Die Schweizer Marktplätze ricardo.ch und siroop, die beiden Online-Warenhäuser Galaxus und Brack und ganz speziell Amazon haben eine fundamentale Bedeutung für die Entwicklung des Schweizer E‐Commerce.
Dies ist der zweite Teil unserer Zusammenfassung des E-Commerce Reports 2016 in 3 Teilen:
- Online wächst – primär wegen ausländischen Anbietern
- Marktplätze, Warenhäuser und der Respekt vor Amazon
- Brands und Hersteller nehmen das Heft selber in die Hand
Die Herausgeber des Schweizer E-Commerce Reports 2016 haben sich diesen Themen angenommen und mit vertieften Interviews die aktuellen Beurteilungen und Einschätzungen, bei den Teilnehmern des 2016 E-Commerce Leader-Panels, zusammengetragen.
Amazon
26 der 36 Studienteilnehmer sind in einer Branche tätig, in der Amazon mit 5-50% Schweizer Marktanteil wenig bis sehr deutlich spürbar ist. Die Medienbranche spürt Amazons Marktanteil von 25-50% speziell stark. In den anderen Branchen wird noch nicht von einer dominierenden Stellung Amazons in der Schweiz gesprochen.
Für eine Gesamtschweizerische Sicht werden im Report die Zahlen von Statista und VSV/ GfK ins Verhältnis gesetzt und einen Amazon-Marktanteil in der Schweiz von rund 8 % errechnet. Damit unterscheidet sich die Situation in der Schweiz grundlegend von derjenigen in Deutschland.
Der Respekt vor Amazon ist nicht durch dessen aktuelle Stellung in der Schweiz begründet – sondern wegen des Stellenwerts, den Amazon mit seiner unerbittlichen;) Entschlossenheit und Kraft, mit der sie neue Märkte und Geschäftsfelder erobern, in der Zukunft haben könnte. Hier bestehe unter den Studienteilnehmer aber ein grosses Fragezeichen und man „beruhigt“ sich mittels zwei ausgemachten Schwachpunkten, welche Amazon für einen durchschlagenden Erfolg in der Schweiz erst noch beheben müsse.
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Es müsste ein Amazon Schweiz oder zumindest einen Filter für die Schweiz geben. Das ist so zu verstehen, dass alle dort angebotenen Produkte auch in der Schweiz verfügbar sind und eine für die Schweiz gültige Standard‐Versandoption mit klarer Angabe von Lieferzeit und Zusatzkosten für Versand und allfällige Zollformalitäten ausgewiesen wird.
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Die Logistik müsste so ausgebaut werden, dass zumindest Next‐Day‐Delivery der Standard wäre.
E-Commerce-Report Schweiz 2016, S. 11.
Transparenz sieht wirklich anders aus und in der Tat ist es aus Kundenperspektive wirklich noch sehr mühsam bei Amazon mit Gewissheit zu bestellen. Dienstleister wie z.B. MeinEinkauf.ch können einige der Unsicherheiten beheben und den Zugriff auf das ganze Sortiment ermöglichen. Der Anspruch auf Rückerstattung der deutschen Mehrwertsteuer entfällt dann allerdings (bzw. geht an MeinEinkauf.ch) und hinzu kommt eine Servicegebühr ab CHF 14.90 an MeinEinkauf.ch.
Da die Leistungsempfängerin der Lieferung aus dem jeweiligen Online-Shop die MeinEinkauf GmbH in Deutschland ist, haben Sie keinen Anspruch auf Rückerstattung der deutschen Mehrwertsteuer.
Quelle: MeinEinkauf.ch
Die Lieferzeiten zwischen 2-7 Werktagen (2-3 Werktage über MeinEinkauf.ch) sind ebenfalls nicht Standard und die von den Kunden mehr und mehr gewünschte Flexibilität bei der Bestimmung von Lieferzeit und –ort sind auch keine Thema.
Solange Amazon aus Deutschland versendet, bleiben Schweizer Anbieter in der Leadposition. (Bettina Urwyler, Betty Bossi)
E-Commerce-Report Schweiz 2016, S. 11.
