Stadtentwicklung: Der Store-Office-Logistics-Shift

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Stadtentwickler sind aktuell wenig zu beneiden und auch Zürich als grösste Schweizer Stadt hat ein entsprechendes Projekt lanciert: Die Veränderungen im Detailhandel und ihre Auswirkungen auf die Stadt Zürich.

Mancherorts ist gar von der Verödung der Innenstädte zu lesen und Schuldige sind schnell ausgemacht. Meistens heissen sie Amazon oder Zalando, welche angeblich die Innenstädte kaputt machen. Dem kann man nur entgegnen, dass wenn eine Website interessanter für die Konsumenten als eine Innenstadt ist, hat die Stadt ganz andere Probleme zu lösen (Die besten Zitate zum E-Commerce Jahr 2016).

Fakt ist, der Onlinehandel adressiert die Bedürfnisse der Kunden heute anscheinend besser und nimmt an Dynamik zu. Neben dem Auslandeinkauf macht er dem stationären Handel das Leben schwer.

Die Folge davon; fast sämtliche Händler im Non-Food Bereich fahren die Flächen rapide zurück, ändern das Geschäftsmodell (Bata: Schuhändler schliesst alle Filialen und setzt auf Online), verkaufen an internationale Retailer ( Charles Vögele ist Geschichte / Migros verkauft Office-World), konsolidieren (Aus für Schild und Herren-Globus) oder werden ganz zur Geschäftsaufgabe gezwungen (Kahlschlag im Detailhandel: In den USA voll entbrannt, in der Schweiz am Anfang).

Die ganze Situation zeigt sich noch verschärft bei den Einkaufszentren wo es in naher Zukunft wohl zu grösseren Bereinigungen kommen wird. Die erste Dead-Mall steht im Tessin und die nächste wohl in Basel („Was läuft im Stücki“ oder „Elend Stücki-Shopping: Der qualvolle Tod einer bizarren Idee„).

Neue Bedürfnisse von Logistikern und Büros

Gleichzeitig sind andere Trends zu beobachten wie, dass die Logistiker kleinere und flexiblere Flächen näher bei den Kunden suchen, um noch schneller liefern zu können.

Dies wird einerseits durch kleinere Lager in der Agglomeration oder in den Aussenquartieren erreicht. In vereinzelten Fällen auch bereits in Innenstädten wie möglicherweise in leerstehenden Kaufhäusern wie das Beispiel von Amazon in Berlin exemplarisch zeigt.

Eine andere Herausforderung stellt der sog. „War of Talents“ dar, also die Rekutierung von Spezialisten. Und diese sind je länger je weniger bereit, in Aussenquartieren oder Industriezonen zu arbeiten. Der jahrelange Trend, dass Büroarbeitsplätze in die Peripherie verschwinden, könnte gestoppt oder gar umgedreht werden.

Google beschäftigt im Zentrum von Zürich über Tausend Mitarbeiter und hat sich in verschiedensten Gebäuden mitten in den aufstrebenden Quartieren eingemietet.

Globus verkündete letzte Woche, dass man den Hauptsitz vom provinziellen Spreitenbach zurück in die Zürcher Innenstadt verlege direkt an die Bahnhofstrasse, wo Ladenflächen umgenutzt werden können.

In einem weiteren Artikel in der SonntagsZeitung (Die neue Sehnsucht nach der Stadt – PDF) wird auch der ifolor-CEO Filip Schwarz zitiert, der mit seiner Foto-Unternehmung kürzlich einen Coup mit Apple gelandet hat und von Kreuzlingen am Bodensee nach Zürich umgezogen ist. Mit ein Grund, dass er kaum Spezialisten nach Kreuzlingen locken kann. Er sieht die Herausforderung jedoch ganzheitlicher und will Arbeitsplätze dort bieten, wo auch nach Büroschluss noch Leben ist, für die ganze Familie wie er humorvoll meint:

Die Ehefrauen möchten eben auch nicht in Kreuzlingen zum Friseur.

Aus Ladenflächen werden Büros – aus Büros Logistkhubs

Ein mögliches Szenario für die Innenstädte könnte dieser Ablöseprozess sein. Wir nennen ihn mal „Store-Office-Logistics-Shift“. Und im Grund genommen ist es gar ein Kreislauf. Denn die leerstehenden Ladenflächen werden u.a. ersetzt durch Büroarbeitsplätze welche wiederum Platz gemacht haben für Onlineplattformen, welche diesen Platz mit deren Logistik-Dienstleistungen in Anspruch nehmen.

Ist dies gar eine Lösung zur Wiederbelebung der Innenstädte? Welche anderen Szenarien wären möglich? Denn die Menschen werden weiterhin sich treffen, austauschen und soziale Kontakte pflegen wollen. Doch dies wird wohl je länger je weniger unmittelbar mit Einkaufen in Verbindung gebracht (Die Entkoppelung von Shopping und Begegnung).

Ich freue mich auf weitere Szenarien und Ideen in den Kommentaren.

