Online Marktplätze sind für Händler eine Bedrohung und noch mehr für Fachhhändler. Ein klassischer Händler (B2C und B2B) muss sich je nach Branche Gedanken bis ernsthafte Sorgen über seine Zukunft machen. Die Kernfrage dabei ist: Welche Rolle kann der Händler in Zukunft neben Amazon und Ebay noch spielen? In der Schweiz ist diese Thematik noch nicht so ausgeprägt wie beispielsweise in Deutschland.
Nun gibt es seit dem Sommer 2015 mit PROCATO einen neuen Ansatz eines B2B-Marktplatzes in Deutschland.
Spannend am am Konzept, welches am ECC-Forum präsentiert wurde: Hersteller und Fachhändler bilden eine Art Symbiose, decken die Interessen beider ab und versuchen einen Gegenpol zu Amazon und Co. aufzubauen (zumindest für den Profibereich)
Einige Facts zu PROCATO:
- PROCATO ist eine Art Joint-Venture von Herstellern/Brands.
- Im Fokus stehen Handwerker als Kunden und passend dazu Brands mit Profi-Produkten, welche man im Fachhandel findet.
- Die Hersteller bilden jeweils das Vollsortiment ab.
- Es wird besonderen Wert auf sehr umfangreiche Produkt-Daten gelegt. Die Hersteller liefern diese Daten. Gegenüber Amazon & Co. soll es da einfacher sein, das richtige Produkt zu finden (entsprechende Filter findet man aber noch nicht überall).
- Die ERPs der Fachhändler werden direkt angebunden und liefern Preise und Bestände. Dadurch gibt es auf den Detailseiten jeweils mehrere Preise von unterschiedlichen Fachhändlern. Es kann nach Preis, Verfügbarkeit oder Fachhändler gefiltert werden und so kann der gewünschte Fachhändler selektiert werden. Dies bedeutet auch, dass die Ware aus den Lagern oder den Stores von den Fachhändlern kommt und diese die Ware verschicken oder zur Abholung bereit stellen.
- Fachhändler werden bewertet und diese Bewertung kann bei der Selektion des Fachhändlers berücksichtigt werden.
- Neben der normalen Zustellung gibt es auch noch die Express-Zustellung, die Lieferung auf die Baustelle oder die Abholung beim Fachhändler. Die Zustellkosten sind abhängig vom Fachhändler.
Beurteilung von PROCATO aus heutiger Sicht:
PROCATO ist für Händler ein weiterer Marktplatz. Da sie aber selbst die Betreiber sind, darf man davon ausgehen, dass die Konditionen attraktiver sind als beispielsweise bei Amazon (welche ihre Marktmacht immer mehr missbraucht ausnutzt).
Fragen die sich in Bezug auf die Hersteller stellen:
- Wie ist das Verhalten, wenn sich die Sortimente der Hersteller überschneiden? Ist PROCATO hierbei neutral?
- Ist es für Hersteller nur einfach ein weiterer Online-Verkaufskanal? Machen sie auf Amazon und Co. einfach weiter wie bisher oder ändern sie da etwas?
Für Fachhändler ist es eine Chance, das Business zu erweitern und sich auf einem Marktplatz zu präsentieren, der sie im Konzept einbindet.
Fragen, die sich hier stellen:
- Können die Fachhändler mit dieser neuen Art Marktplatz umgehen und können sie das notwendige KnowHow dafür aufbauen.
- Werden nicht einfach jene Fachhänder damit erfolgreich arbeiten, welche sich bereits heute auf Amazon und Co. tummeln?
Ganz generell darf man gespannt sein, wie sich die Preise auf PROCATO im Gegensatz zu anderen Marktplätzen entwickeln werden und ob die anderen USPs den Kunden etwas Wert sein werden. Überzeugen dürfte vor allem das umfangreiche Sortiment. Bei einem Test habe ich mehrere zufällig gewählten Produkte auf Amazon und Ebay nicht gefunden und interessanterweise habe ich auch ein Produkt gesehen, das auf PROCATO am günstigsten war.
