Neuromarketing im E-Commerce: Zielgruppen Dreinull

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Die Distanz zwischen Käufer und Verkäufer lässt sich im Internet nicht „patchen“. Darum müssen sich alle Online-Händler anderer Mittel und Wege bedienen, um zumindest die gefühlte Distanz zu verringern und die Ansprache, Motivation sowie das visuelle Layout der Website in kundengerechter Weise zu gestalten. Dazu orientiert man sich am besten an Zielgruppen.

Neuromarketing_Personas

Folgende Situation dürfte vielen bekannt vorkommen: Eine interne Projektgruppe soll die bestehende E-Commerce-Lösung erneuern. Je mehr Stakeholder, desto mehr Ansprüche, die durchgesetzt umgesetzt werden sollen. Am Ende wird ein Konzept geschnürt, damit alle zufrieden sind und der Zeitplan eingehalten werden kann. Und zwei Jahre später sehen sich dann alle wieder, um nochmal alles neu zu machen.

Das Problem dabei ist meistens der viel zu starke Fokus auf die Innensicht der Dinge. Dabei wäre die Aussensicht beim Wesentlichen sehr viel wichtiger. Es geht um diejenigen, die eine Web-Lösung später nutzen sollen, um die gesetzten Ziele (abgeschlossene Warenkörbe, gesendete Kontaktanfragen …) zu erreichen. Kurz: es geht um die Nutzer der Webseite und nicht um dessen Architekten.

Denn nur wenn eine Webseite in der Lage ist, aus zum Teil teuer eingekauften Nutzern auch zahlende Kunden zu machen, hat sich der Aufwand – auch betriebswirtschaftlich – gelohnt. Eine kundenzentrierte Sichtweise einzunehmen ist daher immer besser, als mit zu viel Unternehmenssicht an die Gestaltung oder Optimierung der eigenen E-Commerce-Lösung heranzugehen.

Die Erfahrung zeigt immer wieder, dass die Ergebnisse einer Innensicht zum Teil um Welten an den Kunden vorbeigehen, weil einfach nicht die gleiche „Sprache“ gesprochen wird oder die tatsächliche Relevanz einzelner Elemente und Funktionen sehr unterschiedlich stark gewichtet werden. Aus diesem Grunde sind richtig definierte Zielgruppen ein wesentliches Fundament, auf dem E-Commerce-Lösungen aufbauen sollten.

 

Nutzer = Kunden = Zielgruppen

Zielgruppen sind Kundensegmente, an die eine Kommunikation bzw. E-Commerce-Lösung ausgerichtet wird. Dabei werden alle (gewünschten) Kunden, die über gemeinsame Merkmale verfügen zu Gruppen zusammengefasst. Entweder erhalten die gemeinsamen Nenner das grösste Gewicht innerhalb einer Lösung oder es gibt eine Reihe von verschiedenen Lösungen, zugeschnitten auf die jeweiligen Kundensegmente.

Früher kannte man seine Kunden persönlich. Mal mehr mal weniger gut. Dies hatte für die Händler den grossen Vorteil, dass man in direktem Austausch zueinander stand. Klassisches Beispiel ist hier der gute alte „Tante Emma – Laden“. Man wusste ganz einfach, wer seine Kunden sind und worauf sie wie reagierten.

Vor allem mit Aufkommen des Distanzhandels wurden Kundendaten immer wichtiger, so dass eine demografische Segmentierung mit den immer akkurater werdenden Datenmengen stets umfassender wurde. Trotzdem geht eine rein (sozio-) demografische Segmentierung durch Einkommen, Familienstand, Region, Geschlecht oder Alter nach dem Stand des heute Machbaren nicht mehr weit genug.Vor allem in Anbetracht der Skalierungs- und Wachstumsproblematik im heutigen E-Commerce. Zwar werden die zugrunde liegenden Daten stets präziser und besser (Stichwort CRM und Big-Data), müssen jedoch noch immer mühsam miteinander verknüpft und vor allem richtig interpretiert werden.

 

Personas 3.0 – die Grundlage für Neuromarketing im Internet

Vor allem aus E-Commerce-Sicht haben Zielgruppen eine hohe Relevanz, da dem Konsumenten hier kein geschulter Verkäufer gegenübersteht, der seine Verkaufsargumentation anhand von Mimik und Gestik des Kunden anpassen kann. Damit sind Zielgruppen für Webseiten aller Zielsetzungen im Zusammenhang mit einer Steigerung der Konversionsrate ein erfolgsentscheidender Faktor.

Aus der Hirnforschung wissen wir heute, dass Kaufentscheidungen bis zu 95% emotional gesteuert sind. Nicht rational (genau genommen ist Rationalität auch emotional begründet). Und Emotionen werden entweder durch äussere Reize direkt erlebt oder vom Gehirn erinnert. Dies führt dann prinzipiell zu einer Veränderung von physiologischen Zuständen und beeinflusst letztlich die Handlungsentscheidungen massgeblich (das „Bauchgefühl“).

