Sind Schweizer Onlineshopper weniger anspruchsvoll? Alles eine Frage der Interpretation!

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Das ECC Köln hat diese Woche mit einer Pressemeldung die bereits im April vorgestellte Studie „Erfolgsfaktoren im E-Commerce – Top Online-Shops in der Schweiz 2014“ nochmals mit dem fragenden Titel „Wie ticken Schweizer Online-Shopper?“ zielgenau auf’s Sommerloch kommuniziert, was die Presse denn auch dankend annahm. Man muss neidvoll zugeben, Volltreffer!

Im journalistischen Aufguss war denn auch zu lesen, dass Schweizer generell einen tieferen Anspruch an Onlineshops hätten (u.a. Internetworld), dass gemäss der Studie die Ansprüche der Schweizer kleiner sind (u.a. inside-it) oder dass sich die im Vergleich durchweg geringeren Ansprüche der Schweizer an Online-Shops sich durch den höheren Professionalisierungsgrad der Online-Shops in Deutschland erklären lassen (u.a. Bilanz).

Die Netzwoche zitiert die Studienleiterin Sabrina Mertens wie folgt:

„Die im Vergleich durchweg geringeren Ansprüche der Schweizer an Online-Shops lassen sich durch den höheren Professionalisierungsgrad der Online-Shops in Deutschland sowie der höheren Kauffrequenz der deutschen Online-Shopper erklären.“

Sind denn die Schweizer Onlineshopper wirklich weniger anspruchsvoll?

Die wichtigsten Kriterien für Onlineshopper im DACH-Raum - Quelle: ECC Köln 2014
Die wichtigsten Kriterien für Onlineshopper im DACH-Raum – Quelle: ECC Köln 2014

Die Frage ist grundsätzlich interessant und es lohnt sich, diese etwas genauer zu beleuchten. Die Aussage, dass die Onlineshops in Deutschland professioneller seien, können wir so nicht stützen.

Punktuell – insb. im Bereich der Content-Produktion – sind Vorprünge zu verzeichnen, aber generell lässt sich diese Aussage nicht erhärten, wie wir aus unserer vielfältigen Jury-Tätigkeit in DE und CH ableiten.

Ich habe mir die Mühe gemacht, um die Aussagen in der Studie pro Land zu priorisieren in der relativen Wichtigkeit und nicht in der absoluten wie in der Studie.

DE AT CH
  1. Gute Qualität der Produkte (60%)
  2. Gutes Preis-Leistungsverhältnis
  3. Präferierte Zahlungsmethode vorhanden
  4. Offenlegung aller Kosten
  5. Kostenlose Lieferung ab Mindstbestellwert
  6. Ausführliche und informative Produktbeschreibung
  7. Unkomplizierte Retourenabwicklung
  8. Einfache Einlösemöglichkeit eines Gutscheins
  9. Verfügbarkeitsanzeige im Onlineshop
  10. Übersichtliche Startseite (39.6%)
  1. Gute Qualität der Produkte (58%)
  2. Offenlegung aller Kosten
  3. Gutes Preis-Leistungsverhältnis
  4. Kostenlose Lieferung ab Mindstbestellwert
  5. Ausführliche und informative Produktbeschreibung
  6. Unkomplizierte Retourenabwicklung
  7. Präferierte Zahlungsmethode vorhanden
  8. Übersichtliche Startseite
  9. Einfache Einlösemöglichkeit eines Gutscheins
  10. Verfügbarkeitsanzeige im Onlineshop (40.8%)
  1. Gute Qualität der Produkte (50.8%)
  2. Gutes Preis-Leistungsverhältnis
  3. Offenlegung aller Kosten
  4. Kostenlose Lieferung ab Mindstbestellwert
  5. Präferierte Zahlungsmethode vorhanden
  6. Ausführliche und informative Produktbeschreibung
  7. Übersichtliche Startseite
  8. Einfache Einlösemöglichkeit eines Gutscheins
  9. Verfügbarkeitsanzeige im Onlineshop
  10. Unkomplizierte Retourenabwicklung (32.4%)

Es zeigt sich, dass die Unterschiede in der relativen Priorisierung marginal sind und Schweizer sich wohl alles andere als „weniger anspruchsvoll“ zeigen. Sie haben vergleichbare Prioritäten, messen denen einfach weniger Relevanz bei – oder haben die Fragestellung weniger dramatisch interpretiert.