Der Store-Office-Logistics-Shift - Grafik: Carpathia AG 2017
Der Store-Office-Logistics-Shift – Grafik: Carpathia AG 2017


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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

6 KOMMENTARE

  1. Ich unterstütze diese These ausdrücklich. Ich denke, dass wir im Zuge des noch stärkeren absoluten Wachstums im Online-Handel eine Verschiebung von Zentrallagerbelieferung zu dezentralen Hubs sehen werden, ganz einfach um die Liefergeschwindigkeit erhöhen zu können (vision 1 hour). Natürlich wird es immer grosse Zentrallager geben, aber die lokale Bevorratung in der Nähe des Kunden wird sich für A- und je nach Entwicklung auch für B-Produkte ergeben. Dass dann damit auch anderes Leben entsteht, liegt in der Natur der Sache. Ich bin mir hingegen nicht ganz sicher, ob die Online-Händler in die absolut zentralen Bereiche ziehen müssen – bei Globus scheint mir das ein etwas anderer Fall. Aber ja, vielleicht besetzen dann die Online-Händler irgendwann mal die Bahnhofstrasse in Zürich… das dauert aber noch ein wenig und der Druck auf die Flächenpreise muss zuerst doch noch stark steigen bevor das eintritt!

    • Danke Patrick – ich denke auch nicht, dass die Online-Logistiker ganz in die City kommen werden mit Ausnahmen. Dafür ist die Infrastruktur wenig geeignet (Zufahrten, Mietpreise etc.).

      Daher auch dieser Shift, dass sie die Büros zurück in die Innenstädte drücken und deren leerstehenden Flächen in der Peripherie nutzen. Also ein „Dreisatz“ 😉

  2. Ich sehe punkto Innenstädte längerfristig eher eine Wiederbelebung. On- und offline Handelsmodelle verschmelzen zusehends und der Handel als Ganzes wird digitalisiert. Der Druck auf die Mieten von Ladenflächen wird stark steigen und neue, hybride Händler werden sich ansiedeln. Klassische Handelsmodelle bleiben in dieser Transformation auf der Strecke

    • Sehe ich ähnlich; nur wird der neue Handel deutlich weniger Fläche benötigen wegen intelligenter Verknüpfung von Showroom, Digital und Logistik-Services. Was it den neu verfügbaren Flächen? Büros können sich diese eher leisten als Wohnungen. Daher geht mein Modell in diese Richtung. Auf jeden Fall wieder mehr Menschen in den Städten und damit Leben.

  3. Store-Office-Logistics-Shift ist ein interessanter Ansatz. Dabei gilt es zu berücksichtigen, von welchen Stadträumen wir sprechen. In der Tat werden durch den Wandel im Handel Detailhandelsflächen auch in Innenstädten wie Zürich frei. Diese werden jedoch kaum durch klassische Office-Nutzungen gefüllt werden, da bei den Büroflächen nach wie vor ein beträchtlicher Leerstand besteht und grosse Finanzdienstleister in letzter Zeit vermehrt in neue Bürogebäude an den Stadtrand gezogen sind.
    Die Innenstadt von Grosszentren wird jedoch ihre Attraktivität für publikumsorientierte Nutzungen behalten; nicht zuletzt dank dem boomenden Städtetourismus. Die Angebote werden sich dabei aber stark verändern, und es werden vermehrt hybride Formate verschiedener Nutzungsarten entstehen, wie z.B. ein Gastronomie-Betrieb im Blumenladen, ein Architektur-Atelier mit öffentlichen Kunst- und Kulturevents aber auch co-working spaces. Natürlich wird es auch die vielbesprochenen on-offline Kombinationen mit Showrooms und anderen Formaten geben.
    Aber wie gesagt, es kommt darauf an, von welchen Stadträumen wir sprechen. Der Wandel im Handel hat andere Auswirkungen auf grossstädtische Subzentren wie Oerlikon als auf Quartier- oder Ortszentren. Und Shopping Center stellen nochmals einen anderen Fall dar. Sicher ist, dass der Wandel im Handel die Stadtentwicklung mitprägen wird. Deshalb entwickelt die Stadt Zürich Szenarien für den Detailhandel und dessen Auswirkungen auf die Stadt. Dazu findet am 4. Dezember 2017 eine öffentliche Veranstaltung statt.

    Links:
    Stadtentwicklung und Handel im Wandel:
    https://www.stadt-zuerich.ch/prd/de/index/stadtentwicklung/stadt-der-zukunft.html

    Öffentliche Veranstaltung vom 4.12.2017:
    https://www.stadt-zuerich.ch/prd/de/index/stadtentwicklung/stadt-der-zukunft/veranstaltung-stadt-der-zukunft.html

    Leere Verkaufsflächen:
    https://www.stadt-zuerich.ch/content/prd/de/index/statistik/publikationen-angebote/publikationen/webartikel/2017-10-23_Weniger-leere-Bueroflaechen-mehr-leere-Verkaufsflaechen.html

    Städtetourismus:
    https://www.stadt-zuerich.ch/prd/de/index/statistik/kontakt-medien/aktuell/neuigkeiten/2017/2017-10-05_Tourismuszahlen-August-2017.html

    Co-Working-Space:
    https://www.nzz.ch/zuerich/beim-bahnhof-enge-entsteht-das-groesste-wohnzimmer-zuerichs-ld.1324233

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