Die Schweiz auf dem Weg zur Bananenrepublik

3
7462


…und schon wieder werde ich emotional…

Gastartikel von Patrick Kessler, Präsident des Verbandes des Schweizerischen Versandhandels VSV zum heutigen Bundesratsbeschluss, die Revision des MwSt-Gesetzes per 1.1.2018 einzuführen, die neuen Regeln für den Versandhandel jedoch um 1 Jahr aufzuschieben.

 


Die heute vom Bund versandte Medienmitteilung zur Einführung des neuen MWST-Gesetzes hat das Zeugs, mich zum Nachmittags-Schnapstrinker zu machen. Nur so kann ich hoffen, mein konstantes Kopfschütteln und die angeschwollenen Halsschlagadern in den Griff zu bekommen…

Was ist passiert?

Seit nunmehr zwei Jahren wissen wir, dass auf den 1. Januar 2018 ein revidiertes MWST-Gesetz in Kraft treten wird. Unter anderem wird mit dem neuen MWST-Gesetz den systematischen MWST-Umgehungspraktiken von grossen ausländischen Online-Händlern der Riegel geschoben. Vermeintlich.

Mit der heute versandten Medienmitteilung wird angekündigt, dass es eine Ausnahme mit der Durchsetzung des Gesetzes gäbe: Für den Versandhandel gilt das Gesetz erst ab 1. Januar 2019!

Im Klartext: Man verabschiedet ein Gesetz mit Einführungszeitpunkt 1.1.2018 – für eine Branche soll das Gesetz aber dann doch nicht gelten. Venezuela, Russland oder Timbuktu (ich hoffe ich trete keinem Land zu nahe) – da sollen solche Sachen vorkommen. Aber in der Schweiz?

Wer ist denn für Ihre MWST-Deklaration verantwortlich?

Noch abenteuerlicher die Begründung: Die Post braucht mehr Zeit für die technische Umsetzung.

Nochmals: Hallo?

MWST-Abgaben erfolgen in unserem Land immer noch auf einer Selbstdeklaration. Jedes Unternehmen muss sich gemäss unserer Gesetzgebung selber anmelden, wenn es Umsatzgrenzen überschreitet. Aber bei Amazon, Wish und Co. soll sich die Post darum kümmern. Was soll diese Delegation der Verantwortung?

Mit Verlaub: Zalando, Tchibo, Conrad und Co. sind alle seit Jahren in der Lage ordentlich die MWST und Zoll abzurechnen. Gerade die Online-Riesen wie Amazon, Wish, etc. sollen aber dazu nicht selber in der Lage sein?

Wo sind all die digitalen Manifestler Schneider-Ammann, Leuthard, Noser und Konsorten in solchen Situationen? Wahrscheinlich beim «Start-Up-Steuererleichterungs-Apéro von Digital Switzerland», beim «Digital-Festival huldigen von anderen Steuerumgehern» oder «beim Infrastruktur bereitstellen für die chinesische Handelsinvasion in Europa»?

Die Release-Planung der Post bestimmt die Einführung / Durchsetzung des Gesetzes!

Die Post soll also nun neben der E-ID auch noch für die Eintreibung von MWST bei ausländischen Grossunternehmen zuständig werden? Gemäss Vernehmlassungsantwort der Post ist gemäss interner Release-Planung ein Zeitbedarf von einem Jahr notwendig um umzusetzen….

Dürfen unsere Mitglieder dann auch mal eine Releaseplanung als Grundlage für die Nichteinhaltung eines Gesetzes herbeiziehen? Wehe eine Hose wird mit dem falschen Gewicht deklariert oder es befindet sich noch ein Gummibärli-Säckli als Geschenk im Paket!

Das Bildnis der Staumauer (Achtung jetzt wird es fast schon religiös)

Ich bin bei Gott kein Linker oder Gesetzesförderer (aber auch kein intensiver Kirchgänger): Aber diese Führungsriege und Verwalter in Bern machen mir langsam Angst. Sie benachteiligen laufend und kontinuierlich den Schweizer Händler. Sie verzögern dringend notwendige Gesetzesanpassungen, schaffen nebenbei mit hoher Kadenz aber immer weitere Handelshemmnisse für Schweizer Retailer.

Daneben vernichten bzw. verhindern sie MWST-Einnahmen, welche wir doch so gut für Altersvorsorge und Co. benötigen. Sie lassen die Verdampfung von MWST-Substrat zu, weil sie leider immer noch nicht verstanden haben, was die Digitalisierung neben sexy Start-Ups und Technologiesprüngen sonst noch alles mit sich bringt.

