13’700’000’000 Dollar hat Amazon in bar bezahlt für den in finanzielle Schwierigkeiten geratenen bekannten us-amerikanischen Bio-Lebensmittelhändler Whole-Foods.
Und die Übernahme hat eingeschlagen wie eine Bombe. Die Meldung liess die Retail-Welt kurz in Stockstarre verharren und schickte an der Wallstreet die Aktien von US-Detailhändlern wie Walmart & Co auf Talfahrt.
Oder wie es Alexander Graf treffend und zynisch in einem Tweet zusammenfasst:
Führendes Techunternehmen kauft hochverschuldeten Bioladen.
Vielleicht ist es für Karstadt ja doch nicht zu spät.
Strategische Optionen
Doch was will Amazon mit Whole-Foods und welche strategischen Möglichkeiten bieten sich dem Online-Giganten aus Seattle? Sieben mögliche Optionen.
1. Profitabilität durch Investitionen
Amazon-CEO und Gründer Jeff Bezos hat vor knapp 4 Jahren im August 2013 als Privatperson die renomierte Zeitung Washington Post gekauft. Die Befürchtungen waren gross, dass es jetzt zum radikalen Job-Abbau bei der Washington Post kommt und die Artikel fortan von Algorithmen geschrieben würden.
Klar hat Bezos ausgemistet, aber er hat ganz gezielt gehandelt, überall dort digitalisiert wo es Sinn macht und er hat investiert. Investiert in Journalisten und seinen Stempel aufgedrückt, dass der Kunde (Leser) im absoluten Zentrum steht. Die Washington Post schreibt wieder für die Kunden und steht heute gut da mit deutlich nach oben zeigenden Werten wie zahlende Abonnenten und mehr.
Whole Foods ist in finanzielle Schwierigkeiten geraten und war dadurch sehr mit sich beschäftigt (so wie aktuelle zu viele Retailer). Ein möglicher Grund, dass Amazon da zugelangt hat und das Potential sieht, den Retailer wieder fit zu trimmen, zu investieren, auf die Kunden zu fokussieren und damit wieder Marktanteile zu gewinnen. Profitabilität zurückgewinnen durch Investitionen, die der Retailer alleine nicht mehr hätte aus eigener Kraft abwickeln können.
Und nicht ganz zu vernachlässigen ist natürlich, dass Amazon einen in der Bevölkerung durchaus sehr beliebten Lebensmittelhändler rettet, quasi aus den Fängen der ungeduldigen Investoren.
Zudem entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass der Whole Foods Co-CEO und Mitgründer John Mackey noch vor 2 Jahren ggü. Bloomberg diktierte, dass Online-Food für Amazon das Waterloo werden würde.
2. Walmart in die Schranken weisen
Walmart als einer der weltweit grössten Einzelhändler ist stationär in den USA die unangefochtene Nummer 1. Walmart kommt jedoch von Amazon zusehends stark unter Druck und deren E-Commerce Initiativen sind nicht immer von Erfolg gekrönt.
Wie viele andere Retailer musste sich auch Walmart das Knowhow extrem teuer zukaufen. So wurde im vergangenen Sommer für USD 3 Milliarden Jet.com gekauft oder beispielsweise zeitgleich mit der Ankündigung der Übernahme von Whole Foods durch Amazon letzten Freitag die Akquisition des Online-Herren-Ausstatters Bonobos für weitere USD 310 Mio.
Walmart und Amazon scheinen sich spinnefeind und das Zitat von Walmart-CEO Doug McMillon
We will compete with technology,
but win with people.
ist kaum 2 Wochen alt, schon hat sich Amazon durch die Akquisiton 87’000 Whole Foods Mitarbeiter an Bord geholt, die tagtäglich vor Ort die Kunden bedienen und kennen. Und dadurch seine Vormachtstellung in Sachen Technologie zusätzlich „mit People“ deutlich flankiert.
3. Amazon Go Rollout
Amazon experimentiert schon länger mit seinem stationären Format Amazon Go das keine Kassen mehr kennt (Warum Amazon rafft, was der Detailhandel nicht schafft) und komplett durch Algorithmen und künstliche Intelligenz gesteuert ist.
Die ganze Welt scheint auf dieses kleine Pilot-Format in Seattle zu starren, das kaum die Grösse eines Migrolinos oder Coop-Prontos hat, um es mit zwei Schweizer Convenient-Formaten zu vergleichen.
Bekannt ist, dass Amazon mit dem Go-Piloten nach wie vor Probleme bekundet. Aktuell können nicht mehr als 20 Kunden zeitgleich im Laden sein und er steht weiterhin nur einem kleinen Teil der Amazon-Mitarbeiter selber als Test zur Verfügung, wie ich mich verangene Woche selber vor Ort überzeugen konnte.
Was nun aber, wenn Amazon die technischen Probleme in den Griff bekommt – wovon auszugehen ist – und die Prozesse ebenso? Amazon Go vertreibt vor allem biologische Frisch-Produkte und sieht selber aus wie ein kleiner Whole Foods.
Mit der Übernahme von Whole Foods hat Amazon auf einen Schlag über 450 Filialen die man sukzessive mit der neuen Technologie ausstatten kann. Und zudem das Potential von 444 Stores in den USA, 13 Läden in Kanada sowie 9 Formaten in UK als perfekte Ausgangsbasis zur kontrollierten Lancierung von Amazon Go. Und die Technologie muss (vorerst) nicht mal an Dritte verkauft werden.
4. Verteilte Food-Logistik und Pick-Up Stationen
Amazon ist zwar ein Meister der Logistik, doch Frische ist eine ganz andere Herausforderung, als was Amazon bislang beherrscht.
