Viel wurde diese Woche geschrieben zur Lancierung von Amazon Go in Seattle, dem stationären Test-Layout von Amazon jenseits des ursprünglichen Sortiments rund um Bücher. Die Hoffnung bleibt, dass diesmal die feuchten Träume der Shopping-Center Manager ausbleiben.
Doch Amazon hat eigentlich nichts minderes gemacht, als im Interesse der Konsumenten die Kassenzone abgeschafft, aber auch nicht mehr.
Und dennoch gingen die Wogen quer durch die Presselandschaft hoch wie bei der Lancierung der Drohne – übrigens 2013 ebenfalls Anfangs Dezember. Dies scheint ein guter Zeitpunkt zu sein, den Detailhandel oder die Logistikbranche in Aufruhr zu versetzen.
Detailhandel steht sich selber im Wege
Der Einzelhandel rsp. hierzulande Detailhandel scheint sich bzgl. Innovationen weiterhin selber im Wege zu stehen und zeigt wenig Ambitionen, dies auch ändern zu wollen. Immer nur zaghaft wird in Fragmenten entwickelt und Innovationen in homöopathischen Dosen verabreicht.
Es fehlt dem stationären Handel ganz einfach die Fähigkeit, sich gnadenlos zu hinterfragen und neu zu erfinden. Der Leidensdruck scheint nach wie vor nicht hoch genug zu sein.
Denn warum gelingt es einem Stationären nicht, die heutigen Prozesse auf der Fläche radikal zu validieren, zu hinterfragen oder neu zu definieren. Althergebrachte Denkmuster zu durchbrechen und den stationären Einkauf kompromisslos in seine einzelnen Schritte zu zerlegen und sich bei jedem zu fragen, WARUM braucht es diesen (noch).
WARUM soll ich alle meine Einkäufe an der Kasse nochmals aus- und umpacken, vom einen Gebinde (Einkaufswagen) ins andere (Einkaufstüte) zu transferieren usw.
Dies ist nur einer von zahllosen Ansätzen, wie man das Ganze angehen könnte. Und diesen einen beschriebenen Ansatz hat sich auch ein Amazon beherzt und den Kassenprozess zerlegt rsp. abgeschafft und mit heute verfügbaren Technologie-Komponenten ersetzt.
Und ganz nebenbei kennt Amazon in diesem Konzept jeden Kunden – und zwar von Beginn weg beim Betreten des Ladens und nicht erst wenn es zu spät ist, beim Zahlprozess, wenn die Kunden- , Zahl- oder Punktekarte gezückt werden muss.
Der Detailhandel scheint da einfach nicht aus den alten Denkmustern herauszufinden und begnügt sich weiterhin, angestammte Prozesse zu elektrifizieren statt gnadenlos neu zu definieren.
(Übrigens: vor mehr als 2 Jahren haben wir unsere Vision vom Supermarkt 2020 in diesem Blog vorgestellt und Detailhändler eingeladen, diese mit uns zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Und wie viele haben sich gemeldet? Eben.)
Detailhandel gibt Durchhalteparole heraus
Da nützen halt leider auch die lustigen Safaris durch’s Silicon Valley nichts (Digitalisierung! Eine Sau wird durch’s Dorf getrieben) und man gibt lieber die Durchhalteparolen durch.
So der Migros-Sprecher Luzi Weber im Blick, dass es bei der Migros immer Kassen geben würde oder der Unternehmensleiter Reto Braegger von Schild im St. Galler Tagblatt:
Nur der physische Laden bietet dem Kunden ein Einkaufserlebnis und die Vorteile des direkten Kontakts.
Das ist grundsätzlich korrekt. Doch hat sich der Handel auch gefragt, ob das der Kunde noch will oder ob er nicht heute bessere Alternativen hat. Die Antworten scheinen klar, wenn man die Zahlen anschaut.
Und man könnte meinen, der Detailhandel lebt in einer Zeit, in der es weder Bancomaten, Selbstbedienungs-Zapfsäulen, SBB-Ticket-Apps oder Paket-Automaten gäbe. Und so gebärdet er sich grossmehrheitlich. Leider.
Ist Amazon Go revolutionär?
Warum macht denn nun die Ankündigung von Amazon solche Furore? Das Revolutionäre daran ist ja eigentlich, dass es Amazon gelungen ist, die Handelswelt in Angst und Schrecken zu versetzen, zumindest wenn man den Medien glauben schenken will.
Oder anders gesagt, man traut den Händlern solche neuen Ansätze gar nicht mehr zu und wenn denn mal gar ein Händler wirklich etwas Neues bringt, findet es kaum Beachtung, so wie es beispielsweise Frank Rehm sehr schön herleitet mit dem Vergleich zwischen Amazon und dem innovativen niederländischen Händler Albert Hejin im lesenswerten Artikel „Amazon Go ist nicht die Champions League des Handels. Ehrlich!“
Aber auch diese Vergleiche greifen allesamt zu kurz, denn wer Amazon mit dem (stationären) Handel vergleicht, tut Amazon unrecht. Denn wenn auch in der breiten Wahrnehmung Amazon als Händler gilt, so ist Amazon schon lange viel (VIEL) mehr. Das Amazon-Ökosystem in Worte zu fassen ist schwierig.
Letzendlich geht es alleine um den Kunden und um ihm ein Problem zu lösen. Wie, ist egal. Ob mit Handels-, Technologie- oder Serviceansätzen. Oder wie es Jochen Krisch heute bei ExcitingCommerce zusammenfasst:
Ein Leitmotiv für Amazon ist und bleibt der bequeme Einkauf. Lange Lieferzeiten („Prime Now“), lange Schlangen („Amazon Go“), leichtes Nachbestellen („Dash“) und der schnelle Zugang zu einem möglichst umfassenden Sortiment („Amazon Marktplatz“). Das sind Themen, die Amazon angeht.
Allen Unkenrufen zum Trotz wird Amazon mit Go kaum grossflächig in den stationären Handel einsteigen wollen sondern vielmehr Innovation und Technologie fördern, um den Einkauf noch bequemer zu gestalten.
Und gehen Amazons Pläne auf, dann wird die Silicon-Valley Safari in Zukunft gegen Norden erweitert (Reisetipp: die Oregon-Küste ist übrigens traumhaft) und die Teppichetage aus der Detailhandelswelt gibt sich in Amazons Testladen die (virtuelle) Türklinke in die Hand. Und patentiert Amazons Technologie und wird Amazon damit wertvolle Daten aus dem Detailhandel preisgeben.
Die Rechnung wird aufgehen und ich werde gleich morgen meinen Amazon-Aktien Bestand aufstocken.
Ein Vorteil, den der stationäre Handel bietet: Man kann dort noch unüberwacht einkaufen und mit Bargeld bezahlen – komplett anonym! Keine Newsletter, Preisausschreiben, Gutscheine, Sonder-Events – einfach nur kaufen, was man braucht und Schluss.
Genauso sehe ich das auch. Wir sind schon genug digitalisiert und durchleuchtet. Klar ist bequem und einfach. Aber einkaufen mit Bargeld sollte uns erhalten bleiben. Allerdings sehe ich für die Zukunft da auch schwarz, mit diesem Trend der wer weiter gehen wird…