Haben Schweizer Politiker und Verwalter eigentlich schon gemerkt, dass es einen globalen Detailhandel gibt, der Konsument auch keine Grenzen mehr kennt?

Dass Bevormundung nichts taugt und sich das Wasser immer, immer schon einen Weg gesucht hat? Um beim Bildnis zu bleiben: Der Stausee ist bis oben gefüllt, die Staumauer der Gesetze reicht nicht mehr aus, um das Wasser zurückzuhalten und es fliesst konstant über die Mauer und es wird nicht einmal Strom draus (sprich MWST-Einnahmen). Und irgendwann wird die Mauer nicht mehr halten, die Dämme werden brechen…

Gleich kurze Spiesse?

Bevor Sie mich einen Protektionisten schimpfen: Ich habe vorgestern an der E-Connect Konferenz festgestellt, dass diese neue MWST-Regelung den Schweizer Konsumenten nie vom Einkaufen im Ausland abhalten wird. Das ist immer noch meine Meinung.

Ich bin aber auch noch immer überzeugt, dass dieses Gesetz aus wettbewerbsrechtlichen, volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Gründen eminent wichtig ist. Die im digitalen Manifest geforderten «gleich kurzen Spiesse» werden bei erster Gelegenheit «verlängert».

…und andere Ärgernisse…»

Wenn ich schon beim Lästern bin: Ich habe grade letzte Woche eine Testbestellung von rezeptfreien Medikamenten in Deutschland getätigt. Funktioniert hervorragend. Keine MWST, günstigere Einkaufspreise und für Schweizer Apotheker / Drogisten de facto verboten.

Irgendwie muss man das Sprichwort mit der Grube wohl mal neu formulieren.

Wer sich selber Gruben gräbt, kann sich aussuchen in welche er sich legen will.

Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende, 3 Tage Zeit um runterzukommen und über unsere Denk- und Geisteshaltung zu sinnieren. Für den Moment komme ich mir als «Depp der Welt» vor, ich hoffe, es bessert sich bis Dienstag!

[bctt tweet=“Wer sich selber Gruben gräbt, kann sich aussuchen in welche er sich legen will. #schweiz #mwst #bananenrepublik“ username=““]



3 KOMMENTARE

  1. Es ist absolut bedenklich wie wenig unsere Regierung und deren Verwaltung von digitalen Prozessen verstehen. Ist aber auch kein Wunder wenn unser Wirtschaftsminister nicht mal selbst eine E-Mail schreibt geschweige denn etwas mehr von der digitalen Welt da draussen versteht.
    Die Industrie muss Arbeitsplätze ins Ausland verlagern und wir verhindern zudem noch einen adäquaten Wettbewerb im Handel. Was bleibt da für die Schweizer Volkswirtschaft? Schokolade und Uhren. Nach dann Prost!

  2. Der Skandal ist nicht das eine Jahr, nicht einmal der Vorteil für die Importeure, der Skandal ist die Post, deren Quasi-Monopolsituation damit zementiert wird. Der Carrier hat doch damit rein gar nichts zu tun! Auch innerhalb der Europäischen Union werden MwSt direkt mit dem betroffenen Land abgerechnet, wenn eine bestimmte Umsatzsumme erreicht wird – und zwar vom Versender selber. Warum die Post jetzt in der Schweiz etwas zu tun haben soll? Weil sie noch immer mit der Politik eng verflochten ist, weil sie noch immer ein Staatsmonopolist ist. Wenn auch meist ziemlich gut getarnt.

  3. Hallo Herr Kessler, danke für diesen „erhellenden“ Beitrag. Ich bin als österreichischer IT Unternehmer mit schweizer Wurzeln und vielen schweizer Kunden direkt von dieser neuen Regelung betroffen (und habe meinem Frust hier freien Lauf gelassen: https://it-solutions.schultz.ch/index.php/de/2-allgemein/148-schweizer-mwst-bananenschale ).
    Wir klären gerade ob wir unsere Leistungen für die Schweiz blockieren müssen, oder ob es andere Wege gibt…
    Liebe Grüsse aus Wien, Rüdiger Schultz

    PS: würden Sie uns erlauben, Ihr nettes „Bananenschalen-Bild“ für unseren eigenen entsprechenden Beitrag zu verwenden?

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Bitte fügen Sie ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie ihren Namen hier ein