Gedanken zur Fusion der beiden verbliebenen Schweizer Mobile Payment Anwendungen TWINT und Paymit.
Wie der Hase vor der Schlange gebärden sich aktuell die verschiedenen Payment-Anbieter in der Schweiz. Der Markteintritt von ApplePay und AndroidPay von Google und Samsung wird in den kommenden Monaten erwartet und die Schweiz – mangels natürlicher Ressourcen – als Land der Banken will sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen von den globalen Vertretern der GAFA-Ökonomie.
Wie zu besten Zeiten des Goldrauschs sahen sich vor 2-3 Jahren zahlreiche Unternehmen berufen, eigene Lösungen auf den Markt zu bringen. Um sich dann wenige Monate später einzugestehen, dass man wohl scheitern werde. So war es mit den SBB, die Wally lancierten und wieder beerdigten. Oder erinnern Sie sich noch an Tappit der Swisscom? Grundsätzlich sind diese Aufbruchsstimmung und Initiativen ja zu begrüssen.
In den vergangenen 12 Monaten war es dann noch eine Gruppe von Banken unter der Führung von SIX welche die Lösung Paymit breit lancierten. Und auf der anderen Seite TWINT, das Spin-Off der Postfinance im Startup Modus.
[bctt tweet=“Mobile-Payment – die Spielwiese der Corporates. Doch mit @TWINT_AG richtet’s ein Startup – vorerst.“ username=“carpathia_ch“]
Waren die Vorgehensweisen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich, zeigten sie doch Gemeinsamkeiten; beide Player wollten so schnell wie möglich Mobile Payment bei den Nutzern verankern und bei diesen das Zahlen mit dem Smartphone zur Gewohnheit werden lassen. Und beide wollten möglichst schnell hohe Marktanteile verzeichnen. Der eine von Nutzer-, der andere von Anbieterseite.
Paymit: Fokus hohe Nutzerzahl
Paymit von den Banken wählte die Nutzerseite und sprach direkt die Bankkunden an. So war Paymit als eigenständige App verfügbar wie auch integriert in verschiedene Mobilebanking-Applikationen wie diejenige der ZKB, die ich persönlich nutze. Mit letzterem erreichte man sehr schnell eine hohe Zahl potentieller Nutzer ohne dass diese eine separate App installieren mussten. An sich ein cleverer Schachzug.
Paymit wählte als primäre Funktion das Peer-to-Peer (P2P) Payment, also das einfache Überweisen von Beträgen unter Privatpersonen. Ein Weg, diese Form des Zahlungstransfers zur Gewohnheit zu machen und ein Bedürfnis zu kreieren. Bei Carpathia nutzten wir diese Funktion regelmässig, um kleinere Beträge zwischen Kollegen zu transferieren.
Paymit war damit in einem eigenen – eventuell zu eingeschränkten – P2P-Ökosystem gefangen. In den vergangenen Monaten strebte man die Anbindung an den Handel an, dass auch am POS mit der eigenen Smartphone Lösung bezahlt werden kann. Leider kein untypisches Verhalten, dass man in der corporate Finanzindustrie zu wenig offen und gross denkt und sich vorerst auf das konzentriert, was man schon immer gut konnte; Geld von A nach B überweisen in der eigenen Systemwelt.
Wahrlich keine gute Voraussetzung angesichts der fundamentalen Veränderung, welche die Digitalisierung per-se fordern und das Ausradieren von Territorial- und System-Grenzen gnadenlos mit sich bringen.
TWINT: Fokus breite Anbieterbasis
Das Vorgehen von TWINT war ein gänzlich anderes. Der Fokus lag von Beginn weg beim Handel und dort ein möglichst flächendeckendes Netz an Mobile-Payment Möglichkeiten direkt am POS. Und das ist TWINT erstaunlich gut gelungen. Der erste Coup war selbstverständlich, dass Coop sich sehr früh zu TWINT bekannte und Tausende Kassen in Supermärkten und Gastro aufrüstete.
Nebst zahlreichen weiteren Verkaufsstellen von der regionalen Bäckerei bis zu Dienstleistern war der zweite Coup, dass die Migros als grösster Schweizer Detail-/Einzelhändler TWINT in ihre eigene Mobile-Payment App integrierte. Damit hatte TWINT die angestrebte breite stationäre Anbieterbasis.
Kommt noch hinzu, dass TWINT beinahe konkurrenzlos tiefe Kommissionen anbietet im Rappenbereich was von einzelnen Exponenten als nicht kostendeckend klassifiziert wird. TWINT sieht sich denn auch mehr als nur eine Zahlungslösung sondern will digitale Kundenkarte, Couponing und mehr integrieren und damit sein Ertragsmodell abrunden.
Doch es blieb nicht beim nahezu flächendeckenden stationären Netz; zahlreiche führende Onlineshops wie Brack.ch integrierten TWINT als Zahlungsoption. Begünstigt wurde dies, da der grosse Payment Service Provider Datatrans sehr früh TWINT integrierte. Damit legte man quasi den roten Teppich in die Checkouts der grossen Onlineshops.
Es entbehrt selbstverständlich nicht einer gewissen Ironie, dass Datatrans die Lösung von TWINT als Spinoff der Postfinance fast von Beginn weg integrierte während der eigene Payment-Service der Post selber bis heute TWINT nicht anbietet.
