Der stationäre Detailhandel in der Transformationsfalle

6
9326

Digitec-Galaxus und Zalando wie auch Aliexpress und Wish haben im vergangenen Jahr alleine in der Schweiz ihre Umsätze jeweils um CHF 100 Mio. oder mehr gesteigert. Die Pureplay Konzepte strotzen nur so vor Dynamik während der Detailhandel kaum vom Fleck kommt, weder stationär noch digital.

Über die stationären Probleme wurde schon viel geschrieben – interessant ist, warum deren Onlineplattformen mit wenigen Ausnahmen ebenfalls nur marginale Anteile an den Unternehmensumsatz beitragen. Oder wie die Handelszeitung im Zusammenhang mit der neusten Zalando-Schweiz Schätzung diese Woche zitierte:

Sie klauben letztlich bloss die Brotsamen auf, die hinter dem Zalando-Pflug liegenbleiben.

Gefangen in der Transformationsfalle

Nehmen wir als exemplarisches Beispiel Globus, der mit seinen Warenhäusern 2017 einen Umsatz von CHF 643 Mio. erzielte. Der Onlineshop verzeichnete zwar ein Umsatzplus von 163% und kommt nach unseren Schätzungen damit irgendwo in die Region zwischen 20 und 30 Mio.

Wenn wir auch am oberen Ende dieser Schätzung bleiben, so entspricht dies nicht mal 5% des Unternehmensumsatzes oder anders gesagt, 95% der Erlöse werden nach wie vor mit dem „alten“ Geschäftsmodell erzielt.

Und hier beginnt das Dilemma dieser Geschäftsmodelle; 95% der Umsätze erfordern wohl nicht mehr ganz, dass gleichzeitig 95% der Ressourcen in das bisherige Konzept fliessen, doch ist es garantiert nach wie vor die überwiegende Mehrheit.

Auch bei einer progressiven Annahme fliessen wohl immer noch über 80% aller Ressourcen in die stationäre Infrastruktur, Verkaufspersonal, traditionelles Marketing oder IT-Ressourcen in das herkömmliche Geschäft des stationären Handels. Dasselbe gilt für die Management-Attention und vieles mehr, denn die 95% des Unternehmensumsatzes kann und will niemand riskieren.

Derweil bei dieser progressiven Annahme lediglich 20% aller Ressourcen überhaupt nur in das digitale Geschäft fliessen können. Gleichzeitig weiss man nur zu gut, dass die härteste Konkurrenz online Player sind die Amazon, die demnächst in der Schweiz durchstarten wollen, oder auch Zalando heissen, die neben Fashion zeitnah auch das Beauty-Sortiment ins Visier nehmen.

Diese Onlineplayer wiederum pumpen 100% ihrer Ressourcen jeglicher Art in die digitalen Vertriebsmodelle. Und wie man weiss, nicht zu knapp.

Der Transformationsfalle entrinnen?

Wie also kann ein stationärer Händler dieser Transformationsfalle überhaupt entrinnen? Er macht den überwiegenden Anteil seines Umsatzes mit dem angestammten Geschäft, bei Globus als Beispiel rund 95%.

Er kann dieses kaum riskieren und muss es daher mit dem Grossteil seiner Ressourcen alimentieren im gleichzeitigen Wissen, dass der Markt in Zukunft noch viel mehr online spielt und dort seine gefährlichsten Mitbewerber 100% ihrer Ressourcen in digitale Modelle investieren – er kann im besten Fall in diesem weitestgehend fiktiven Beispiel 20% bereitstellen.

Chancenlos? Unter diesen Voraussetzungen mutmasslich leider Ja.

Es sei denn, man ist bereit, radikale und schmerzhafte Einschnitte vorzunehmen und das Steuer mit aller Kraft umzureissen. Sich also konsequent von jeglichen Komponenten zu trennen, die keine Erträge abwerfen oder nicht zukunftsfähig sind. Seine Standorte radikal zusammen zu streichen, auf die absoluten Kernkompetenzen zu fokussieren und sein Bewusstsein fulminant zu schärfen, wo die verbleibenden Vorteile sind (Retail Vision: Verleibende Stärken identifizieren und fokussieren).

Konsequent von Altlasten befreien

Oder anders gesagt; die dringend benötigte Ressourcen freischaufeln und den digitalen Kanälen zur Verfügung stellen in dem man sich von den Altlasten befreit.

Einer, der kürzlich begonnen hat, dies in schmerzhafter Konsequenz durchzuziehen ist Ex Libris (Ex Libris transformiert vom Filialisten zum Pureplayer) was in der Wirtschaftspresse schon als „Blaupause für die Branche“ bezeichnet wurde (nicht online, Artikel als PDF).

Grüne Wiese & Akquisitionen

Dass ein Wettbewerb auf Augenhöhe mit internationalen wie auch nationalen Pureplay-Konzepten kaum möglich ist zeigt auch, dass sich das Akquisitions-Karussel in der Schweiz immer mal wieder dreht.