Sollte sich Amazon im „E-Commerce-Monopoly“ aber dennoch für „Chur, Kornplatz und „Schaffhausen, Vordergasse“ entscheiden, dann werden diese Punkte sehr schnell behoben sein.
Warum es für Amazon aber auch dann nicht leicht sein dürfte, in der Schweiz eine ähnlich dominante Stellung wie in Deutschland einzunehmen und warum Amazon sich auch in der Zukunft mit den tief hängenden Früchten zufrieden geben könnte, nennt der Report folgende Argumente:
- Die Schweiz ist bezgl. Sprachen und Kulturen kein homogener Markt.
- Auch wenn es ein Amazon Schweiz oder einen entsprechenden Filter geben sollte, wären das Amazon Marktplatz-Sortiment – also Artikel der Markplatzhändler – davon ausgeschlossen. Die Einfuhr solcher Artikel wäre weiterhin „mühsamen“ oder mit geringerem Preisvorteil bzw. durch die Abwicklung von Dienstleister mit höheren Kosten und Zeitaufwand verbunden.
- Zürich oder Genf allein sind für eine Ballungsraumlogistik wie in Berlin oder München vergleichsweise klein – zu klein.
- Amazon kann nicht darauf vertrauen, dass Migros und Coop einfach zuschauen würden.
- Grosse Teile des Schweizer E‐Commerce‐Markts sind bereits durch kompetente Anbieter besetzt.
Das schwächste Glied in der Abwehrkette der Schweiz ist ihr hohes Preisniveau. Sollte sich dieses zugunsten von Amazon entwickeln, würden viele der genannten Eintrittsbarrieren tiefer und ein allfälliger Eintritt wahrscheinlicher.
Was wenn Amazon kommt?
Als Schweizer Pendants, welche dem hybriden Amazon bei einem allfälligen Eintritt auf der Ebene eines attraktiven Sortiments und unter Ausspielung des Ortsvorteils Paroli bieten könnten, sehen die Studienteilnehmer vier Schweizer Player. Die zwei Online-Marktplätze ricardo.ch und siroop sowie die zwei Online-Warenhäuser Digitec/ Galaxus und Brack.ch. Ja richtig, Brack.ch wird neu wegen seinem sortimentsübergreifendem Angebot ebenfalls als Onlinewarenhaus bezeichnet. Die Unterschiede zwischen Online-Marktplatz und -Warenhaus sind im Report auf Seite 15 sehr schön beschrieben.
ricardo.ch und siroop
Auch wenn ein Erfolg von Ricardo oder siroop neben einem Amazon, mehr von dem machen oder eben nicht machen des befürchteten Schritts von Amazon abhängig sei:
Der Erfolg von Ricardo oder siroop hängt davon ab, wie sich die internationalen Wettbewerber verhalten. Die Investitionen basieren auf dem Prinzip Hoffnung, dass der grosse Wettbewerber die Schweiz weiterhin zu klein findet. Das ist schon sehr mutig.
E-Commerce-Report Schweiz 2016, S. 11.
sind sich die Studienteilnehmer mehrheitlich einig, dass ein starker Schweizer horizontaler B2C‐Onlinemarktplatz gut für die Schweiz wäre, um das Geschäftsfeld nicht einfach Amazon zu überlassen.
Um Amazon Paroli bieten zu können müssten die Schweizer Onlinemarktplätze vor allem über Geschwindigkeit und Convenience überzeugen. Über das Preisniveau sei das sehr schwer.
Die Potentiale von den beiden Onlinemarktplätzen werden so unterschiedlich eingeschätzt wie die Player es selbst sind.
Angesichts der aktuell geringen Bedeutung von Ricardo für das schweizer B2C‐Geschäft, sieht man die Rolle von ricardo.ch als „Brückenbauer“ – vor allem nach Deutschland:
Ricardo hatte mit seiner eigens für die Importabwicklung eingerichteten Tochtergesellschaft in Deutschland einen überzeugenden Anlauf genommen, deutschen Anbietern einen einfachen Zugang zum Schweizer Markt zu schaffen und Schweizer Konsumenten einen einfachen und vertrauenswürdigen Zugang zu Angeboten aus Deutschland.
E-Commerce-Report Schweiz 2016, S. 11.
