Interview: Trends im E-Commerce (Teil 1/3)

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Nawid Ali-Abbassi hat vor einigen Tagen im Rahmen seines Studiums in Economics and Business Information Systems an der European Business School im deutschen Oestrich-Winkel ein Telefoninterview mit mir zu Trends im E-Commerce geführt. Für seine Arbeit hat er eine Abschrift des Gesprächs erstellt, die ich mit seiner Erlaubnis in leicht gekürzter Form in drei Teilen in diesem Blog publiziere.

Teil 1:

Hallo Herr Lang, vielen Dank für Ihre Bereitschaft zum Interview. Bitte sagen Sie doch vorne weg ein paar Worte zu sich und Ihrem Hintergrund.

Ich berate mannigfaltigste Unternehmen im Bereich E-Business und E-Commerce, wie eingangs schon erwähnt. Zudem blogge ich auch über E-Commere Themen und halte im Jahr zwischen 5 und 10 Referate, meistens explizit zu Trends im E-Commerce, wo wir verschiedene Trends vorstellen und auch mit Beispielen untermauern. Nebenbei unterrichte ich noch an der Fachhochschule Nordwest Schweiz, die unter anderem in Basel beheimatet ist, und decke dort als Dozent den Bereich Online Vertriebskanäle ab.

Bitte geben Sie doch noch einen kurzen Einblick darin, wie sie bei der Trendidentifizierung im E-Commerce vorgehen.

Es ist eigentlich ein ständiges Beobachten von neuen Modellen, von neuen Konzepten aber auch von neuen Technologien und wie diese explizit in Verbindung mit E-Commerce eigentlich auch angewandt werden. Trends gibt’s zum einen für das ganze E-Business oder die ganze Internetbandbreite, welche sich dann teilweise vom funktionalen Umfang her auch im E-Commerce etablieren oder auch nicht.

Und zum anderen sind das effektiv auch ganz neue Geschäftsmodelle, die sich trendartig aufmachen. Auf die Trends zu kommen ist ein ständiges Beobachten, Analysieren, Vergleichen, wie sich die eigentlichen Dinge entwickeln, und vor allem immer Recherchieren und viel Lesen.

In wieweit ergeben sich die Trends aus Ihren eigenen Überlegungen? Und in wieweit lassen Sie die Gedanken anderer Personen in Ihre Ideen einfließen?

Das ist eigentlich ein Mix. Also ich würde sagen das ist etwa halb/halb. Das sind zum einen sehr viele andere Gedanken aus Studien, die man entweder unterstützt und dann zu seinem Eigen macht oder halt auch mal sagt „nein, das geht nicht“ und dann den Trend wieder umkehrt und die These vertritt, das hat nicht wirklich Potenzial, oder vielleicht auch nur nicht in der Schweiz und vielleicht in Deutschland schon. Es gibt solche Ansätze, die in einem Land funktionieren mögen und in dem anderen eher nicht.

Sagen Sie doch bitte noch kurz was für Sie selber der Begriff „Trend“ bedeutet und wie Sie das für sich selber greifbar machen.

Trend würde ich mal so kurz beschreiben ist eine Tendenz oder eine Entwicklung in eine (positive) Richtung, die zuerst von einzelnen Marktteilnehmern aufgenommen werden und dann mittelfristig bzw. kurz- bis mittelfristig, also innerhalb von 1 bis 2 Jahren etwa, auch die breite Masse da quasi mitmachen wird. Ein Trend kann durchaus ein Input sein für Marktteilnehmer die schon am Markt sind und sich da beeinflussen lassen möchten dann.

Vielen Dank. Soweit wäre das auch der erste Teil. Im zweiten Teil wäre es interessant zunächst ohne auf die von mir zusammengestellten 10 Trend einzugehen Ihren allgemeinen Eindruck zu erfahren, insbesondere welche Trends Sie persönlich momentan im E-Commerce sehen und welche die besonders starken sind.

Vor allem die technischen Entwicklungen, die man auf anderen Plattformen schon seit langem beobachten kann. Vor allem von der funktionalen Seite von der technischen Seite, die jetzt auf den E-Commerce angepasst werden. Ich denke da vor allem an die Bewegtbilder, an die Videos, an die Produktpräsentationen, die halt aufgrund der verfügbaren Bandbreite besser dargestellt werden können. Anderseits sind es neue Konzepte wie man verkaufen kann.

Das heißt wie präsentiere ich mit welchen Modellen der Kundschaft. Stichwort Live Shopping etc. oder VIP Shopping. Und zum dritten ist es die Verkaufsunterstützung. Das heißt wie kriege ich bzw. wie verkaufe ich noch effizienter, noch stärker. Das ich quasi nicht alles selber bewerbe sondern mit Hilfe von anderen Konsumenten, Teilnehmern und Käufern. Das heißt hier wieder das Stichwort Social Commerce und Interaktion zwischen den Usern.

Ja dann lassen Sie uns doch konkret auf die 10 Trends zu sprechen kommen. Ich hatte die Ihnen ja schon zugesandt. Vielleicht zunächst Ihr genereller Eindruck. Sind das auch die, die sie so ungefähr sehen, gibt es einige wo Sie sagen, die fehlen auf jeden Fall, die müsste man dort noch reinpacken?