Lediglich die „unkomplizierte Retourenabwicklung“ weist in der Schweiz mehr als 2 Rangpunkte Differenz zu den beiden Nachbarländern auf. Gut möglich, weil Schweizer bei der Bestellung weniger im Vornherein an eine Retoure denken als anderswo, wie andere Studien belegen.

Wichtig scheint mir, dass mit leichten Unterschieden im gesamten DACH-Raum die gleichen Faktoren priorisiert werden – bei den einen ein bisschen lauter, bei den anderen ein bisschen leiser.

Wie also kommt die Aussage „im Vergleich durchweg geringeren Ansprüche der Schweizer an Online-Shops“ zu stande? Gut möglich, dass es daran liegt, dass wir Schweizer etwas zurückhaltender in Aussagen sind als unsere Nachbarn. Aber aufgrund dieser kulturellen Unterschiede darauf zu schliessen, Schweizer hätten weniger Ansprüche, dünkt mich doch etwas gar vermessen.

Was meint Ihr?

Die Studie kann online kostenpflichtig bezogen werden – das Management Summary gibt’s kostenlos als PDF.



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

3 KOMMENTARE

  1. Die These, dass Onlineshops in DE professioneller seinen kann ich so nicht nachvollziehen. Natürlich ist es faszinierend, wenn mir Zalando aufgrund meiner Masse die passende Grösse für ein Kleidungstück empfehlen kann – aber dafür hapert es dort extrem am Service, was das tolle Kauferlebnis wieder relativert (ein Punkt der übrigens bei den Kriterien komplett fehlt). Das ist mir so in der Schweiz noch nicht passiert. Ausserdem muss man sehen, mit welchen personellen Ressourcen in DE an solchen Projekten gearbeitet wird. Es ist nämlich schon faszinierend wie Shops mit relativ kleinen Teams in der Schweiz tolle Kauferlebnisse bieten – und das vor allem auch mobile. Nicht umsonst setzen ja auch immer mehr deutsche Unternehmen Schweizer E-Commerce Dienstleister ein.
    Dass Schweizer Onlineshopper weniger anspruchsvoll sind glaube ich entsprechend nicht. Nur so viel dazu: Die Retourenquoten Schweizer Shops treiben deutschen Händlern bestimmt das eine oder andere Tränchen ins Auge.

  2. Auf den Punkt gebracht. Ich habe nur den Kopf geschüttelt als ich diese Medienmitteilung gelesen habe. Aufgrund solcher Daten einen Vergleich „weniger anspruchsvoll“ etc. zu zaubern ist schon ziemlich wild. In diesem Artikel wurde das einzig Richtige gemacht und zwar eine Rangfolge der Argumente erstellt, welche sich in weiten Teilen über die Länder deckt.
    Danke fürs Nachdenken und in Frage stellen Thomas, das wäre eigentlich ja die Aufgabe der Journalisten….

  3. Vielen Dank für diesen Beitrag.

    Bei der unterschiedlichen Kauffrequenz als Erklärung für die Unterschiede mag ich der Studienleiterin ja noch Recht geben.

    Darauf zu schliessen, dass Schweizer weniger anspruchsvoll sind, nur weil sie nicht so oft „ist mir absolut wichtig“ ankreuzen, halte ich zumindest für gewagt. Wahrscheinlicher für mich ist ein response bias, der – aber auch das ist nur Spekulation – auf kulturelle Unterschiede zurückzuführen ist (oder, wie Du Thomas das so schön formuliert hast, priorisieren die Schweizer „ein bisschen leiser“). Ich selbst bin übrigens auch so, dass ich bei Rating-Fragen die Extrema nur ganz selten ankreuze.

    Ein anderer Aspekt: Was als intervenierende Variable womöglich zu berücksichtigen ist, ist die unterschiedliche Rechtslage in den Ländern – und das womöglich ebenfalls unterschiedliche Vertrauen der Bevölkerung in die Gesetze zum Konsumentenschutz bei Onlinegeschäften. So etwas kann die Einschätzung der Wichtigkeit bei bestimmten Items sicherlich auch beeinflussen.

    Aber das wäre vielleicht schon ein bisschen zu wissenschaftlich gedacht – klar, mögen die Medien prägnante und polarisierende Länderunterschiede mehr. Gerade jetzt im Sommer.

    Viele Grüsse, dre

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