Etailment: Warum Warenhäuser trotz Omni-Channel und iPads nicht zu retten sind

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“Sie bieten Click & Collect, träumen von Marktplätzen, kaufen Pure Player auf und wollen emotionaler sein als das Internet. Warenhäuser kämpfen gegen den Bedeutungsverlust. Doch es gibt gute Gründe, warum sie diesen Kampf verlieren werden.“

Nachfolgender Beitrag von Steffen Gerth ist bei etailment erschienen und beleuchtet die aktuelle Situation rund um eine mögliche Fusion von Karstadt und Kaufhof aus der digitalen Perspektive. Die Publikation in unserem Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung von etailment.

Sinngemäss kann er auch auf die Schweiz adaptiert werden, wo zum einen Warenhäuser mit Problemen kämpfen (Globus in Restrukturierung, Coop City mit rückläufigen Umsätzen und Manor baut ebenfalls ab und gibt Umsätze nicht mehr bekannt).

Zum anderen, akzentuiert sich das Problem der Warenhäuser gerade bei den Einkaufszentren. Da haben die 10 grössten Onlineshops der Schweiz die 10 grössten Shopping-Center bereits auf die Plätze verwiesen. Ein Lichtblick ist, dass Amazon (wohl noch länger) nicht die Dominanz im Schweizer Detailhandel hat, wie es in Deutschland der Fall ist.

Dennoch soll dieser – notabene bissige Text – zum Nachdenken anregen. Und vor allem, dass jetzt zwingend konsequent und radikal gehandelt werden muss (Mehr Mut im Schweizer Retail), um den Weg aus der Transformationsfalle zu finden.

Original Artikel von etailment:

© Galeria Kaufhof Alte Kaufhof-Pracht: Die frühere Tietz-Passage hatte alles, was Warenhäusern heute fehlt. Klasse
Jeden Wochentag dasselbe, immer kurz vor der „Tagesschau“, läuft im Ersten „Börse vor acht“. Dann berichten die Moderatoren an einem maximal prominenten Sendeplatz über fallende und steigende Aktienkurse, so dass der unbedarfte Fernsehzuschauer denken könnte: Hui, Aktien sind ja das ganz große Ding.

In Wahrheit haben nur etwa 15 Prozent der Deutschen diese Wertpapiere, gewiss, 2001, als der sogenannte Neue Markt überkochte und man Rendite erzielte wie heute beim Eurojackpot, waren es mal 20 Prozent. Trotzdem: Die Deutschen sind kein Volk der Aktienanlagen. Aber die öffentliche Wahrnehmung ist dank der Inszenierung im TV eine andere, im Prinzip kann man von einem Scheinriesen sprechen.

Hier Verlust, dort ein kleiner Gewinn

Und damit sind wir bei den deutschen großen Warenhäusern angekommen. Karstadt (67 Filialen) hat im Geschäftsjahr 2016/2017 laut Statista einen Netto-Umsatz von 2,12 Milliarden Euro geschafft, die Konkurrenz von Galeria Kaufhof erzielte mit 96 Filialen ungefähr 2,7 Milliarden. Nur: Dass 2017 ein Jahresverlust von 100 Millionen Euro zu Buche steht, Karstadt meldete immerhin mal wieder einen Gewinn – 1,4 Millionen Euro.

In der Summe reden wir hier also von einem Umsatzvolumen von nicht einmal 5 Milliarden Euro – demgegenüber stehen 512 Milliarden Euro Umsatz des gesamten deutschen Einzelhandels im Jahr 2017. Die beiden Warenhäuser haben damit nur noch 1 Prozent Marktanteil. In den großartigen frühen achtziger Jahren, als es ja auch noch Horten und die Quelle-Kaufhäuser gab, stand diese Betriebsform für fast 15 Prozent Marktanteil.

Von 15 auf 1

Von 15 auf 1 – trotzdem ist auch hier die Wahrnehmung eine andere. Jedes Zucken von Karstadt oder Kaufhof erzeugt eine Aufregung im Land, als ob der Einzelhandel neu erfunden – oder eben beerdigt wird. Irgendwie stehen diese Unternehmen für ein altes, solides Deutschland, Säulen der Wirtschaft und immer da halt.

