Aus TWINT wird TLOST – Mobile-Payment-Rohrkrepierer made in Switzerland

11
19299

Laut einem Bericht bei Inside Paradeplatz verzeichnet die Mobile-Payment App TWINT bei der CS gerade mal 1’000 Downloads und bei den anderen Banken sehe es nicht viel besser aus.

Ein historischer Flop der führenden Banken der Schweiz, die mit ihrer Twint-App auf Google Android sowie für die iPhones von Apple durchstarten wollten.

Ich gestehe; ich war ein früher Nutzer von Twint (der ersten Version) und habe der Mobile-Payment-Lösung reelle Chancen am Schweizer Markt zugestanden. Zumal die Lösung von Postfinance sehr früh am Markt war und strategisch wie auch taktisch klug sehr viele Händler von Beginn weg an Bord geholt hat.

Wenn sich die Banken und die Post streiten freut sich Apple und Google

Der Nachteil von TWINT war, dass es sich primär um ein Prepaid-Modell handelte es sei denn, man hatte ein Postfinance-Konto. Währenddessen die Banken wie gewohnt ihre eigene Suppe kochten und die Lösung Paymit an den Start brachten. In deren Zentrum stand die P2P-Payment Funktion, was ihr auf Kundenseite eine schnelle Akzeptanz brachte.

Die Post hat den Markt von Händlerseite, die Banken von funktionaler Seite bearbeitet. Und so kam es vor etwas mehr als einem Jahr zum Schulterschluss; TWINT und Paymit gingen zusammen, die Funktionen wurden konsolidiert, der Name Paymit verschand und das neue TWINT wurde geboren. Oder wie wir damals titelten: Handel schlägt Finanzindustrie oder Mobile Payment ist nach wie vor ein Anbieter-Markt.

Ende Mai letzten Jahres frohlockten wir noch:

Mit der Fusion bringen nun beide ihre Assets mit ein. Paymit ihre breite Nutzerbasis und die nahtlose Anbindung der Bankkonto. TWINT die hohe Anzahl der POS-Möglichkeiten und die angebundenen Onlinehändler.

Doch was ist in dem Jahr passiert? Anstelle, dass beide Parteien ihre Stärken in einer App vereinen und eine durchaus marktfähige Schweizer Mobile-Payment-Lösung lancierten scheint genau das Gegenteil davon passiert zu sein. Jeder Beteiligte wollte sich mutmasslich selber verwirklichen – an den Kunden hat kaum jemand gedacht.

So finden sich im App-Store heute nahezu ein Dutzend Twint-Apps, den Durchblick hat der Normalkunde nicht. Die Migration auf das neue Twint von Paymit und Twint war gelinde gesagt eine Katastrophe. Die von Inside Paradeplatz heute publizierten Downloadzahlen überraschen daher kaum.

 

Fast ein Dutzend verschiedene TWINT-Apps in Apples Appstore
Fast ein Dutzend verschiedene TWINT-Apps in Apples Appstore

Die Post konzentrierte sich auf die Händler, die Banken auf die Funktionen – Google & Apple auf die Kunden.

Ein währschafter Rohrkrepierer den die Schweizer Banken und die Postfinance da kreierten. Dabei wäre die Ausgangslage alles andere als hoffnungslos gewesen. Hoffnunslos war nun das Agieren der Finanzbranche – denn eigentlich wäre Banking generell und Payment speziell ja Kernkompetenz.

Weniger Kernkompetenz bei den Banken bleibt bis heute die Kunden- und Nutzerfreundlichkeit. Die globalen Akteure bedanken sich und kümmern sich währenddessen um die wahren Kundenbedürfnisse.

Es ist schon fast so wie im digitalen Handel. Währenddessen Omni-Channel Händler aufwändig ihre Organisationen, Prozesse und Systeme umbauen und tiefgreifende kulturelle Herausforderungen vergegenwärtigen und bereits als Erfolg feiern, wenn Promotionen und Gutscheine sowohl offline wie auch online funktionieren, konzentrieren sich Pure-Player von Amazon bis Zalando zwischenzeitlich um die Kunden und deren Bedürfnisse.

