Was wird aus LeShop? Strategische Optionen und die Migrolino These

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LeShop rückt näher an die Migros und wird Bestandteil von «Migros Food Online» (MFO) wie vergangene Woche bekannt wurde. Dass die Migros unter ihrem eigenen Brand den Onlinehandel mit Lebensmittel steigern muss, liegt auf der Hand. Und dass LeShop in den vergangenen Jahren nur noch ein bescheidenes Wachstum an den Tag legen konnte, ist ebenso ein Fact wie, dass sich Mitbewerber Coop@Home kontinuierlich Marktanteile holte.

Lebensmittel Online Schweiz: Umsatz und Marktanteile von Migros' LeShop und coop@home #efood / Quelle: Coop und LeShop / Grafik: Carpathia AG
Lebensmittel Online Schweiz: Umsatz und Marktanteile von Migros‘ LeShop und coop@home #efood / Quelle: Coop und LeShop / Grafik: Carpathia AG

LeShop als Teil der „Kern-Migros“

Der Wechsel von LeShop vom Departement Handel zum Marketing innerhalb der Migros zeigt Signalwirkung in mehrfacher Hinsicht. Während im Handel die einzelnen Gesellschaften eigenständig, mit eigenen Systemen und autonom agieren wie Denner, Globus, Migrol, Ex Libris bis hin zu Digitec Galaxus dürfte LeShop im Departement Marketing ein Teil der „Kern-Migros“ werden.

Migros-Zentrale in Zürich

Einerseits ein klares Signal, dass der Onlinehandel mit Lebensmitteln kein von der Migros losgelöstes Geschäftsmodel (mehr) ist sondern zum Kerngeschäft gehören soll. Anderseits wird eine der grossen Herausforderungen sein, dass LeShop mit seinen CHF 185 Mio Umsatz im vergangenen Jahr gerade mal ein gutes Prozent der knapp CHF 17 Milliarden Umsatz erzielte, welche die Migros 2018 im Bereich genossenschaftlicher Detailhandel umsetzte und damit aus der Konzernperspektive umsatzmässig vernachlässigbar.

Und dieser eklatante Grössenunterschied wird es in sich haben, denn die Prioritäten des Konzerns und damit bei den 99% Anteil am genossenschaftlichen Detailhandelsumsatz werden immer woanders liegen. Ich nenne dieses Spannungsfeld „Transformationsfalle“ (Der stationäre Detailhandel in der Transformationsfalle) wobei es durchaus Wege daraus geben mag. Einen davon beschreitet gerade die Migros Tochter Globus im Departement Handel und man darf gespannt sein, ob sich der Erfolg zeigen wird: Globus strebt online CHF 100 Millionen Umsatz an und investiert kräftig in die Digitalisierung.

Was sind nun die strategischen Optionen?

«Migros Food Online» (MFO) soll die spannendste Initiative im Online-Lebensmittelhandel der Schweiz werden, so LeShops CEO Urs Schumacher in einer internen Mitteilung zur Integration von LeShop in MFO. Damit wird die Latte sehr hoch gelegt und man darf ambitionierte Ziele erwarten. Doch ist das realistisch?

LeShop wird seine bislange Unabhängigkeit wohl verlieren mit dem Wechsel ins Marketing und die Integration in MFO. LeShop konnte in den vergangenen Jahren jedoch kaum noch wachsen und dürfte durch den Abgang der Gründer (Christian Wanner 2013 / Dominique Locher 2017) und dem Managementwechsel in jüngerer Vergangenheit eher mit sich selber anstatt dem Markt beschäftigt gewesen sein. Kommt hinzu, dass etliche Innovation der vergangenen Jahre sukzessive eingestellt wurden (Endstation für RAILLeShop schliesst seine zwei DRIVEs) und mit der Anbindung an das Migros eigene Abholnetzwerk PickMup bereits ein erster Integrationschritt getan wurde.

