Einkaufszentren: Die Entkoppelung von Shopping und Begegnung

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Die NZZ hat dem Modell Shopping-Center vergangenen Freitag eine grössere Hintergrundgeschichte gewidmet und das Geschäftsmodell generell und die bevorstehende Eröffnung der Mall of Switzerland speziell beleuchtet:

Die Umsätze der Shoppingcenter brechen ein: Weshalb derzeit trotzdem für 450 Millionen Franken die Mall of Switzerland gebaut wird.

Im Fokus dabei steht auch, dass sich diese Zentren je länger je mehr zu Freizeitparks entwickeln. Gastro- und Entertainment-Konzepte sollen die Frequenz sichern. Und die NZZ fragt zurecht:

Die grossen Zentren planen das Angebot so zu erweitern, dass wir unsere Freizeit dort verbringen. Aber wollen wir das wirklich?

Food Court in der geplanten Mall of Switzerland - Bild: mallofswitzerland.ch/de/presse
Food Court in der geplanten Mall of Switzerland – Bild: mallofswitzerland.ch/de/presse

Shopping-Center suchen neue Rolle

Eine Entwicklung, welcher wir kritisch gegenüber stehen weil sie geradezu exemplarisch die Probleme im Detailhandel offenbaren. Denn würden das stationäre Geschäft weiter brummen, käme niemand auf die Ideen, Food-Court-Eldorados, Vergnügungs-Tempel und Kinosäle in den Retailflächen zu planen.

Mittlerweile machen in der Schweiz die grössten 10 Onlineshops nahezu gleich viel Umsatz wie die grössten 10 Shopping-Center und selbst der Branchenverband der Shopping-Center kommt gemäss NZZ zum Schluss:

Fakt ist, es handelt sich (. . .) nicht um eine temporäre Krise, sondern um eine massive Marktveränderung – hervorgerufen durch Onlinehandel, Einkaufstourismus und sinkende Preise.

Entkoppelung von Shopping und Begegnung

Wo ich mit den Shopping-Center Experten einig bin ist, dass sich Menschen auch in Zukunft treffen, sich austauschen und gemeinsam Zeit verbringen wollen. Gut möglich ist, dass dies weiterhin in Shopping-Centern stattfinden wird, denn sie sind ja nunmal noch da.

Aber die Umsätze in den Flächen werden weiter spürbar zurück gehen, das „Shopping“ wird im Shopping-Center zunehmend reduziert werden.

Es wird in einer verstärkten Entkoppelung von Shopping und Begegnung münden, was das heutige Shopping-Center nicht nur als Auslaufmodell dastehen lässt, sondern ein eigentliches Sterben auf Raten ist (vgl. dazu auch mein Interview in der NZZ).

Denn diese Entwicklung stellt  das heutige Mieter-, Erlös- und Rendite-Konzept auf den Kopf inklusive den dramatischen Auswirkungen auf die Immobilienwerte. Events und Freizeit kann neue Erlösströme erschliessen, jedoch nicht im Handel oder bei den bisherigen Ankermietern und Mieteinnahmemodellen.

Jan Tanner, Präsident der Branchenvereinigung der Shopping-Center, scheint den Glauben nicht verloren zu haben und lässt sich in der NZZ zitieren:

Shoppingcenter werden nicht so bald aussterben. Das ist fern jeglicher Realität.

Liebe Leser, bitte ersetzen Sie in diesem Zitat das Wort „Shoppingcenter“ für sich wahlweise durch einen der nachfolgenden Begriffe und bilden Sie sich Ihre eigene Meinung.

  • Telefonzellen
  • Landkarten
  • Reisebüros
  • Schreibmaschinen und Faxgeräte
  • Ton- und Filmträger
  • Kutschen (inklusive Hufschmide, Sattler etc.)
  • Verbrennungsmotoren
  • ….