Fusion einzig richtige Strategie
So beide Lösungen dasselbe Ziel verfolgten, so unterschiedlich war ihre Herangehensweise. Paymit über die Nutzerseite – TWINT über die Anbieter- rsp. Händlerseite. Beide verfolgten ihre Strategie konsequent und mehr oder minder erfolgreich; TWINT als eigentliches Startup schien agiler unterwegs, dachte grösser und „out-of-the-corporate-box“ und erreichte eine bemerkenswerte Abdeckung im Handel innert kurzer Zeit.
Dennoch ist der Druck immens, der von den global agierenden Playern Apple und Google ausgeht. Und dieser Druck ist gut. Denn gäbe es diesen nicht, würden wohl beide weiter ihre Seiten beackern und man würde sich vermutlich irgendwann in der Mitte treffen – oder die Waffen strecken wie vorher schon die SBB und Swisscom angesichts der Marktmarkt von Apple/Google.
Mit der Fusion bringen nun beide ihre Assets mit ein. Paymit ihre breite Nutzerbasis und die nahtlose Anbindung der Bankkonto. TWINT die hohe Anzahl der POS-Möglichkeiten und die angebundenen Onlinehändler.
Gelöst werden muss selbstverständlich noch das Ertragsmodell. Ob TWINT weiterhin mit diesen tiefen Konditionen operieren kann, bleibt fraglich rsp. ob es gelingen wird, mit den Services wie Kundenkarten und Coupons schnell genug zusätzliche Erlösströme zu generieren, um das Payment zu finanzieren.
Interessant ist, dass bislang bei TWINT Kreditkarten nicht angebunden rsp. integriert sind. Grund hierfür sind die (nach wie vor zu) hohen Kommissionen welche das attraktive Konditionenmodell der Mobile-Payment-Lösung verunmöglichen würden.
Von ApplePay wie auch von Android ist bekannt, dass diese primär über Kreditkarten abwickeln. Und daher könnten die attraktiven Konditionen vom neuen TWINT – wie die fusionierte Lösung von Paymit und TWINT heissen wird – einem eigentlichen Wettbewerbsvorteil aus Sicht der Händler gleichkommen.
Doch die Nutzer werden entscheiden und die Händler werden dann notgedrungen mitmachen müssen. Doch wie diese Fusionsgeschichte gezeigt hat, scheint Mobile-Payment in der Schweiz aktuell noch ein Anbieter-Markt zu sein.
Und ich habe im vergangenen Jahr bereits die Theorie aufgestellt, dass es mutmasslich neben Payment noch einen weiteren Dienst braucht, um das Smartphone beim Endkunden definitiv vertrauensvoll einzusetzen (Mobile: Ist «Access» der Schlüssel zum Erfolg für «Payment»?).
[bctt tweet=“Mobile-Payment ist noch ein Anbieter-Markt. Werden die globalen Player die Nutzer mobilisieren?“ username=“carpathia_ch“]
Doch die nun neue gemeinsame Lösung ist die einzig richtige Entscheidung, will man gegen die globale Übermacht überhaupt eine Chance haben.
Es ist die einzige Chance, welche die Schweizer Akteure derzeit haben.
Ich habe TWINT einige Mal bei der Coop getestet und auch während meinem Aufenthalt in den USA zwei Jahre lang sehr oft mit Apple Pay bezahlt. Leider kann TWINT nicht mit Apple Pay mithalten.
Z.B. geht bei Apple Pay automatisch und sofort das Zahlfenster auf, wenn man in der Nähe des Terminals ist. Bei TWINT musste ich zumindest die App starten, was gerade an der Kasse, wo es schnell geht, ein wichtiger Unterschied ist. – Einmal am Coop Stadelhofen war es richtig peinlich: Da hat TWINT die Kasse lahmgelegt und die musste dann neu gestartet werden; es war Sonntag und hinter mir standen 15 Menschen… autsch.
Sicherheit. Was ist sicherer: Eine Touch-ID oder ein Passwort? – Ich glaube, die Antwort darauf ist jedem klar.
Das Guthaben aufladen zu müssen, ist auch sehr kurzfristig gedacht. Wer erinnert sich denn ständig daran und wer mag das an der Kasse machen?
Der Ausschaltprozess per Postfinance ist auch weit weg davon, benutzerfreundlich zu sein. Ich verstehe das auch nicht ganz: Wieso kopiert man die Apple Pay Usability nicht einfach? Oder zumindest die Teile, die richtig gut sind. – Hier hat Apple übrigens noch den Vorteil, direkt die iTunes-Kreditkartendaten aufschalten zu können… Da gibts in Zukunft keine Kompromisse an Usability mehr!
Aber der Druck dürfte auch gar nicht so gross sein. Erstmal muss sich Apple mit den Schweizer Banken einigen und wird diesen mühsamen Prozess erst nach vielen anderen, grösseren europäischen Ländern starten, wo die Banken auch langsam sind und den Zug komplett verpassen. Ich vermute mal, dass das erst in den 20er Jahren wirklich in der Schweiz ankommt, auch wenn mir das leid tut für uns Schweizer.