Diese Zäsur wird jedoch nötig sein, um LeShop und die Migros selber im Onlinelebensmittelhandel neu zu positionieren. Einerseits vom Brand her, dass der Name „Migros“ auch im E-Food Bereich prominenter wahrgenommen wird, anderseits auch, um den Lebensmittel-Detailhandel der Migros digital fitter zu machen.

Wird LeShop für die Digitalisierung der Migros Supermärkte geopfert?

Da LeShop wohl aus eigener Kraft nicht mehr wachsen kann, konnte auf ein Re- oder prominenteres Co-Branding von LeShop mit der Marke Migros verzichtet werden. Der Neustart innerhalb der Migros bietet strategisch interessante Optionen, auch wenn deren Umsetzung im Konzern – und dem nicht zu unterschätzenden Einfluss der 10 Genossenschaften – wohl um ein mehrfaches schwieriger wird denn als unabhängiges Unternehmen wie bisher.

«Migros Food Online» hat damit die Chance, strategisch der Migros Online-Lebensmittelladen zu werden, was man sich wohl seit der Übernahme von LeShop 2004 erhoffte. Bei Wikipedia beispielsweise nachzulesen:

Die Migros schloss ihre Website migros-shop.ch und übergab LeShop.ch per Januar 2004 die Migros-Sortimente und die bestehenden Online-Kunden.

Nun mehr als 15 Jahre später quasi eine Rückabwicklung. Und MFO – ich gehe schwer davon aus, dass «Migros Food Online» nur ein Arbeitstitel ist – die Möglichkeit, die Migros im Bereich Lebensmittel als Gesamtes in der Wahrnehmung digital fit zu machen. Strategische Optionen hierzu bieten sich einige:

Schneller Ausbau / Skalierung von Knowhow und Infrastruktur von LeShop

Ausbau der zwei heutigen Lager in Ecublens und Bremgarten auf noch mehr Standorte in der Schweiz, mutmasslich auch innerhalb der bestehenden Migros-Logistik- und Genossenschafts-Infrastruktur.

Fokussierung der geballten Marketing- und Kommunikationskapazitäten

Migros fokussiert auf einen ganzheitlichen Lebensmittelhandel, der digital und stationär nahtlos miteinander verknüpft.

Längst fällige Integration von Cumulus-Daten und wertvollem Nutzerverhalten in die Onlineplattform

Damit Migros-Kunden ihre präferierten Produkte unabhängig des Touchpoints fokussiert angeboten bekommen und die Migros anderseits den Markt entsprechend gezielter bearbeiten kann.

Erfolgsversprechende Versuche laufen bereits im Rahmen des My Migros Piloten der Genossenschaft Aare. Und auch die mehrfach ausgezeichnete Crowd-Delivery Plattform Amigos zeigt hier spannende Ansätze.

Professionallisierung und Automatisierung der Logisitik mit skalierbareren und effizienteren Lager- und Kommissionierungsprozessen.

Denkbar sind auch vollautomatisierte Lager à la Ocado (Inside Ocado’s burning robotic warehouse) die mittlerweile auch als Services Dritten angeboten werden.

Entwicklung und Einführung von lokalen Kommissionierungs- und urbanen Zustellkonzepten im Migros-Verbund

Nebst einer hohen Automatisierung für die Massen sind für abgelegenere Gebiete und eine schnelle Zustellung auch klassische Store-Picking Konzepte denkbar.

Zudem in urbanen Gebieten ökologische und effiziente neue Zustellmodelle wie es in Zürich und Lausanne ein Farmy praktiziert und zudem in Bern der Pilot von Migros‘ Sparrow-Venture Miacar, das den Migros-Wagen wieder aufleben lässt ganz im Sinne vom Milchmann-Konzept des niederländischen E-Food Innovationstreibers Picnic.