Lieferservice? Gabs doch schon bei Kaufhof, als das Unternehmen noch Leonhard Tietz AG hieß
© Galeria Kaufhof Lieferservice? Gabs doch schon bei Kaufhof, als das Unternehmen noch Leonhard Tietz AG hieß
Dabei reichen kleine Marktforschungen im privaten Umfeld, um zu erfahren, welche Bedeutung beide Häuser bei den Verbrauchern heute noch haben: Es wird immer schwerer, Leute zu finden, die dort mit Begeisterung einkaufen – wer jünger als 30 Jahre ist, schonmal gar nicht. Es sei denn, man braucht mal Socken, einen Koffer oder billigen Schmuck.

Jetzt auch mit Click & Collect

Trotzdem schafft es Karstadt, die kleinen Erfolge mit maximaler Wahrnehmung zu vermarkten. Als der Chef Stephan Fanderl im März die Nachricht des ersten Gewinnes seit 12 Jahren verkündete, reklamierten diese Meldung mehrere Medien zeitgleich als exklusiv – das ist clevere Öffentlichkeitsarbeit.

Als Fanderl vor zwei Wochen verkündete, dass man in Berlin-Tegel die neue Filiale als digital vernetzten Marktplatz bauen wolle, in dem es auch Click & Collect geben soll, ging abermals ein großes „Donnerwetter“ durchs Land. Dabei ist Click & Collect im Jahr 2018 ungefähr so, als würde ein Autohersteller heute sagen, dass er seine Modelle ab sofort serienmäßig mit Klimaanlage ausstatten würde.

Schlimme Jahre hier wie dort

Aber gut, Karstadt hat schlimme Jahre hinter sich, in denen Nicolas Berggruen als Investor die größte Enttäuschung war. Bei Kaufhof haben die schlimmen Jahre gerade begonnen, die kanadischen Investoren von Hudson Bay Company haben „den deutschen Markt hoffnungslos unterschätzt“, wie es Joachim Stumpf formuliert, Chef der BBE Handelsberatung.

Dass jetzt Unternehmen angeblich erneut miteinander reden und Karstadt zu 51 Prozent im operativen Geschäft von Kaufhof einsteigen will, beschreibt gut den Zustand der Unternehmen: Sie müssen sich gegenseitig stützen. Wobei Kaufhof mittlerweile deutlich anlehnungsbedürftiger ist.

„Eine Fusion war immer eine Option“

Es ist nicht verwegen zu prognostizieren, dass dieses Zusammenarbeiten die Vorstufe des Zusammenschlusses beider Häuser ist. „Eine Fusion war immer eine Option“, sagt Stumpf. Man hätte es als ein Unternehmen leichter, Eigenmarken aufzubauen, wäre schlagkräftiger im Kampf gegen die vertikalen Händler, könnte alle zentralen Prozesse (Einkauf, Logistik) bündeln – und könnte einen starken Onlinekanal aufbauen.

Klingt gut. „Doch damit hätte man vielleicht nur zwei, drei Jahre gewonnen“, entgegnet Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Centers der Hochschule Niederrhein und nie zimperlich bei Prognosen: „Das sind zwei sterbende Dinosaurier, die wie auch weiter sterben werden.“

Umsatzzwerge im Onlinehandel

Zunächst einmal wollen beide gute Omnichannel-Händler werden. Kaufhofverkäufer setzen seit vier Jahren 1.500 Tablets ein, Karstadt hat das mittlerweile auch, online und offline sollen verknüpft werden. Kaufhof freut sich darüber, dass von Mai 2017 bis Februar 2018 Kunden über die Kaufhof-Website insgesamt 400.000 Produkte in den Filialen reserviert worden sind.