Also grundsätzlich, 80 bis 90 Prozent decken sich eigentlich mit meinen. Was ist eigentlich vermisst habe sind die ganzen Interaktion oder Integrationen mit anderen Plattformen. Also ich denke mir, dass ich Teile von Shops oder Funktionalitäten auslagere in andere Applikationen rein, sei das Facebook oder andere soziale Netzwerke oder ob ich das meinen Usern zur Verfügung stelle und diese die auf ihren Seiten oder in ihre Shops einbauen können.

Also diese ganze Thematik. Das geht natürlich in die Richtung Mash-Ups, aber weniger, dass ich die Inhalte bei mir zusammenmische, sondern, dass ich einen Teil von mir der Öffentlichkeit zur Verfügung stelle, dass die das dann auch wieder benützen können. Das habe ich noch vermisst. Sonst halt noch einige Dinge punktuell zu den einzelnen Trends.

Dann steigen wir doch einfach in den ersten Trend ein. Das ist Live Shopping. Sagen Sie doch am besten erstmal von Ihrer Seite etwas dazu.

Extrem spannend. Verfolge das mit sehr großem Interesse und bin einfach erstaunt, dass das in der Schweiz nicht funktioniert. Ich hab mir Gedanken dazu gemacht. Warum geht’s nicht? Sind wir anders, vom Kulturellen her? Stichwort „Geiz ist geil“. Ob das in der Schweiz weniger oder noch weniger verbreitet ist?

Also wir haben kaum einen Player in der Schweiz. Wir haben doch etwas knapp 50 in Deutschland. Das hat ja rasant zugenommen, vor allem im letzten Jahr. Und im gesamten Konzept Live Shopping gibt es ganz interessante Aspekte. Sie hatten preisbock.de erwähnt, es gibt z.B. rabattschlacht.de, wo mit einem cleveren Mechanismus die Preisfindung stattfindet.

Ich hatte das Gefühl Live Shopping Seiten gehen vom Look & Feel in Richtung Rückwärts Auktionen. Wie sehen Sie das?

Hat natürlich solche Aspekte. Die Rabattschlacht ist natürlich eine Art von Rückwärtsauktion. Wobei da die Finanzierung natürlich wunderbar dadurch stattfindet, dass jeder zahlt, der sich den Preis ansieht. Der Preis ist nicht offengelegt. Ich kann paar Euro-Cents zahlen und den Preis für eine gewisse Zeit auch sehen.

Das Modell muss man natürlich durchrechnen und das kann funktionieren, wenn sich genug Leute die Preise aufdecken und paar Euro-Cents abgeben. Dadurch kann man die Preisreduktion natürlich gut abfangen, wenn das richtig funktioniert.

Halten Sie grundsätzlich die Live Shopping Konzepte für finanziell tragfähig?

Wenn die Seiten eine kritische Masse haben dann natürlich. Aber das ist eine Frage ob sie wirklich diese kritische Masse an Teilnehmern erreichen können. Bei plus minus 50 Anbietern wird das natürlich schwierig werden sich zu etablieren. Ich denke es wird daher eine Marktbereinigung geben und wir werden vielleicht ein Dutzend oder vielleicht maximal 20 auf die Dauer sehen.

Sie halten das aber schon für ein langfristiges Konzept, wenn ich das richtig rausgehört habe?

Wird sich weisen. Ich denke am wahrscheinlichsten ist, dass Shops die breiter aufgestellt sind gewisse Live Shopping Komponenten mit aufnehmen. Ich denke die große Zukunft wird eher da liegen, dass ein Service mit einem reinen Live Shopping Angebot, mit einem reinen vergünstigten Angebot und nichts anderem, wirklich mit der großen Masse operieren muss.

Ich sehe in der Zukunft eher, dass quasi breiter aufgestellte etablierte Shops hier auf den Zug aufsetzten und gewisse Live Shopping Komponenten, wie man das bei Otto schon sieht, mit aufnehmen mit Tagesaktionen. Die ganze Infrastruktur die da schon besteht kann adaptiert werden.

Sehen Sie in bestimmten Branchen verstärkt Potenzial oder ist das etwas, das in allen Bereichen funktionieren kann?

Ja es müssen schon Güter sein, die sich schnell verkaufen lassen, hochstandardisiert sind und sehr wenig After-Sales haben. Also so Gadget, Unterhaltungselektronik, standardisierte Sachen. Ich bin mir nicht sicher, ob es im Textilbereich schon jemanden gibt, aber da hat man wieder verschiedene Größen, Variationen. Da wird man wieder ans Limit kommen mit Live Shopping und Verknappungssachen.

Gut dann gehen wir direkt zum zweiten Trend. Das sind die Shopping Clubs. Vielleicht noch mal Ihr genereller Eindruck zu der Entwicklung.