Ein Blick auf die Top-15 der umsatzstärksten Onlineshops zeigt, wie sich die grossen regelmässig mit Digital-Commerce Knowhow verstärken, weil das Wachstum aus eigener Kraft den wenigsten gelingt. Nicht weniger als jeder Dritte Shop ist eine Akquisition von einem der zwei grossen Schweizer Detailhandelskonzernen:

  • Migros mit LeShop, Digitec und Galaxus
  • Coop mit Nettoshop und Microspot im weitesten Sinne

coop@home wie auch Ex Libris sind Formate der zwei Grossen, die es aus eigener Kraft in diese Liga geschafft haben.

Ein anderer vielversprechender Weg ist der „Grüne Wiese“ Ansatz wie er beim Marktplatzmodell von Siroop angewandt wird. Hinter Siroop stehen Coop und die Swisscom. Siroop wird jedoch als Startup geführt, weitab jeglicher Konzern-Infrastruktur und entspechenden Einschränkungen.

Wer als Detailhändler dieser Transformationsfalle entrinnen will, ist zu harten und konsequenten Massnahmen gezwungen. Denn die neuen Mitbewerber von Amazon bis Zalando haben weder Altlasten noch müssen ihre Ressourcen für das angestammte rückläufige Geschäftsmodell investieren.

Sie investieren 100% ihrer Ressourcen und Management-Attention in die digitalen Formate, deren Zuspruch bei den Kunden weiter stark ansteigt.

Und wieviel will und kann sich der stationäre Detailhandel leisten, um dieser Transformationsfalle zu entfliehen?

PS: Anstelle von Globus könnte man Dutzende anderer Händler nehmen; verdankenswerterweise publiziert Globus seine stationären Umsätze transparent und dient daher als Beispiel für diesen Artikel.

Wie wendig ist ein Supertanker? Bildquelle: Pixabay - Creative Commons Licence
Wie wendig ist ein Supertanker? Bildquelle: Pixabay – Creative Commons Licence


letzter ArtikelDer Award als Türöffner: Wertvolle Beziehungen und Kooperationen
nächster ArtikelMigros‘ Flirt mit Zalando: Digitec Galaxus kooperiert mit Tradebyte
Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

6 KOMMENTARE

  1. Es sei die Frage erlaubt wie sie digital Kundenbindung und Einkaufserlebnisse schaffen wollen?
    Als Käufer im Netz bin ich immer nur einen Mausklick vom „besseren Preis“ entfernt. Der gefühlte Preis ist der bessere Kaufentscheid. Kein Einkauf kann eindrücklicher und nachhaltiger funktionieren als ein analoger. Dort liegt auch die Ressource des stationären Einzelhändlers. Digitale Zusatzangebote müssen dringend ausgebaut werden, aber ein charmanter Verkäufer, ein gewinnendes Lächeln und eine Wahrnehmung über Augo, Ohr, Inhalt und intelligente Bedarfsermittulung kann die digitale Welt nicht ersetzen. Wenn der „gefühlte“ Preis für den Kunden stimmt, ist die Höhe des Preises zweitrangig.

    • Die Frage sei erlaubt und ich glaube, dass das aktuelle Kundenverhalten die Antworten zur Zeit ziemlich eindrücklich gibt. Denn die Dominanz der Onlinehändler ist nur möglich, weil die Kunden offenbar deren digitales Einkaufserlebnis dem analogen vorziehen.

    • Inteligente und innovative Loyality Programme die den Kunden regelmässig mit auf ihn und seine affinität abgestimmte Prämien anbieten wäre ein Ansatz. Den Kunden im über das Loyalty Programm beim Entwickeln von neuen Produkten miteinbeziehen, Communitys schaffen, interessanten, relevanten Content anbieten, so das eine Eigendynamik entsteht. Dazu ein interessantes Belohnungssystem entwickeln, welches fast jede Handlung eines Teilnehmer (Produktion von Content durch teilnehmer, Ideen für neue Produkte usw.) am Loyalty Programm belohnt, wenn er für die Community was interessantes beiträgt. Zufrieden Teilnehmer sind die besten Führsprecher für die Marke, sie steigern mit ihrem Handeln z. B. in den sozialen Netzwerken zusätzlich die Awarness für die Marke.

  2. Lieber Herr Heinemann, haben Sie derartige SEO Werbung in eigener Sache wirklich nötig?

    Wie dem auch sei, X-Channel ist eben nur eine Mogelpackung und bewirkt erstmal hohe Kosten und dann im EBIT nichts.

    Der stationäre Handel muss seine Stärken stärken und die Schwächen des Online Handels (hat da jemand eine Liste parat 😉) angreifen, falls von den Stationären die Bedeutung des Wortes noch jemand kennt.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Bitte fügen Sie ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie ihren Namen hier ein