Kaufentscheidungen werden also praktisch immer unterbewusst getroffen. Wäre es nicht toll, könnte man das nutzen, um zB. die Conversion-Rate oder die Kundenzufriedenheit zu steigern? Die gute Nachricht ist: es geht – und wie!

Hierzu ist folgendes wichtig: Emotionen basieren auf Bedürfnissen – und Bedürfnisse entstehen aus unterbewussten Motiven, respektive aus einem Ungleichgewicht zwischen den Motiven.

Limbic Map und die Motive der Kunden

Um nun einen Einfluss auf die Handlungsentscheidungen nehmen zu können, muss man also die bedürfnisauslösenden Motive ansprechen, damit diese dann die gewünschten (positiven) Emotionen auslösen können, dem Konsumenten ein „gutes Bauchgefühl“ vermitteln und dem Online-Händler sehr gute Chancen auf einen abgeschlossenen Warenkorb einräumen.

Wie macht man das?

Der beste Weg, um die Vorteile der limbischen Zielgruppen für sich nutzen zu können beginnt mit dem Erstellen von Personas, den Archetypen Ihrer Kunden. Daraus werden einzelne Sed-Cards gestaltet, die Ihre Zielgruppe mit folgenden Merkmalen bestimmt:

  • Foto, Name, Alter, Beruf
  • Werte und Moral
  • Rollen, Aufgaben und Situationen
  • Ängste und Befürchtungen
  • Motto und Wahlspruch
  • plus: alle weitere für Sie relevant interessante

Zielgruppendefinition - Prozess

Sie brauchen dazu Menschen, die idealer Weise echten Kontakt zu Ihren Kunden haben. Lassen Sie sich echte Kundengeschichten erzählen (nicht nur die negativen) und kartografieren letztlich alles auf der limbischen Karte (siehe oben). Je mehr dieser Karten Sie haben, desto besser. Man sollte es ja nicht machen, aber in diesem Fall ist es OK: schubladisieren Sie die Menschen, Ihre Kunden. Am Ende sollen Sie vier bis fünf dieser Schubladen haben.

Darauf aufbauend, sollten noch demografische Merkmale einfliessen. Frauen sind anders. Männer auch. Erst recht, wenn man die Altersstrukturen betrachtet. Selbst der dominanteste Typ wird mit zunehmendem Alter balanceorientierter.

Und welche Kunden sind für Sie die profitabelsten? Freilich können sich nur die Wenigsten auf wirklich alle segmentierten Zielgruppen gleichermassen ausrichten. Daher ist es sinnvoll, am Ende die betriebswirtschaftlich interessantesten Zielgruppen zu wählen. Denken Sie dabei an den zunehmend wichtiger werdenden Customer-Lifetime-Value.

 

Fazit: der Shop hat genau was ich brauche!

Wer also die Effizienz der Zielerreichung im E-Commerce steigern möchte, der muss Emotionen hervorrufen. Auf Basis von Wünschen und Bedürfnissen der Kunden!

Vor dem Hintergrund der Conversion Optimierung, sprich der Steigerung von Effizienz und Effektivität in der Zielerreichung (mehr Käufer / steigende Warenkörbe) sind Relevanz und Motivation von ausschlaggebender Bedeutung. Von der Suche bis zum abgeschlossenen Warenkorb. Während zu Beginn des Besuchs eher die Relevanz zum Gesuchten im Vordergrund steht, wird mit zunehmender Interaktion die Motivation zur Zielerreichung immer wichtiger. Beides, sowohl die Relevanz als auch die Motivation, sind das Ergebnis von impliziten Erwartungen und Bedürfnissen der Besucher.

Je besser der Online-Händler diese kennt, einschätzen und vor allem gezielt (implizit) bedienen kann, desto grösser sind die Vorteile gegenüber dem Wettbewerb. Nicht nur in der Zielerreichung selbst, sondern auch in dem, durch den Kunden wahrgenommenen Einkaufserlebnis, denn der wird sich gut aufgehoben fühlen. Und das wollen wir doch alle.

Daher: richten Sie Ihre Ansprache – und das beinhaltet auch das visuelle Layout, die Preisgestaltung uvm. – möglichst implizit auf Ihre Kunden aus. Das geht nur, wenn Sie die Motivatoren kennen. Diese wiederum entstammen der Motiv-Welt Ihrer Kunden. Und diese zu ermitteln ist Aufgabe der limbischen Personas.

Dies mag auf den ersten Blick recht umfassend und aufwändig aussehen, dafür ist es sehr nachhaltig. Und nachhaltige Planung ist im E-Commerce ein Schlüsselfaktor, um die Weichen für Morgen schon heute zu stellen.