Schnell verderbliche Produkte, verschiedene Kühlstufen (normal, gekühlt, tiefgekühlt) und ein anspruchsvolles Verpacken (wir alle kennen es, Chips und Eier nicht zu unterst in der Einkaufstüte) sind Punkte, mit denen sich auch ein Amazon bis jetzt nicht eingehend auseinanderzusetzen brauchte.
Amazons Logistikcenter sind hochgradig optimiert und wo sinnvoll automatisiert. Sie befinden sich jedoch eher an peripheren Lagen oder verkehrstechnisch günstigen Orten. Mit Ausnahme der geografisch eingeschränkten Amazon-Fresh Piloten immer noch relativ weit vom Endkunden weg.
Auch die handvoll Fresh-Pickup-Stationen (mein Test letzte Woche in Seattle) scheinen mir im Vergleich mit den (ehemaligen) LeShop DRIVEs sehr improvisiert und stehen draussen in Suburbia.
Alleine mit den knapp 450 US-Standorten von Whole Foods bekommt Amazon auf einen Schlag 450 Food-Logistik-Hubs die sehr nahe bei den Kunden sind und wohl zum grössten Teil in den auto-freundlichen USA auch als Pick-Up Stationen genutzt werden können.
Ähnlich wie bei Amazon Go ermöglicht die Akquisition von Whole Foods ein flächendeckender Rollout von Amazon Fresh inkl. den Pick Ups. Denn auch hier hat Walmart nicht geschlafen mit seinen Grocery-Pick Up Stationen, die bereits nahezu in allen Regionen der USA verfügbar sind.
5. Food Supply-Chain
Food ist nicht nur bzgl. Logisitk eine andere Geschichte als die Sortimente, die Amazon bisher beherrschte. Auch die ganze Supply-Chain inkl. dem Sourcing, der Anlieferung der Frischeprodukte, die oft gleichentags beim Kunden sein müssen weil sonst die Ware verdorben ist, und vieles mehr stellen Herausforderungen dar.
Amazon ist es absolut zuzutrauen, dass sie auch das in der ihr eigenen professionellen Art lösen können. Es muss dabei jedoch sehr viel Lehrgeld bezahlt werden und der Faktor Zeit kommt obendrauf.
Die Übernahme von Whole Foods hat in diesem Bereich Amazon einen perfekten Shortcut bereitet und das Knowhow kann schnell integriert werden.
6. Lokale Präsenz verstärken
Amazon experimentiert bereits seit 1-2 Jahren mit lokalen Formaten, angefangen mit den Amazon Book Stores. Auch wenn es sich dabei um stationäre Ladengeschäfte handelt, so dürften sie für Amazon weitaus differenziertere Ziele verfolgen als man a-priori meint.
Sortimente und Produkte sind komplett von Algorithmen gesteuert und basieren auf Millionen von Online-Transaktionen. Das Personal selber bietet kaum Beratung an und ist vornehmlich mit der Betreuung des Ladens selber beschäftigt.
Die lokalen Präsenzen von Amazon verfolgen für mich nach einem Selbstversuch (ebenfalls vergangene Woche in Seattle) primär folgende Ziele:
- Testen der Algorithmen und lernen, wie sich diese in lokalen Formaten nutzen lassen (nach wie vor mit bescheidenem Erfolg).
- Vor Ort Präsenz zeigen und die potentiellen Kunden abholen, die rein online nicht erreicht werden können
- Kunden für das eigene Prime-Programm rekrutieren, das bei Preisunterschieden von bis zu 40% bei Büchern im Ladengeschäft für Prime- und Nicht-Prime-Kunden ein eigentlicher No-Brainer ist.
- Eigene Produkte präsentieren, erklären und verkaufen wie Kindle, Fire-TV und anderes.
- Kundennähe nutzen für mögliche Logistik Hub-Funktionen um innert sehr kurzer Zeit beim Kunden zu sein.
Die 450 Whole Foods Filialen geben Amazon auf einen Schlag enorme stationäre Reichweite zur Verfolgung oben genannter Ziele.
Und es wäre kaum eine Überraschung, wenn alle Whole Foods Kunden eine Prime-Mitgliedschaft als Willkommensgeschenk erhalten würden. Auch hier dominiert Amazon mit seinem wohl global erfolgreichsten Kundenbindungsprogramm.
7. Steile Lernkurve und grösstmöglicher Pilot für globalen Rollout von Amazon Fresh
Amazon will in den Multi-Milliarden Markt mit Lebensmittel einsteigen und sich dort Marktanteile holen wollen, global. Und, dass Amazon dies primär digital abwickeln will, anders als die traditionellen Lebesnmittel-Händler, ist ebenso klar.
Die Übernahme von Whole Foods und dessen Marktanteilen erlaubt Amazon nun einen sehr schnellen Start in diesem Sortiment und eine extrem steile Lernkurve, die sowohl in Nordamerika (USA und Kanada) wie auch Europa (UK) wie von Amazon gewohnt gnadenlos genutzt werden wird, um Online-Food mutmasslich und sehr bald global auszurollen und eine dominierende Rolle einzunehmen.
Whole Foods kann damit zu Amazons grösstmöglichem Pilot für (Online)Food werden – als optimale Vorbereitung für den weltweiten Rollout.
Insofern sind diese USD 13.7 Milliarden ein cleveres Investment – die Börsenkapitalisierung von Amazon nahm übrigens als Folge dieser Akquisition um USD 15 Milliarden zu.
Es zeigt dass Amazon nicht ans Aussterben des stationären Handels glaubt, sondern an die Transformation. Und wenn fast die Hälfte des Detailhandelsumsatzes Food ist, liegt da ja das grosse Potenzial.
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