Gleich eines Vorweg; im Dezember haben wir uns gefragt, wie viel Amazon Go wohl in Valoras Avec Box steckt. Heute wissen wirs: Nichts.
Der Medienhype scheint grenzenlos und die selbsternannten digitalen Botschafter geben sich die Türklinke in die Hand. Doch nüchtern betrachtet ist die Avec Box weder eine digitale noch eine technische Innovation, höchstens eine arbeitsrechtliche. Denn mit dem unbemannten Ladenkonzept kann man elegant die Ladenöffnungszeiten umgehen, in dem man einen Selecta-Automaten begehbar macht.
Die einzige Gemeinsamkeit mit Amazon Go ist, dass der Zugang zum Ladenformat über eine App erfolgt. Das war’s dann auch schon. Der Rest ist eigentlich nicht mehr als eine (Ent)Täuschung. Dass ich im Laden alle meine Artikel mit einem Handy selber einscanne, kennt man seit Jahren von Coops Passabene oder Migros‘ Subito.
Die Ankündigung letzten Sommer, dass die SBB die Kiosk- und Convenience-Flächen neu ausschreibt, hat wohl gerade bei Valora für Nervosität gesorgt und mutmasslich einen Innovations-Aktivismus ausgelöst.
Gut möglich, dass in den Chef-Etagen wie folgt diskutiert wurde (ein komplett fiktives Gespräch):
Chef: Die SBB will Innovationen sehen, wie können wir unsere Kioske und Convenience Stores aus dem Dornröschenschlaf holen? In den USA hat doch dieser Buchhändler Amazon so einen automatischen Convenience-Store eröffnet. Können wir das auch?
Entwickler: Das wird nicht einfach und wird wohl Jahre dauern. Die Technologie ist noch nicht ausgereift und der Amazon Go Laden funktioniert praktisch komplett über Kamera- und Gesichts-Erkennung, viel künstliche Intelligenz und Algorithmen, an denen Hunderte von Entwicklerinnen und Entwickler jahrelang gearbeitet haben.
Chef: Mmmh, aber wir könnten doch so tun, als könnten wir das auch. Gesichtserkennung ist mir jedoch zu heikel. Da stehen gleich die Datenschützer auf der Matte, das lassen wir sein. Was haben denn Coop und Migros schon?
Entwickler: Die haben seit Jahren Self-Scanning Konzepte in ihren Läden.
Chef: Jeden Kaugummi selber einscannen? Das ist doch zu mühsam. Geht das nicht einfacher?
Entwickler: Klar, entweder wir erkennen das Produkt über Kamera-Technologie oder können es elektronisch über RFID oder ähnliches identifizieren.
Chef: Geht nicht, zu teuer. Also lassen wir die Kunden selber scannen. Das macht denen sicher Spass. Hauptsache wir haben eine App, wir haben doch eine App, oder? Und wie erkennen wir die Kunden?
Entwickler: Das ist das Problem. Coop und Migros haben Loyalitätsprogramme und Kundenkarten, mit denen sie die Kunden identifizieren und auch datenmässig die Transaktionen zuordnen können.
Chef: Verdammt, wir haben keine Kundenkarte. Wer sind denn unsere Kunden? Alle, oder? Also, was haben alle?
Entwickler: Halbtaxabo, WhatsApp, Organspender-Ausweis, Identitätskarte…
Chef: Identitätskarte! Genau, wir nehmen die. Das gibt dem ganzen einen amtlichen Touch. Und dann noch die mobilen Zahlungsmittel, die gibt’s doch eh schon überall.
Entwickler: Und wo bleibt nun die Innovation?
Chef: Ich war kürzlich auf Silicon Valley Safari und da so in einem Innovation-Hub. Die hatten als Deko Schiffscontainer, das wäre doch eine Innovation. Und wir könnten sie noch in Pink bemalen.
Entwickler: Aye Aye Sir, wir machen uns gleich an die Arbeit…
So oder ähnlich hat es sich wohl abgespielt, bis es zum selbsternannten „Laden ohne Kasse“ kam. Bekannt aus der Serie „Tankstelle ohne Tankwart“, „Supermarkt ohne Kassierer“ oder „Bankautomat ohne Bankmitarbeitende“.
Dies ist ein „Carte Blanche“ Beitrag von Thomas Lang und muss nicht mit der Meinung von Carpathia übereinstimmen.