Show- und Testfläche für digitales Bling Bling bei Karstadt.
© Karstadt_(c)_by_Richard_Unger Show- und Testfläche für digitales Bling Bling bei Karstadt.
Doch was heißt das schon beim Blick auf den deutschen E-Commerce? Unter den größten Onlineshops lag Kaufhof im Jahr 2016 auf Platz 55 mit 111 Millionen Euro Umsatz, Karstadt.de rangiert in der Liste des EHI Retail Institutes gar nur auf Position 94 mit überschaubaren 75,5 Millionen Umsatz.

Wer braucht Kaufhof, wenn er Amazon hat?

Mit anderen Worten: Die Generalisten Karstadt und Kaufhof spielen im deutschen Onlinehandel keine Rolle. Das lässt sich allein im Vergleich mit dem Elektronik-Multichannelhändler Conrad Electronic ablesen, der als Spezialist mit 472 Millionen Euro Umsatz auf Platz 8 kam.

Grober Klotz bei dem nur noch ein pfeifendes Modem fehlt:: Das mobile Bezahlterminal im Karstadt mit angeschlossenem Bon-Drucker spart den Gang zur Kasse
© Frank Puscher Grober Klotz bei dem nur noch ein pfeifendes Modem fehlt:: Das mobile Bezahlterminal im Karstadt mit angeschlossenem Bon-Drucker spart den Gang zur Kasse
Für Gerrit Heinemann wird die Bedeutungslosigkeit der beiden Shops auch so bleiben. „Warum soll ein Amazon-Kunde sich plötzlich für Karstadt oder Kaufhof entscheiden“, fragt er rhetorisch. Der deutsche Onlinemarktführer ist eine Sortimentswalze, die fast alle Mitbewerber platt macht. Laut Heinemann hat Amazon 2017 rund 24 Milliarden Umsatz (Handels- und Marktplatzgeschäft addiert), für dieses Jahr wird ein Zuwachs von 20 Prozent erwartet, also 4,8 Milliarden Euro. Allein das ist fast mehr als der Umsatz von Karstadt und Kaufhof zusammen.

Erst einmal bekannt werden

Karstadt und Kaufhof müssten einen absurd hohen Aufwand betreiben, um irgendwie hier mithalten zu können. Das Sortiment müsste mindestens verfünfacht werden – und schließlich bedarf es einer Voraussetzung für ein gutes Omni- oder Multichannelgeschäft: die Kunden müssen erst einmal in den Shop gelockt werden. Wer online vor allem einen Massenmarkt ansprechen will, muss bei der Werbung klotzen.

Zalando hat es vorgemacht. Und in diesem Jahr will das Unternehmen 350 Millionen Euro in die digitale Entwicklung, in neue Logistikzentren, den Ausbau einer Sondergrößen-Sparte sowie die Erweiterung des Sortiments stecken. Der Baumarktbetreiber Hornbach steckte im Geschäftsjahr 2017/2018 immerhin noch 60 Millionen Euro in den Ausbau der Online-Kanäle – bei einem Umsatz von 4,1 Milliarden Euro trotzdem ein bescheidener Betrag.

Beteiligungen statt starker eigener Webshop

Aber 350 Millionen! Wie wollen hier die zwei angeschlagene deutsche Dinosaurier mithalten? Fanderls Antwort sieht so aus: Er wird wissen, dass er Karstadt.de nie zu einem relevanten Webshop aufpumpen kann – also bastelt er, genau genommen die Karstadt-Mutter Signa, an einem Satellitensystem im Onlinehandel. Beteiligungen, Übernahmen bei oder von bestehenden Pure Playern wie dem Sneakerhändler Stylefile, Internetstores, Dress-for-less oder Hood, über die Geld verdient werden soll.

Geld verdienen ist das eine – den Transfer von Know how das andere. Wer ein in die Jahre gekommenes Warenhaus auf Internet trimmen will, braucht neues Personal und neue Strukturen – schwer vorstellbar, wie die die gebeutelten Mitarbeiter der Warenhäuser hier auf die modernen Zeiten eingeschworen werden sollen. Wer nicht längst einen besseren Job gefunden hat, ist demoralisiert von Lohnkürzungen und Angst vor Arbeitsplatzverlust.