Also im Sinne von „Verbrennungsmotoren werden nicht so bald aussterben. Das ist fern jeglicher Realität„. Weitere Zitate und legendäre Fehlprognosen in der Wirtschaftsgeschichte hat u.a. Watson zu Jahresbeginn zusammengetragen.

Über Einschätzungen und Kommantare freue ich mich.



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

5 KOMMENTARE

  1. „Shoppingcenter werden nicht so bald aussterben. Das ist fern jeglicher Realität.“

    Dem stimme ich ersteinmal zu! Kürzlich war ich in Dubai. Eine Shopping Mall neben der anderen. Die Eine größer als die andere. Die Angeobte sind verlockend. Kinder werden im Spielparadies abgegeben und Mama und Papa können entspannt shopen, nebenbei Eis essen und Ihre Zeit zusammen genißene. Klar gibt es die Stubenhocker, die Zuhause bleiben und nur noch im Netz Kaufen. Der Markt ändert sich. Auch klar!

    Ich denke aber, dass sich die Käufe irgendwann 50/50 einpendeln und danach sich ersteinmal alles beruhigt!

    Telefonzellen, Landkarten, Schreibmaschinen und Faxgeräte, Ton- und Filmträger UND Verbrennungsmotoren werden künftig aussterben!

    Reisebüros wird es eine Zeit lang noch geben, da der Mensch erfahrungsgemäß doch viel zu Faul ist, sich selbst nach tollen Hotels und Aktivitäten im Urlaub zu informieren.

    Kutschen wird es immer eine Hand voll geben! Allerdings ausschließlich zu Unterhaltung und nicht als Verkehrsmittel.

    Alles Gute !

    Eure Frederike Burmeister

  2. Ja, die Shopping-Center werden nicht ganz sterben, aber sehr rar werden. Eine Handvoll „Top-Center“ wird sich halten, aber das sind dann vielleicht 30-50 in ganz Deutschland, nicht aber 3-10 in jeder Großstadt.
    Und „echte“ Shopping-Erlebnisse werden sich auf eine Form von Events verlagern – kann man jetzt schon bei vielen Special Interest Themen beobachten. In der Richtung müssen die Shopping Center betreiber denken – Sie werden zu Verkaufs-Event-Veranstaltern mutieren müssen. Dazu braucht es keine riesigen Immobilien sondern Ideen, neues Denken und Mut!

    Das Dubai Phänomen hat kulturelle Gründe – wo sonst können dort überhaupt junge Menschen geschlechterübergreifend in irgend einer Weise in Kontakt kommen?

  3. Shopping Center werden vielleicht ein paar überleben, dann aber muss sich gewaltig was ändern. Die heutigen Center sind leider sehr viele veraltet, diejenigen welche man so schön auf neudeutsch revitalisiert hat, haben leider meist die falschen, biederen und langweiligen Mieter drinn wie die alten Einkaufstempel. Also auch kein Grund zum shoppen. Hey, mir gefällt die Aussage von das grösste Shoppingcenter habe ich zuhause, war auch meinte ich von Carpathia, und das muss man zu hundert Prozent bejahen. Wieso muss ich in die Stadt oder mit dem Auto in ein Center, wenn ich die ganze Warenauswahl in meinem 15 Zoll Bildschirm gemütlich zu hause haben kann? Diese Frage müssen sich die Center stellen, sicher auch die Spezialisierung von einem Center. Hier kann es Zukunft haben, wenn ich gezielt nach Möbel oder nach irgend einer Produktgruppe suche. Mit den jetzigen Versuchen nach Kinos oder sonstigen Wohlfühloasen fühlt man sich leider eher unwohl. Da geht man meines Erachtens immer noch lieber in die Natur, zum sich wohlfühlen und nicht an einen Kunstwasserfall in einem Neon- oder LED-Tempel.
    Somit bin ich gespannt auf die erste reine Dead-Mall in der deutschen Schweiz.

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