Digitalisierung in der Pharmabranche: Bittere Pille oder Balsam für die Apotheker?

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An der diesjährigen PharmaDavos durfte ich Keynote und Impulsreferat halten und den anwesenden Branchenvertretern die aktuellen Veränderungen im Schweizer Retail wie auch deren Ursachen und Folgen darlegen.

Nach eigenen Angaben hinkt die Pharmabranche beispielsweise den Sportartiklern rund 10 Jahre hinterher was gut sein mag, doch denke ich, es sind maximal weitere 5 Jahre, welche den Apothekern bleiben. Und dennoch, kaum eine Branche wie die Apotheken wehren sich so vehement gegen Veränderungen und halten an der Besitzstandswahrung fest.

Ich habe mich oft kritisch zum Apothekengeschäft geäussert oder vielmehr zu deren Festhalten an Bestehendem und auch, dass man mitunter die Politik bemüht, um jeglichen (digitalen) Fortschritt im Keim zu ersticken.

Der rund 80 minütigen Präsentation (Slides unten) folgte eine spannende Diskussionsrunde die mir ein differenziertes Bild der Branche zeigte.

Zum einen waren die älteren Generationen von Apothekern anwesend, die erstaunlicherweise aufgeschlossen scheinen gegenüber Neuerungen, jedoch viel Respekt haben vor den Herausforderungen für Geschäft wie auch für Gesellschaft. Etwas Orientierungslosigkeit und auch Angst gepaart mit einem gesunden Interesse für das Neue, das kommen wird.

Eine weitere Fraktion bildeten die Nischenanbieter, die für sich selber einen Weg gefunden haben oder einen suchen, mit den Herausforderungen des digitalen Zeitalters zurecht zu kommen und dessen Vorteile für sich zu nutzen. Diese scheinen nicht auf die Branche warten zu wollen sondern suchen sich ihren eigenen Weg.

Und ja, auch die Besitzstandswahrer waren anwesend und wie mir scheint, sind das eher die lauteren und die Meinungsbildner, wenn sie mir auch nicht in der Mehrzahl erschienen. Hier stehen Argumente wie Regulatorien und Gesetze im Zentrum wie auch, dass nur ein Apotheker in seinem Ladengeschäft korrekt beraten kann und über die entsprechenden Kompetenzen verfügt.

Gegenargumente wie, dass Beratung auch über digitale Kanäle erfolgen kann, die Mehrheit der Konsumenten mündig ist und ich denen durchaus zutraue, ein Medikament korrekt einzunehmen wie auch, dass ein Apotheker keine Gewissheit darüber hat, dass das Medikament korrekt eingenommen wird, wenn der Patient einmal zu Hause ist, werden in den Wind geschlagen.

Da scheinen die Zeichen der Zeit noch nicht überall erkannt worden zu sein, auch wenn diese „Fraktion“ mir nicht in der Mehrzahl erscheint. Aber eben, evtl. braucht es noch diese zusätzlichen 5 Jahre Zeit für die Erkenntnis. Wertvolle Zeit, die es gilt zu nutzen, um die entsprechenden Weichen zu stellen. Denn es wäre bedauernswert, wenn eine weitere Branche durch internationale Player unter Druck geraten würde und man im nachhinein sagen müsste, ach hätte man nur rechtzeitig…

Beratungsbedarf schwindet kontinuierlich – Slide aus der Keynote zur Positionierung im digitalen Markt anlässlich der PharmaDavos 2019

Und wenn auch gegen die Onlinehändler und Versandapotheken gewettert wird wie anderswo gegen Zalando & Co. muss man einmal mehr glasklar machen:

Als stationärer Händler oder Apotheker darf man die Schuld nicht bei den Online-Mitbewerbern suchen – denn keiner von diesen wäre erfolgreich, würde er nicht ein Kundenproblem offensichtlich besser lösen.

Da sollte man bestenfalls auf die Kunden sauer sein oder noch besser vor der eigenen Türe kehren und überlegen, warum die Kunden abwandern zu Lösungen, die deren Bedürfnissen eher entsprechen. Denn einmal mehr, der Kunde entscheidet.

Anmerkung: Komplexe Medikamente sollen / müssen zum Schutz des Patienten durch Fachpersonen verabreicht und instruiert werden, das steht nicht zur Frage. Es geht mir bei dieser Diskussion mehr darum, dass dies für einen Grossteil der Bevölkerung auch über neue Wege und digitale Möglichkeiten erfolgen kann und zudem ein ebenso grosser Teil mündig ist, diesen Instruktionen zu folgen wie dieser Teil der Bevölkerung oft im Berufsleben Entscheide von grösserer Tragweite fällt und auf diese Art der Bevormundung verzichten möchte. Kommt hinzu, dass ich eine Vielzahl von Medikamenten als einfach taxiere für die ich wohl keine Beratung benötige, die online jedoch (bis auf weiteres) nur gegen Rezept erhältlich sind, stationär jedoch in jeder Apotheke ohne Rezept. Aus gutem Grund.



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

1 KOMMENTAR

  1. Es ist ein Skandal, dass der Online-Versand von OTC-Produkten in der Schweiz verboten ist und es ist höchste Zeit, dass der antiquierte Passus im Medizinalgesetz gestrichen wird. Die Bevormundung der Konsumenten
    durch die Apothekerlobby ist unhaltbar und längst nicht mehr zeitgemäss. Dies müsste auch dem Parlament klar sein.

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