Also bringen die neuen Pure Player neues Leben in die alte Bude.

Der Traum vom erfolgreichen Marktplatzgeschäft

Doch beim Blick auf die Unternehmen, bei denen Karstadt eingestiegen ist, fragt man sich, wo da das große Geschäft zu erwarten sein soll. Der Marktplatz Hood etwa wirbt mit 5 Millionen Artikeln und 9 Millionen Kunden. Nett. Mehr nicht. Stylefile (von Signa Sports gekauft) bedient immerhin erfolgreich den Massenmarkt, der modisch ambitionierte Sneakerfreund kauft hier eher nicht ein. Wenigstens die Internetstores-Tochter Fahrrad.de erscheint attraktiv – der größte deutsche Online-Fahrradhändler klotzt halt auch mit Werbung.

© Karstadt_(c)_by_Richard_Unger
Stephan Fanderl will Karstadt zu einem großen Marktplatz umbauen, im Internet wie auf der Fläche. Marktplatz ist eben das Zeitgeistthema, einfach einen eröffnen, die Beschicker akquirieren – und ohne viel Aufwand an den Verkaufsprovisionen verdienen. Oder eben in den Filialen immer mehr Flächen an andere Händler oder Hersteller vermieten (wodurch übrigens auch der 1,4 Millionen Euro Gewinn von Karstadt zu erklären ist). So träumt man sich die Zukunft zurecht.

Das Internet-Marktplatzgeschäft ist verteilt

Gerrit Heinemann rechnet vor, dass das deutsche Online-Marktplatzgeschäft zu 97 Prozent in den Händen von Amazon und Ebay ist. Es geht also nur noch um drei Prozent, um die Anbieter wie Hood, Rakuten, Allyouneed, Dawanda und neuerdings Limango kämpfen.

Wo will hier Karstadt noch etwas reißen? Wie will man die Marktplatzbeschicker akquirieren, wenn diese doch bei Amazon eine viel größere Reichweite haben?

Fusion? Fusion!

Es wird alles auf eine Fusion der beiden Traditionshäuser hinauslaufen, alles andere wäre unsinnig. Drastische Entschlackung des Filialnetzes, Umnutzung der geschlossenen Häuser. Dass eine Innenstadt und damit der restliche Handel ohne den 2015 geschlossenen Stuttgarter Karstadt dramatisch Frequenz verlieren soll, wie allseits behauptet wird, könnte man mal überprüfen. Dort hat der Projektentwickler Signa Real Estate Germany eine Mischung aus Handelsfläche sowie Büros geschaffen – der Billigtextilit und Kundenmagnet Primark ist einer der neuen Mieter.

Aber darauf zu hoffen, dass ein paar Tablets oder ein paar Online-Beteiligungen Unternehmen retten, die keine Marktrelevanz mehr haben, für die sich nur noch Immobilieninvestoren interessieren und deren Betriebskosten bezeichnenderweise von zwei ehemaligen Lebensmittelhandel-Profis (Karstadt-Chef Fanderl war früher bei Rewe, Kaufhof-Chef Roland Neuwald bei Real) optimiert werden ist optimistisch.

Gegen das Internet hilft nur: grandios sein

„Das Warenhaus hat definitiv eine Zukunft. Aber wir brauchen eine stärkere Differenzierung der Sortimente und individuelle Lösungen von Standort zu Standort. Wir müssen emotionaler werden und stationär noch mehr Dinge bieten, die uns vom Internet unterscheiden“, sagte Neuwald jüngst dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Doch wer sich heute stationär positiv vom Internet heute unterscheiden will, muss derart grandios sein bei Ladenbau, Sortiment und nicht zuletzt Personal, dass es kaum vorstellbar ist, wie das Karstadt und Kaufhof schaffen wollen. Vielleicht ist die Zeit vorbei für das Warenhaus, weil Amazon längst das neue Warenhaus ist.

Vielleicht ist das ja in naher Zukunft auch ein Thema für „Börse vor acht“.



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