsamen Diskussion, Verhandlungen etc. mit dem Fachhandel stellen. Nur so können sie dem verändernden Einkaufsverhalten der Endkunden – und nicht zuletzt auch ihrer Marke selbst –  gerecht werden.

Handel passierte ganz einfach da wo der Kunde ist. Und da dieser mit echten und akuten Kaufabsichten auch im Internet unterwegs ist, steht er de facto bei ganz vielen Markenherstellern heute vor verschlossener Tür. Diese gilt es, gerne zusammen mit dem Fachhandel, zu öffnen – damit Endkunden künftig nicht mehr zwischen Online-, Offline-, Hersteller- und Fachhändler-Optionen entscheiden müssen, sondern vielmehr die unterschiedlichen Angebote so kombinieren können, wie es für sie am besten passt.

Ziel muss ein Gesamtkonzept mit kurzen Vertriebswegen, kompetentem Service und ständiger Erreichbarkeit sein.

Basierend auf unseren Erfahrungen und Beobachtungen bei der Entwicklung oder Ergänzung von digitalisierten Geschäftsmodellen, auf strategischer und konzeptioneller Ebene, haben wir das Carpathia 8C Digital-Business Modell entwickelt. Zusammen mit Ihnen erarbeiten wir Ihren individuellen Schlüssel für Ihr Geschäftsmodell im digitalen Zeitalter. Und das immer mit der nötigen Flexibilität für die Einzigartigkeit Ihres Unternehmens und Ihrer Marke, mit klarem Blick nach vorne und nach disruptiven Chancen und Gefahren, und mit dem Wissen, dass die technischen Möglichkeiten gegeben sein werden und beim Schleifen des Schlüssels nicht einschränkend wirken dürfen.



2 KOMMENTARE

  1. Coole Übersicht.
    Wie sieht es in anderen Branchen aus?
    Möbel, Lebensmittel, Kosmetika etc.

    Ich finde Möbel Pfister bei den Möbeln und Café Royal bei den Lebensmittel erwähnenswert…

    Max

    • Hallo Max
      Vielen Dank. Ich bin mit Dir absolut gleicher Meinung, dass die Übersicht auf weitere Branchen mit sicherlich vielen spannenden Akteuren ausgedehnt werden kann. Sollten wir Musse und Zeit finden, werden wir dies tun. Bis dahin müssen die ausgewählten Branchen genügen um die aktuelle Situation und den akuten Handlungsbedarf aufzuzeigen.
      Bester Grüsse
      Gregor

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