Ja spannender Ansatz natürlich mit geschlossenen Einkaufsgruppen der Zugang zu attraktiven Produkten bieten kann, hat aus meiner Sicht 3 bis 4 Aspekte. Zum einen gibt es das System ja schon seit Jahrzehnten z.B. Bücherclubs. Eigentlich handet es sich um dasselbe System , wo eine Mitgliedschaft erforderlich ist, ob kostenpflichtig oder nicht sei dahingestellt, aber mit der hab ich Zugang zu einem exklusiven Sortiment, zu reduzierten Preisen habe.

Diese Konzepte sind jetzt auf neue Medien adaptiert worden. Da es sich um eine geschlossene Benutzergruppe handelt weiss ich genau wer dabei ist. Damit kann ich am normalen Retail vorbeioperieren. Dieses Modell ist damit kein öffentlicher Verkauf und stellt damit a priori nicht unbedingt eine Konkurrenz für den stationieren Verkauf dar.

Man sieht das im Internet ja bereits sehr stark im Textilbereich. Wie ist Ihre Beobachtung? kommen da andere Bereiche die das übernehmen oder bleibt das eher in dem Bereich?

Wir haben in der französischsprachigen Schweiz auch einen Player www.eboutic.ch, der macht auch andere Sachen. Da sind zum Teil Haushaltsgeräte drin, Design-Artikel von Alessi, Hygienegeräte von Braun usw. Solange es sich um hochstandardisierte Güter handelt sehe ich da durchaus auch potenzial außerhalb der Textilbranche.

Wo sehen Sie genau die Vorteile eines solchen Clubs? Man könnte doch solche Produkte auch über offene Plattformen vertreiben.

Da haben Sie das Problem, dass Sie die anderen für sie als Hersteller ebenfalls (noch) wichtige Vertriebskanäle verärgern. Der stationäre Handel ist vorerst noch darauf angewiesen, dass er weiter verkaufen kann, gewissen Beratungsfunktionen wahrnehmen kann. Es ist quasi eine Doppelstrategie. Deshalb verstehe ich den Ansatz über a priori geschlossenen Gruppen, es ist ja kein Problem in solche Clubs hineinzukommen, aber halt rein rechtlich mit geschlossenen Gruppen operiert wird.

Bisher hatte ich das Gefühl das Konzept ist dazu da, um klassische Outlet Stores abzulösen. Wie sehen Sie das?

Ja es gibt verschiedene Ansätze. Zum einen Restbestände, Lager Überbestände, Überproduktionen. Aber Sie können nicht nur das anbieten. Sie müssen auch paar aktuelle Sachen rein tun, damit Sie dieses Ramscher Image nicht aufgestempelt bekommen.

Meinen Sie das ist ein ganz neuer Markt oder nimmt er anderen Märkten einfach Anteile weg, z.B. Ebay oder andere Plattformen?

Gute Frage. Vom stationären Handel wird er nur beschränkt Marktanteile wegnehmen. Denn er kann auch einen Brand stärken und verbreiten.

Davon abgesehen, meinen Sie dass dieser Trend uns noch eine lange Zeit begleiten wird?

Ich denke schon. Wie gesagt, weil das Konzept generell nicht neu ist. Ich habe vorhin schon Bücherclubs genannt. Da gibt’s noch Reiseclubs usw., wo durch eine Mitgliedschaft Zugang zu verbilligten Services und Güter ermöglicht wird. Diese haben sich auch über Jahre hinweg gehalten und ich denke schon das diese entsprechend Bestand haben werden.

Wo meinen Sie befinden wir uns in der Entwicklung dieses Trends? Eher am Anfang oder in einem reiferen Stadium?

Ich würde sagen nicht ganz am Anfang aber auch noch nicht wirklich in der Reifephase. Ich denke da gibt’s noch Potenzial und Verbreitungsmöglichkeiten. Vor allem aber noch mehr Player.

Sind das von Ihrer Perspektive eher Nischenplayer oder eher übergreifende Player?

Ich denke eher Nischenplayer bzw. vertikale Player die sich auf einen Bereich spezialisieren, beispielsweise Wein wäre natürlich etwas sehr interessantes.

Wie meinen Sie kann man mit dem Konzept Geld verdienen? Geht das über den Verkauf der Dinge oder gibt’s da noch andere Möglichkeiten? Und trägt sich dieses Konzept auch?

Ich hoffe es. Mit der kritischen Masse können sie mit geringen Margen arbeiten. Wenn Sie gute Prozesse, gute Systemintegration auf der Rückseite haben. Das heißt wenn sie viele Transaktionen mit relativwenig Aufwand über die Bühne bringen können. Dann können Sie natürlich mit geringen Margen arbeiten, weil sie eine große Anzahl verkaufen.

Und halten Sie Mitgliedschaftsgebühren für machbar?

Könnte ich mir vorstellen, dass man bereit ist dafür zu zahlen, wenn der Vorteil auf der Hand liegt. Also wenn ich z.B. pro Jahr 20 oder 30 Euro entrichte und damit die Möglichkeit oder gar eine Garantie erhalte, dass ich einige hundert Euro einspare. Gebührenfinanzierte Shops würde ich nicht ausschließen.

Teil 2 folgt



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

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