Massive Drehung an der Lieferkosten-Schraube

Denn beide heutige Konzepte LeShop und Coop@Home haben aus Kundensicht hohe Lieferkosten und orientieren sich mit einem Mindesteinkauf um die CHF 200.- am klassischen Wocheneinkauf, der in der heutigen Gesellschaft immer weniger dem Standard entspricht. Meine These war schon länger, dass dies mitunter Grund sein könnte, warum die beiden führenden Onlinelebensmittelhändler in der aktuellen Umsatzregion zwischen CHF 150 und 200 Millionen verharren und nicht stärker wachsen.

MFO hätte die Chance, durch die Integration in die Migros und resultierende Skaleneffekte bei Logistik und Marktbearbeitung hier massiv an der Lieferkosten-Schraube zu drehen und das aktuelle Vakuum zu lösen.

Omni-Channel Lebensmittel-DNA ausspielen

Denn kaum ein Brand ist prominenter als die Migros im Schweizer Haushalts-Alltag und wenn die Verzahnung gelingt, dass die Migros-Standorte friktionslos mit dem Onlineangebot umfassend verzahnt werden vom lokalen Sortiment über die Kommissionierung bis hin zur schnellen und punktgenauen Lieferung, kommt dies einem klaren Wettbewerbsvorteil gleich.

Ich erachte diese Verzahnung jedoch wohl als die grösste aller Herausforderungen, denn Konzernstruktur, regionale Genossenschaften und Kultur stellen heute schon fast unüberwindbare Hürden bzgl. einem griffigen Omni-Channel Konzept dar.

Knowhow, Prozesse und Infrastruktur als Services international anbieten

Denn LeShop als einer der auch international anerkannten Pioniere im Online-Lebensmittelhandel rsp. der Nachfolger MFO wäre durchaus in der Lage, wenn die obigen Punkte greifen, seine Services auch international anzubieten, wie dies ein Ocado mit seinen Ocadosolutions macht. Doch bis dies soweit ist, dürfte noch einiges an Zeit vergehen. Anderseits wenn dies eine Migros nicht schafft, wer dann in der Schweiz ausser noch Coop?

Die Alkoholfrage

Durch die Integration von LeShop in die Migros bleibt jedoch eine wichtige Frage offen; was passiert mit dem Verkauf von Alkohol wie Wein und Spirituosen? Dies wird auch bei LeShop einen nicht unwichtigen Umsatzanteil ausmachen.

Für internationale Beobachter scheint diese Frage wenig nachvollziehbar, sie wird in der Schweiz jedoch sehr emotional diskutiert, denn es gehört zu den Grundprinzipien und gefühlt verbrieftem Grundrecht, dass die Migros selber weder Alkohol noch Tabak verkauft wie vom Gründer Duttweiler damals und für die Zukunft bestimmt:

Duttweiler prägte die Migros mit starken Prinzipien. So hat er zeitlebens und für die Zukunft verhindert, dass Alkohol und Tabakwaren von der Migros vertrieben und verkauft werden, obwohl er selber Zigarrenraucher war.

Die Migrolino These

Die Frage, was aus LeShop wird, beschäftigt die Branche und mich schon lange. Denn die Stagnation der letzten Jahre ist offensichtlich und eine radikale Lösung drängt sich auf. Unzählige Male wurde ich darauf angesprochen, oft wollten auch Journalisten meine Meinung und Ideen dazu hören.