Apropos morgen …

Ich bin sicher, dass „Big-Data“ im E-Commerce von Übermorgen eine enorm grosse Rolle spielen wird. Doch solange die auswertenden Systeme noch keine akkurate Interpretation der heute vorhanden Daten, bzw. aus der Form der heute vorhanden Daten zulässt, kommt die hoch potente Datenwolke noch als Ungetüm daher (und was die Datenschützer künftig zulassen oder verbieten werden steht auch noch in der Sternen).Von daher würde ich das Thema „Big-Data“ lieber auf Übermorgen verschieben und dafür das Heute und Morgen fokussieren: die Zielgruppe Dreinull



3 KOMMENTARE

  1. Ein sehr guter Beitrag und ein hoch relevantes Thema. Dazu noch folgendes als Ergänzung: Trockene Produktbeschreibungen langweilen eher und haben wenig Überzeugungskraft. Wirksam sind stark wirkende Emotionen in Bild und Text, die ein Produkt zu einem Erlebnis machen und dessen Verwendbarkeit und Nutzen zu einer spannenden Geschichte werden lassen. Videos (dies kann auch eine Verlinkung zu einem Youtube-Video sein), Bildergalerien, Slideshows und ähnliches sind einige Möglichkeiten. Auch Interviews mit Kunden und deren Erfahrung mit ihren Produkten können durchaus emotional und vor allem auch sehr glaubwürdig wirken.

  2. Hallo Timo Oelerich!

    Ich habe deinen Artikel mit großer Interesse gelesen, da ich mich auch im Rahmen meiner Ausbildung mit dem Thema Psychologie beschäftige. Im besonderen beschäftige ich mich damit,wie sich unterschiedlichste Einflüsse von außen auf unser Verhalten auswirken. Meiner Meinung nach ist es erstens wichtig, das Produkt immer wieder ins Gedächtnis des Kunden zu rufen, um den Wunsch danach langfristig zu festigen. Und wie du ausführlich beschrieben hast, müssen auch die persönlichen Einstellungen, Charaktereigenschaften und Ansprüche eruiert werden, um den individuellen „Kaufcode“ zu knacken. Sehr interessantes Thema, ich werde mich auf jeden Fall diesbezüglich auf den Laufenden halten. Danke für den interessanten Beitrag!

    • Hallo Julia
      Besten Dank für Dein Feedback. Wenn Du irgendwann den Buy-Button gefunden hast sagt bitte Bescheid 😉

      Unser Gehirn scheut kognitiven Aufwand. Daher werden äussere Einflüsse auch zu 99% unterbewusst verarbeitet. Dabei wird quasi alles in Schubladen gesteckt und bleibt prinzipiell abrufbar. Auf diesem Wege vernetzt das Gehirn Dinge miteinander und „weiss“ zB. dass Zahnpasta XY besonders gut für die Zähne ist. Eben weil es unterbewusst immer wieder damit konfrontiert wird (Werbung). Je „gehirngerechter“ diese Informationen vermittelt werden, desto „einfacher“ ist der Weg ins Gedächtnis. Und je relevanter die übermittelten Informationen für den Empfänger sind, desto hochwertiger werden diese vom Gehirn eingestuft. Die individuelle Wertigkeit definiert sich aus den persönlichen Werten und Motiven im limbischen System (Emotions-Zentrum). Und genau dort werden (Kauf-)Entscheidungen getroffen, die letztlich durch den Neo-Cortex quasi „rational“ abzusegnen sind.

      Wenn man also die Motive (als persönliche Entscheidungsgrundlage) erreichen möchte, dann müssen die Botschaften mit relevanter Bedeutung aufgeladen sein. Und um zu segmentieren, was für wen in welchem Masse Bedeutungsvoll ist, eignen sich die limbischen Personas als Grundlage weiterer Segmentieren sehr gut. Die Kunst dabei ist möglichst gehirngerecht zu kommunizieren. Hierzu gibt es vier Code-Ebenen: (1) die Sprache, (2) Geschichten, (3) Symbolik und (4) Sensorik. Je inhaltlich, respektive emotional übereinstimmender EIN Brand auf ALLEN Ebenen kommuniziert, desto wirksamer. In der Folge können Kunden zu Loyalisten werden (siehe Apple). Der Preis eines Gutes spielt dann eine untergeordnete Rolle. Und dadurch ist es möglich, dem preisorientierten Verdrängungswettbewerb zu entkommen.

      Ist wirklich ein interessantes Thema und zeigt, wie wichtig Motivation ist. Ein, wie ich finde ganz tolles Buch hierzu findest Du hier

      Beste Grüsse,
      Timo Oelerich

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