Zurück zum Mobile-Payment: Im Handel ist Apple Pay mittlerweile angekommen, ein Grossteil der Zahlterminals ist NFC-fähig und die Bastion der Banken und Kreditkarten-Institute gegen Apple Pay ist letzten Herbst ohnehin gefallen. Und mittlerweile haben sowohl Facebook wie auch Apple Peer-2-Peer Payment angekündigt.

Apple Pay, Facebook und andere – alles Apps mit hoher Nutzerakzeptanz und -penetration. Wer braucht da noch TWINT? ich bin nach wie vor überzeugt, es hätte eine veritable Chance gehabt. Aber diese haben die Banker und Pöstler erfolgreich selber zu nichte gemacht. Keine Ahnung was sie bauen wollten, dabei wäre es doch so einfach gewesen, wie auch Inside Paradeplatz resümiert:

Gemeinsam den Angreifern aus dem Ausland die Stirn bieten, lautete damals der Schlachtruf. Ziel war es, den Durchmarsch von Apple mit ihrem „Pay“ und von anderen Tech-Konzernen zu verhindern.

Die Eindringlinge hatten das Feld von hinten aufgerollt. Für einmal ganz ohne Tech-Firlefanz: Apple Pay wollte nicht die Welt neu erfinden, sondern schloss sich mit den Platzhirschen zusammen. Den grossen Kreditkarten.

Seither boomt Apple Pay. Einfacher gehts nicht. Jeder hat ein Handy, viele eines aus Cupertino. Jeder hat eine Kreditkarte, sei es von Visa, Mastercard oder einem Dritten.

Handy und Kreditkarte verschmelzen – fertig ist das Mobile-Gericht.

Auf diese Idee waren die Schweizer Banken-Manager nicht gekommen. Oder wenn, dann fanden sie sie nicht gut genug für das hochgelobte Swiss Banking.

In diesem Sinne – TWINT deinstalliert. RIP TWINT.

[bctt tweet=“Post konzentrierte auf Handel, Banken auf Funktionen. Google & Apple auf Kunden! #TWINT #RIP“ username=“carpathia_ch“]

Nachtrag (21.7.2017)

Dieser wie auch der referenzierte Beitrag von Inside Paradeplatz haben eine heftige Diskussion rund um TWINT ausgelöst, was sehr begrüssenswert ist und auch zeigt, welche Denkanstösse und Impulse über unsere Medien gesetzt werden können.

Auch in den sozialen Medien wurde aussergewöhnlich heftig diskutiert, insbesondere auf Twitter.

Damit sich jeder Leser ein eigenes Bild machen kann, nachfolgend gerne weitere Artikel rund um TWINT, welche in den vergangenen Tagen publiziert wurden:



letzter ArtikelShopping-Trends oder das Ende des Konsums
nächster ArtikelAmazon, Protz und Marshmallows – Tut der Wandel im Handel weh?
Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

11 KOMMENTARE

  1. Kopfschütteln ist angesagt. Und ich habe mich schon gefragt was es mit den Banken-Twint-Apps auf sich hat. Stattdessen rühmen sie sich mit (übertriebenem) Pseudo-Sicherheitsdenken.
    Allerdings haben doch die meisten Unternehmen weniger den Kunden und seine Bedürfnisse, als das Ego eines Managers oder anderes im Kopf. Um wirklich kundenzentriert zu agieren braucht es gute Analysten, die das Verhalten der Konsumenten lesen können und den Willen sich an den Kunden anzupassen.
    Das hatten die Banken dann wohl nicht. Und ich dachte Twint würde bestehen. Dann bleibt der Griff zum Plastik vorerst in meinem Repertoire. Danke für den Beitrag.