Gemäss Stefan-Maria Creutz, dem Geschäftsführer von PROCATO können sie sich von Anfragen der Hersteller und Fachhändler kaum wehren. Nutzer oder Umsatz-Zahlen zu PROCATO sind leider nicht bekannt.
[…] PROCATO ein neuer B2B-Marktplatz von Herstellern und Fachhändlern […]
Hi Walter,
ich war auch auf dem ECC Forum und habe den PROCATO Vortrag gesehen. Das Konzept wurde ja, bevor es vorgestellt wurde, schon kritisiert, da es den falschen Fokus (Händler statt Kunden) hat und eigentlich nur die Transparenz und Disruption der betreffenden Industrie verzögert.
Ich sehe das ganz ähnlich. Aus eigener Erfahrung zehrend, kann ich Stefan-Maria Creutz und seinem Team nur den höchsten Respekt für ihr Projekt zollen. Aus Marktsicht sehe ich das Unterfangen aber zwiegespalten. Das Problem liegt ja nicht darin, dass Werkzeughändler seither keine Plattform hatten, ihre Produkte auch über das Internet zu vertreiben. Zudem gibt es ja schon einige Händler, die über z.B. Amazon, Ebay oder Fach-Marktplätze wie Mercateo ihre Produkte online erfolgreich vertreiben. Der Marktplatz wird Händler also nicht automatisch online erfolgreich machen, sondern die Händler profitieren lassen, bei denen a) der Groschen des Internets schon gefallen ist und b) die gewisse Kompetenz in der Umsetzung einer Onlinestrategie hinsichtlich Preis- und Sortimentsgestaltung haben. Gleiches gilt auch für Hersteller wie z.B. Bosch. Dort gibt es schon komplette Strukturen im Vertrieb, die sich um die großen Online-Händler kümmern. Man kann davon ausgehen, dass dort heute genau so über Amazon verkauft wird. Du hast ja selbst geschrieben, es ist ein weiterer Marktplatz für die Händler (und Hersteller). Vielleicht hast du ja damit genau das gemeint.
Was mich, meinen Zweifel habe ich ja in einer Frage auf dem Event schon ausgedrückt, nach wie vor am Erfolg zweifeln lässt ist, dass sich Procato nach eigenen Angaben zwischen Marktplätzen wie Ebay und Amazon und Branchenriesen wie Würth, Hilti, etc. platzieren will. Folgt man jetzt good old Michael Porter, dann ist das für mich erst mal „Stuck in the Middle“. Würth hat allein in DACH über 4000 Verkäufer und über 500 stationäre Geschäfte. Hier führt Procato ja an, dass sie diese Vorteile ebenfalls durch die stationären Geschäfte und den Außendienst der angeschlossenen Händler haben. Damit das erfolgreich wird, müssten aber alle Händler relativ gleichzeitig die Transformation und die – ebenfalls beim ECC Forum angesprochene – Verbindung aller Vertriebskanäle schaffen.
Das Argument, dass Procato die online Vermarktung über SEO, SEA, etc. für die kleinen Händler übernimmt, hat mich auch gewundert. Wenn man die Domain procato.de mal bei Sistrix überprüft, sieht man leider nicht die von Stefan-Maria Creutz erwähnten TOP-Suchergebnisse. Zumindest nicht außerhalb von Zubehör- und Randsortimenten. SEO-technisch ist es aktuell noch unrelevant, ich bin auf die zukünftige Entwicklung sehr gespannt. Dort müssen schon ordentlich Maßnahmen ergriffen werden, damit dort ein spürbarer Effekt entsteht. Auch im SEA Bereich werden mittlerweile üppige CPCs aufgerufen, z.B. für Marken-Elektrowerkzeug. In anderen Sortimenten dürfte sich, aufgrund der kleinen Warenkörbe und der somit überschaubaren Provision, SEA auch eher schwierig gestalten.
Ich bin auf jeden Fall gespannt, was daraus wird. Es gibt ja, gerade auf dem deutschen Markt, mit Contorion.de, zorotools.de, toolineo.de und svh24.de noch ein paar weitere mehr oder weniger erfolgreiche Modelle, die sich auch noch beweisen müssen.
Viele Grüße
Lennart