Teufelszeugs: Schon Kaiserin Maria Theresia hat Medikamenten-Onlinehandel verboten

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Patrick Kessler, Präsident VSVGastartikel von Patrick Kessler, Präsident des Verbandes des Schweizerischen Versandhandels VSV zur teilweise abstrusen Reaktion der Apotheker im In- und Ausland auf das Gerichtsurteil des europ. Gerichtshofes in Sachen Doc Morris / Zur Rose.

Kesslers Artikel ist ursprünglich im Blog des VSV unter dem Titel „Liebe stationäre Apotheker in der Schweiz und Europa“ publiziert worden.

In diesem Zusammenhang auch der Hinweis auf den lesenswerten Beitrag der NZZ „Schweizer knackt Apothekenmarkt“ und wie Zur Rose Eigentümer Walter Oberhänsli die Preisbindung deutscher Apotheken zu Fall brachte.


Zuerst mit einiger Verwunderung, Staunen, Kopfschütteln und heute grosser Verständnislosigkeit nehmen wir zur Kenntnis, dass das Gerichtsurteil des EuGH zu Doc Morris/Zur Rose eine wahre Paranoia bei den «stationären» Apothekern ausgelöst hat.

«Der RX-Medikamentenversand muss verboten werden»

…lautet nun die Devise im zivilisierten, digitalisierten und fortschrittlichen Deutschland. Und Österreich wird dazu als Beweismittel herangezogen: Schon Kaiserin Maria Theresia soll den Versandhandel mit Gesundheitsmitteln verboten haben (!).

 „ …Vom Hausirhandel (=Versandhandel) seyen ausgeschlossen: Salben, Pflaster, überhaupt alle einfachen und zusammengesetzten Arzneyen, für Menschen und Thiere; alle Gifte; alle Präparate aus Quecksilber, Spießglanz und Blei; alle Knallpräparate; alle Minaeralsäuren.“

Kaiserin Maria Theresia von Österreich - Bildquelle: Wikipedia
Kaiserin Maria Theresia von Österreich – Bildquelle: Wikipedia

Der digitale Mensch reibt sich bei so stichhaltigen Argumenten die Augen. Wäre die Vergangenheit relevant für heutige Gesetze müssten

  • im Kanton Graubünden Autos wieder verboten werden (war von 1900 bis 1925 der Fall)
  • in Memphis, Tennessee Männer mit roten Fahnen vor Autos herlaufen, welche von Frauen gelenkt werden (zur Warnung von Fußgängern und anderen Autofahrern)
  • in Appenzell weiterhin nur Männer stimmen dürfen
  • verheiratete Frauen in der Schweiz den Namen des Mannes führen
  • etc., etc.

Die Zukunft zählt

Ich glaube die Vergangenheit ist für ein Gesetz ein ganz schlechtes Argument, vor allem dann, wenn die Zukunft völlig anders aussieht.

Wie wäre es, wenn sich die Herren und Damen Apotheker mal um 180 Grad drehen und nach vorne schauen?

  • Telemedizin: Diese wird als echte Alternative propagiert um die medizinische Erst-Versorgung in «unterversorgten» Gebieten sicherzustellen. Man kann also per Video etc. Diagnosen stellen. Aber Medikamente gegen vorliegende Rezepte zu versenden will man verbieten.
  • Sicherheit: Besuchen sie mal eine echte Versandapotheke und schauen sie sich die Sicherheitsmechanismen an. Sie werden sich als «Hausapotheker» warm anziehen müssen, um ein gleiches Niveau an Sicherheit (bzw. Fehlerlosigkeit) erzeugen zu können.
  • Chronische Erkrankungen: Für chronisch kranke Menschen gibt es kaum etwas Besseres als die Zustellung der Medikamente im Versandhandel.
  • Zugang zur Versorgung: Ein guter und sicherer Versandhandel mit Medikamenten bedeutet eine Entlastung für Bewohner von «untersorgten» Gebieten und diese gibt es überall – in Deutschland wie in der Schweiz).

Genau jetzt kommt ihr Totschlag-Argument der Beratung. Das kann der Versandhändler nicht, sagen sie. Missbrauch erkennen kann der Versandhandel nicht. Fehler des Arztes erkennen kann der Versandhändler nicht. Ich bin vom Gegenteil überzeugt, eine gute Versandapotheke macht dies gleich gut, wenn nicht sogar besser.

Aber sie wissen selber, dass sie damit auf sehr dünnem Eis wandern und die Eisschmelze längst eingesetzt hat. Genau deshalb bringen sie die emotionalen Scheinargumente (Kaiserin, in anderen Ländern ist es auch verboten etc.).

Geben Sie sich einen Ruck und schauen Sie nach vorne

Wäre es nicht einfach an der Zeit darüber nachzudenken, wie man den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten zu Gunsten des Konsumenten sicher und bequem ermöglichen kann? Wäre es nicht allerhöchste Zeit, dass sie den Prozess der Veränderung und der Digitalisierung aufnehmen, mitgestalten und mitprofitieren?

Gerade die letzten 10 Jahre sollten auch ihnen gezeigt haben, dass die Digitalisierung vor nichts und niemandem Halt macht. Ich muss hier nicht alle Beispiele dazu aufzählen.

Ich bin ja bei ihnen, dass Gesundheit das kostbarste Gut ist und damit vorsichtig umgegangen werden muss. Und ja, vielleicht braucht es sogar die eine oder andere Ausnahme im Medikamenten-Versandhandel. Aber pauschale Verbote zu fordern ist durchsichtig, dumm und dreist. Die Pferdefuhrhalter wollten einst das Auto verbieten. Ich und sie sind wahrscheinlich froh, dass dies nicht gelungen ist. Steigen sie also vom Pferd und interessieren sie sich doch für das Auto. Es heisst heute Online-Versandhandel und der Konsument liebt es.

Fortschrittlich und gleichzeitig rückständige Schweiz

Ich muss auf den Schweizer Gesetzgeber einerseits schon fast etwas stolz sein, er erlaubt den Versand von rezeptpflichtigen Medikamenten auch im neuen HMG ausdrücklich. Der Wahnsinn oder eben der Widerspruch/Rückständigkeit zur EU dabei ist aber, dass der Versand von rezeptfreien Medikamenten in der Schweiz nur gegen Rezept möglich ist  …



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