Wird Europa zwischen den digitalen Plattformen zerrieben?

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Sowohl im Westen wie auch im Osten gibt es digitale Handels-Ökosysteme mit marktbeherrschender Stellung. Gerrit Heinemann bezeichnete dies einen Kampf der Triade (GAFAE-TAB-ZERO) in seinem Gastbeitrag von letzter Woche. Und, dass Europa im Handel den beiden Übermächten kaum etwas entgegensetzen kann (ZERO).

Was zeichnet Plattformen aus

Sven Ruoss hat es in seinem Beitrag zum Krieg der Plattformen sehr gut auf den Punkt gebracht:

Sie designen Dienste, die sich in unseren Alltag integrieren. Sie rauben den traditionellen Unternehmen das Interface und im Endeffekt die Beziehung zum Kunden.

Der Zugang zu den Nutzern wird von ihnen verkauft bzw. versteigert. Für uns User verringern sich die Transaktionskosten. Für die Unternehmen werden zwar die Vertriebskosten reduziert, gleichzeitig aber auch ihre Margen, da die Plattformen meistens eine Provision für ihre Dienstleistungen verrechnen.

Egal, ob es sich um soziale Kommunikationsplattformen, digitale Marktplätze, Vermittlungsplattformen oder Crowdworking-Plattformen handelt, alle Plattformen ermöglichen durch digitale Technologien einen friktionslosen Zugang von Produzenten und Konsumenten.

Plattformen gelingt es, sich in einer Branche oder einem Thema als Gatekeeper zu etablieren, sich unverzichtbar zu machen und damit für den Nachfrager zur ultimativen Anlaufstelle zu werden.

Wer dies geschafft hat, kann nicht nur den Zugang zu den Kunden Mitbewerbern teuer verkaufen, sondern hat auch eine weitestgehende Hoheit über die Daten und Kontrolle.

Kommt hinzu, dass Plattformen in der Regel keine Grenzen kennen. Weder geografische und damit wirtschaftliche und rechtliche noch technologische. Diese oft ins Feld geführten Argumente ziehen nicht, weil sie keine Bedeutung mehr haben in der Welt der Plattformen.

Warum eine Plattformstrategie

Die digitale (Handels) Evolution könnte man auch kurz beschreiben als Onlineshop ⇒ Marktplatz ⇒ Infrastruktur ⇒ Plattform und dies ist auch hierzulande zu beobachten.

Während sich der Grossteil der Marktteilnehmer noch im Bereich Onlineshop aufhält, probiert und optimiert – oder im Rahmen von Omni-Channel-Strategien zwei Welten zu vereinen versucht sind – einige Marktteilnehmer in der Schweiz zum Marktplatz gereift (Ricardoshops, Galaxus, Siroop) oder wollen zu einem werden.

Andere haben sich zum Infrastruktur-Provider entwickelt und bieten ihre eigenen Services (Logistik, Vertrieb etc.) auch anderen an wie bspw. Brack.ch. Den Schweizer Playern ist jedoch eines gemeinsam; sie konzentrieren sich (bislang) auf die Schweiz und zeigen wenig Ambitionen, im internationalen Kontext tätig zu werden.

Mit Blick auf Europa sind hier ebenfalls wenige Plattformen zu identifizieren. Zalando hat eine dedizierte Plattform-Strategie und entwickelt sich stark in diese Rechnung. Die Frage bleibt, ist Zalando schnell genug und kann eine Grösse erreichen, die dem Druck aus Westen und Osten standhalten kann?

Druck der Plattformen aus Westen (GAFA) und Osten (TAB) – Grafik: Carpathia
Druck der Plattformen aus Westen (GAFA) und Osten (TAB) – Grafik: Carpathia

GAFA

Teilweise aus der Handelswelt entwickelt haben sich die Plattformen aus dem Westen. Diese werden dominiert von den us-amerikanischen Playern Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA) die sich in ihren Bereichen jeweils Monopolstellungen erarbeiten konnten. Alle 4 Unternehmungen zähle ich zur New-Economy. Selbst eine IBM, eine Microsoft oder andere haben hier den Anschluss an die Plattform-Ökonomie (bislang) verpasst.

Ebay zähle ich nicht mehr zu den Plattformen, auch wenn Ebay im Bereich des Handels nach wie vor ein Big-Player ist und Heinemann mit Sicht auf den Handel noch von GAFAE spricht. Doch die Plattformstrategie hat Ebay sträflich vernachlässigt rsp. wäre gar in einer beneidenswerten Ausgangslage gewesen. Jedoch hat man wichtige Beteiligungen wie Skype, Paypal oder auch Magento abgestossen und sich auf die Kernkompetenzen konzentriert. Ganz anders die vier anderen.

TAB

Bei den vielgeführten Diskussionen rund um GAFA geht oft vergessen, dass der Druck auch aus Asien zunimmt. Dort sind es die drei Player Tencent, Alibaba und Baidu, das „chinesische Google“. Alle drei haben absolut marktbeherrschende Stellungen und brauchen einen Vergleich mit ihren westlichen „Kollegen“ nicht zu scheuen.

Tencent ist das grösste chinesische Internetunternehmen mit einer Marktkapitalisierung von mehr als USD 250 Mrd. Zu den wichtigsten Produkten von Tencent gehört WeChat mit bald 1 Milliarde Nutzer. Im Gegensatz zum westlichen Pendant Facebook ist WeChat ein beinahe komplettes Ökosystem das neben Messaging auch E-Commerce, Payment und vieles mehr beinhaltet. Eine Präsenz in WeChat als Unternehmen in China ist mittlerweile wichtiger als eine eigene Webplattform. WeChat ist bereits dort, wo sich Facebook wohl hinentwickeln wird.

Und über Alibaba muss man nicht mehr viele Worte verlieren. Die Alibaba-Plattform komplettiert sich über zahlreiche Unternehmungen und Services wie zB die B2B-Plattform Alibaba.comAliExpress für die Endverbraucher und wohl hauptverantwortlich für die Paketflut aus Fernost. Weiter gehören dazu das Auktionshaus Taobao, der Bezahldienst AliPay oder auch das Online-Kaufhaus Tmall.com.

The Winner takes it all

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen und an den Gastbeitrag von Gerrit Heinemann anzuknüpfen: Was kann Europa hier an Plattformen entgegensetzen? Welche Unternehmen sind in der Lage, hier Paroli zu bieten und wer hat überhaupt die Mittel und Ambitionen dazu?

Mir scheint, als seien die europäischen Unternehmen – ob Handelsfirmen, Industrie oder Dienstleistung – primär mit sich selber beschäftigt und sich am transformieren (Silicon Valley Safaris, wer hat noch nicht wer will nochmal?), währenddessen die neuen Player aus West und Ost die Märkte an sich reissen.

Doch in der neuen Wirtschaftsordnung wird nicht mehr gross aufgeteilt, the winner takes it all.



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

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