Stationäre Beruhigungspille oder warum die neue GfK-Studie zu den legendären Irrtümern unserer Zeit gehören wird

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„Wir brauchen kein Telefon, wir haben ja genügend Boten.“
Britische Post nach der Patentierung des „Telefons“, 1878

„Ich denke, es gibt weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer.“ 
Thomas Watson, Vorsitzender von IBM, 1943

„Es gibt keinen Grund, warum irgendjemand einen Computer in seinem Haus wollen würde.
Ken Olson, Präsident der Digital Equipment Corp., 1977

„That is the most expensive phone in the world and it doesn’t appeal to business customers because it doesn’t have a keyboard, which makes it not a very good email machine.“
Steve Ballmer über das iPhone, CEO Microsoft, 2006 

Einige der legendären Irrtümer im Zusammenhang mit Digitalisierung und zu einer solchen würde ich auch die kürzlich erschienene deutsche GfK-Studie zum E-Commerce („Wachstum ohne Grenzen?“) zählen.

Allen Aussagen ist gemeinsam, dass sie eine Zukunftsprognose wagen aufgrund einer Momentaufnahme, basierend auf Vergangenheitsverhalten („wie Manager heute die Probleme von morgen mit Methoden von gestern lösen wollen„).

Keine Berücksichtigung finden darin die aktuellen gewaltigen Umwälzungen in der Gesellschaft wie bspw. dass in 2-3 Jahren die Digital Natives 50% der aktiven Bevölkerung (in der Schweiz) ausmachen oder sich das Einkaufsverhalten durch die Digitalisierung ganz allgemein extrem verändert hat („„Hat Amazon uns verändert? Nein, wir haben uns verändert!“).

Ebenfalls ausgeblendet werden sämtliche Wachstumstreiber wie neue Konzepte, Modelle und technologische Entwicklungen.

Zwar muss man der GfK zu Gute halten, dass sie allgemein von einer Verdoppelung des Online-Anteils ausgeht, das Wachstum aber primär im Bereich Lebensmittel & Drogerie sieht, was auch bei einer Verdoppelung marginal bleibt. Bei den bisherigen Sortimentstreibern sehen die Studienautoren Sättigungstendenzen:

Sättigungsprognose 2015 - Quelle: GfK Studie 2015
Sättigungsprognose 2015 – Quelle: GfK Studie 2015

Rückläufige Sortimente

Es ist doch einfach absurd, wenn laut GfK Prognose Online-Anteile sich fast stagnierend entwickeln und gleichzeitig PurePlayer eine Rekord-Umsatz- und Wachtsumsmeldung nach der anderen vermelden.

So sieht die GfK rückläufige bis stagnierende Entwicklungen in folgenden Sortimenten:

  • Technik & Medien: starker Rückgang des Onlineanteils (2015: 38% / 2025: 31%)
  • Fashion & Lifestyle: Stagnation bis leichter Rückgang  (2015: 25% / 2025: 24%)
  • Einrichten & Wohnen: Marginales Wachstum (2015: 9% / 2025%: 10%)
  • Sport & Freizeit: Stagnation bis leichter Rückgang (2015: 10% / 2025: 9%).

25.7.2015 19:20 Korrektur; obige Rückgänge sind Verschiebungen der jeweiligen Sortimente innerhalb des gesamten Onlinevolumens und nicht deren individuelle Onlinanteile innerhalb des Sortiment

Begründung der E-Commerce Wachstumgsgrenzen

Die Sättigungsprognose basiert auf folgenden 6 Begründungen – ob deren Belastbarkeit darf sich jeder Leser eine eigene Meinung bilden:

  1. Sättigungstendenzen bei Online-Sortimenten erster Stunde wie Bücher/Medien und Electronics
    In der Studie findet sich kein Wort zum dramatischen Preiszerfall und neuen Nutzungskonzepten (Download / Streaming) in diesen Segmenten. Auch dies wird dem stationären Handel Umsätze absaugen.
  2. Anpassungsmassnahmen stationärer Händler
    Kein Wort zu den kaum überbrückbaren Altlasten vieler Stationärer im Bereich Prozesse, Endkunden-Logistik, IT-Systeme und ganz zu schweigen von den kulturellen Herausforderungen.
  3. Fehlende haptische und emotionale Aspekte
    Die Gebetsmühle vieler Stationärer. Kein Wort zu neuen technischen Möglichkeiten, 1-Hour Logistik und mehr.
  4. Lange oder undurchsichtige Kaufprozesse
    Spätestens hier offenbaren die Autoren, dass sie kaum je online eingekauft haben…
  5. Mindere oder fragliche Produktqualität
    …und hier wirft man die letzte Legitimation über Bord.
  6. Unterschiedliche Konsumententypen
    …was für alle Vertriebsmodelle gilt. Unabhängig ob Stationär oder Online.

 

Was solche beruhigende Prognosen bringen, ist fraglich. Ich erachte sie für fahrlässig da sie ein unrealistisches Szenario vorspiegelt unter dem Etikett einer sonst renommierten Institution wie der GfK. Verfasser der Studie ist der GfK-Handelsimmobilienexperte.

Selbst Schweizer Immobilien-Experten der Credit Suisse gehen von deutlich höheren Onlineanteilen per 2028 aus („bis zu einem Drittel des Detailhandelsumsatzes„) oder jüngst die Schweizer Post im prominentesten Nebensatz dieser Saison („40% Onlineanteil auf Non-Food innert 5 Jahren„).

Wenn es nicht so dramatisch wäre, wäre es ja schon fast lustig. So wie damals Microsoft CEO Steve Ballmer zu Apples Ankündigung, mit dem iPhone den Mobiletelefon Markt zu revolutionieren:

[youtube width=“600″ height=“400“]https://www.youtube.com/watch?v=eywi0h_Y5_U[/youtube]



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

4 KOMMENTARE

  1. „Es ist doch einfach absurd, wenn laut GfK Prognose Online-Anteile sich rückläufig entwickeln und gleichzeitig PurePlayer eine Rekord-Umsatz- und Wachtsumsmeldung nach der anderen vermelden“

    –> Ich glaube, Du hast die Ergebnisse falsch interpretiert. Hier geht es um den relativen Anteil, nicht die absolute Wert. Andere Kategorien wachsen stärker als Elektronik, daher geht der relative Anteil runter, aber absolut kann der Wert natürlich noch steigen. Oder?

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