Das Problem bestehe hier aber bei der gefühlten Orientierungslosigkeit von ricardo.ch. So dass man auch zehn Monate nach der WEKO‐Genehmigung der Übernahme von ricardo.ch und ricardoshops.ch durch Tamedia nicht erkenne wohin die Reise im B2C überhaupt gehen soll. Dass ricardoshops.ch in ricardo.ch integriert werden soll weiss man seit Sommer 2015.
Siroop wird von allen mit hohem Respekt als mutig eingeschätzt. Der Onlinemarktplatz mit dem Anspruch „Wir bringen die Läden deiner Umgebung zu dir nach Hause!“ basiert auf zwei Prämissen:
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„Einen offenen Onlinemarktplatz gibt es in der Schweiz heute noch nicht“
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„Kunden kaufen primär deshalb auf den globalen B2C‐Onlinemarktplätzen, weil die Schweizer Alternative fehlt. Kann ein hiesiger Onlinemarktplatz die Schweizer Bedürfnisse besser und mit mehr Convenience bedienen, werden die Kunden das annehmen und Preisaufschläge in einem gewissen Rahmen hinnehmen.“
E-Commerce-Report Schweiz 2016, S. 11, 12
Sollten die Thesen:
- „Für Händler, die nicht zu den Top‐Drei‐Onlineanbietern ihrer Branche gehören können, ist ein leistungsfähiger B2C‐Onlinemarktplatz eine erfolgversprechende Lösung, um am E‐Commerce zu partizipieren.“
- „Die Verknüpfung eines B2C‐Onlinemarktplatzes mit lokalen Geschäften ist ein Service, den Schweizer Konsumenten gerne nutzen werden.“
E-Commerce-Report Schweiz 2016, S. 12
zutreffen – und da sind sich die Studienteilnehmer mehrheitlich einig – und kann siroop die lokale Nähe und die Verbindung von Online und Offline perfekt inszenieren und umsetzen, dann gäbe es eine Chance. Btw: Fünf Unternehmen aus dem Studienpanel sind beim Abenteuer siroop bereits dabei.
Bezüglich der zweiten Prämisse ist man eher verhalten optimistisch. Da derzeit die Preisunterschiede in manchen Warengruppen doch erheblich sind und sich Schweizer Konsumenten bereits an das „mühsame“ Einkaufen auf ausländischen Plattformen gewöhnt haben.
Galaxus und BRACK.CH
Beide erhalten für die Entwicklungsleistung über die letzten Jahre hinweg breite Anerkennung. Und beiden wird zugetraut, auch in einem verschärften Wettbewerb mit Amazon bestehen zu können. Wobei Galaxus als stärker und damit als robuster eingeschätzt wird – was aber auch damit zusammenhängen kann, das Brack.ch in der Wahrnehmung noch vergleichsweise stark mit dem Elektroniksortiment verbunden ist.
Florian Teuteberg von Digitec Galaxus sagt:
Onlinewarenhäuser werden sich in der Schweiz etablieren können, aber ohne Fashion.
Dies bestätigt er auch mit dem hohen Anspruch welche sie bei Galaxus an sich selbst haben:
Eine Marke, ein Anbieter, ein Warenkorb, ein Serviceversprechen. Segmente, in denen wir unserem Anspruch nicht gerecht werden können, bieten wir nicht an.
E-Commerce-Report Schweiz 2016, S. 15
Markus Mahler von BRACK.CH legt, im Report, den Fokus auf die eigene Logistik:
In meinen Augen ist Logistik ein Schlüsselfaktor für Erfolg im E‐Commerce. Nur wenn man den selbst in der Hand hat, kann man diesen Faktor voll ausspielen.
E-Commerce-Report Schweiz 2016, S. 15
Im Vergleich zu den Onlinemarktplätzen glauben 17 von 31 Studienteilnehmern eher an den Erfolg der Onlinewarenhäuser. Fünf denken genau umgekehrt und fünf finden auch, dass man die unterschiedlichen Konzepte nicht gegeneinander ausspielen sollte (Siroop und BRACK.CH – eine Love Story ?). Im Grunde zähle nur das beste Preis‐Leistungs‐Verhältnis und das beste Kundenerlebnis.
Der E-Commerce Report kann kostenlos online bestellt werden.