Meine persönliche These war bislang immer, dass LeShop an das Migrolino Konzept gekoppelt werden sollte aus nachfolgenden Gründen:

  • Vom Branding her ist Migrolino klar näher an der Migros als LeShop.
  • Klassische Heimlieferung wie bisher ergänzt um dezentrales Store-Picking und schnelle Auslieferung mit Kurieren in urbanen Gebieten oder Pickup.
  • Hunderte von Standorten in der Schweiz, viele davon auch auf SBB-Gelände und damit gar am Sonntag geöffnet, was neue Services ermöglicht.
  • Sortiment eines Migrolino wäre mit den früheren LeShop Abholstationen DRIVE vergleichbar, die ebenfalls über ein reduziertes Angebot verfügten und vor Ort kommissionierten. Zudem sind viele Migrolino Standorte auch mit dem Auto gut erreichbar.
  • Migrolino hat sowohl Alkohol wie auch Tabakprodukte im Angebot.
  • Versorgungskette der Standorte ist schweizweit etabliert.
  • Das Migrolino Konzept lässt sich stationär wie auch digital noch in vielfältige Weise entwickeln, was die letzten Jahre sehr gut gezeigt haben.

Gegen diese These spricht (nun) jedoch der Wechsel von LeShop ins Marketing Departement der Migros, denn Migrolino als unabhängiges Unternehmen ist dem Handelsdepartement zugeordnet. Zudem sprechen auch die Einschränkungen bezüglich Sortiment dagegen.

Es gibt jedoch noch einen weiteren triftigen Grund, der gegen diese These spricht.

Wenn man den Handel mit Lebensmitteln ambitioniert gross und anders denken will, dann braucht es ein radikales Konzept. Denn nur so kann E-Food richtig durchstarten in der Schweiz.

«Migros Food Online» könnte das Zeug dazu haben, wenn es konsequent, radikal und kompromisslos (auch gegenüber den Genossenschaften) durchgezogen wird. Und die Zeit drängt! Ansonsten wäre das Opfer LeShop zu gross gewesen.

Für die Konsumenten, den Markt und auch für die Migros wünsche ich mir, dass dies gelingt. Frohe Ostern allerseits!


Connect - Digital Commerce Conference

Online-Lebensmittel stehen am 22. Mai 2019 an der Connect – Digital Commerce Conference ebenfalls im Fokus – gemeinsam mit Farmy, Miacar und Brack diskutieren wir, was die nächste Generation im Onlinehandel mit Lebensmitteln besser als die „Platzhirsche“ LeShop und coop@home machen wollen.

Die Connect Konferenz wird wiederum 700 Entscheider nach Zürich bringen die Networking der Extraklasse und Erfahrung aus erster Hand schätzen; direkt, ungeschönt, authentisch.

Unbedingt Ticket im Vorverkauf sichern. Noch sind Tickets in den regulären Kontingenten verfügbar, bevor die teureren Last-Minute-Kontingente aufgeschaltet werden.



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

4 KOMMENTARE

  1. Radikal oder ganz naheliegend:
    Ich gehe in die Migros einkaufen, warum nicht bei migros.ch einkaufen?
    Habe ich nie verstanden warum migros.ch nicht auch der Online Supermarkt des Supermarktes Migros ist.
    Deine These mit Migrolino macht sicher bzgl. den von dir aufgelisteten Punkten Sinn, insbesondere bzgl. Stores & Alkohol und Tabak.

  2. Wir sind seit ein paar Wochen LeShop Kunden und nicht wirklich zufrieden:

    Einerseits ist nicht das ganze Migrossortiment bestellbar, z.B. Der einzige Toast ohne Zucker, um nur ein Bsp. zu nennen.
    Resultierend werden wir also für diese Dinge trotzdem praktisch wöchentlich in die Migros faheren müssen. Der ganze Zeit- und Effizienzgewinn ist also Makulatur.

    Desweiteren können zwar Cumulus – Wertcoupons eingelöst werden, einer möglichkeit die digitalen Coupons einzulösen mangelt es der Software jedoch.
    Eine Möglichkeit z.B. Mehrfachcumulusbons einzulösen haben wir nicht gefunden, dieser Verlust würde bei uns ca. 500 CHF im Jahr bedeuten.

    Fazit: Es lohnt sich für uns kaum LeShop weiter zu berücksichtigen. Schlimmer inspiriert uns LeShop einmal in Coop@Home reinzuschauen.

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