  2. Lieber Thomas, ich sehe das ein bisschen anders. Erstens hat Lukas von IP nicht ganz sauber recherchiert (wie meistens), und zweitens habe ich als Nutzer im Moment (!) keine wirkliche Alternative fürs schnelle Kleinbeträge-Hin-und-Her-Schieben. Ich weiss nicht, wie das bei Dir im Freundeskreis ist, aber z.B. letzte Woche hatte ich im Schnitt pro Tag mehr als eine Transaktion über Twint. Zusammen Blumen verschenken, Pizza bestellen, Mittagessen aufteilen, und Jass-Schulden begleichen. Nix RIP, sorry. 😉
    LG,
    Roman

    • P2P ist die einzige Payment-Methode, die funktionierte, da bin ich bei Dir. Aber nun fangen auch Facebook, Apple & Co an mit Peer-2-Peer. Also die Player, bei denen alle bereits einen Account haben. Daher sehe ich wenig Zukunftschancen. Und Du?

      • Zukunftschancen sind tatsächlich ein bisschen wie bei Asterix und dem einen Dorf umgeben von Römern. 😉 Ausser es kommt (bald) ein „Schweizerischer Lock-In“-Effekt, den Apple & Co. nicht bieten können. Trotzdem kurz Reality Check: meine Mutter (ü70) hat Twint, aber nix von Apple. Mein Facebook-Account ist tot, da werde ich kein P2P machen. Und in CH ist der Trust-Faktor wohl noch einige Zeit nicht zu vernachlässigen (spricht für hiesige Banken und gegen „dubiose“ US-Giganten).

        • Die Diskussion ist irgendwie ähnlich hoffnungslos bzgl US-Giganten wie, ob sich Amazon, Netflix und Co durchsetzen.
          Apropos dubiose US-Giganten; wie vertrauensvoll sind denn in der CH zB Starbucks oder Microsoft? 😉

  3. Erstens: IP ist kein Benchmark – Hässig macht seinem Namen Ehre und hat immer etwas zu meckern (oft mit Unterhaltungseffekt)
    Zweitens: Als (AKB) Kunde werde ich Twint erst mit Debit Funktion nutzen; bis dahin ist die kontaktlose Maestro sehr praktisch
    Drittens: Es ist doch zu hoffen, dass sich der Finanzplatz Schweiz noch zu einer nützlichen Lösung zusammenrauft – schliesslich hätten wir alle etwas davon!

    • Niemand hat behauptet, IP sei ein Benchmark und die veröffentlichten Zahlen waren der Auslöser für den Bericht, jedoch nicht der Inhalt, wie unschwer festzustellen ist. Die Argumentation, warum ich TWINT wenig Überlebenschancen gebe stützt sich nicht auf die Downloadzahlen – ob korrekt oder nicht – sondern wie im Artikel dargelegt auf die falsche Fokussierung.

  4. IP hin oder her…Twint wird absaufen wie die Titanic. Den Eisberg, oder vielmehr gesagt die Eisberge sind längst gerammt, der Kasten treibt einfach noch etwas vor sich hin. Zudem hat es mehrere Kapitäne auf der Brücke. Es braucht keine CH Lösung dafür….besser gesagt nicht mehr. Denn dieses Schiff ist längst ausgelaufen..

  5. Bin da bei dir – Zahlmethoden ist das eine, Sicherheitslösungen das andere. Wenn die Finanzdienstleister weiterhin jeder unterschiedliche und teils sehr umständliche Login-Verfahren für ihre Onlinelösungen anbieten und nicht zusammenschliessen und die Stärken vereinen, werden sie dort auch bald überholt (Apple und Onlineüberweisung.de sind schon dran). Ausbaden muss es auch hier der Schweizer Kunde – 60% haben ein Konto bei mind. 2 Banken und da wäre doch eine Schweizweite Lösung ein Traum (nicht wieder nur die üblichen Verdächtigen)…dann noch mit einer einheitlichen digitalen ID für alle anderen Geschäfte verknüpft…das wären Magic Moments für Kunden;-)

  6. Der einzige Grund warum Twint noch lebt ist doch nur weil die Kreditkarten in der Schweiz noch nicht Apple Pay unterstützten.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Bitte fügen Sie ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie ihren Namen hier ein