Wie gross ist Amazons Marktanteil in Deutschland wirklich?

0
3784

Vergangene Woche sorgte ein „Datenleak“ bei Amazon Deutschland für wahre Furore. Demnach soll der Umsatz, den Dritte über den Marktplatz von Amazon erzielen, „nur“ USD 11.4 Milliarden rsp. EUR 10.2 Milliarden betragen.

Auslöser ware eine E-Mail an deutsche Amazon-Händler, die man für das USA-Geschäft begeistern wollte. Darin enthalten zwei brisante Aussagen:

  1. 50% des globalen Marktplatzumsatzes würden über die US-Plattform Amazon.com erzielt
  2. Auf Amazon.com soll 7-mal so viel Umsatz generiert werden wie auf Amazon.de

Diese beiden Angaben zusammen mit der Information, welche Jeff Bezos in seinem letzten Aktionärsbrief im April erstmals publizierte, dass sich das Martkplatzgeschäft global auf USD 160 Milliarden belaufe und grösser sei als das Eigenhandelsgeschäft reichen, um mit einem einfachen Dreisatz den Marktplatz-Umsatz für Deutschland auf EUR 10.2 Milliarden zu beziffern, wie Mark Steier in seinem Blog Wortfilter vorrechnete und sogleich vom deutschen Handelsblatt übernommen wurde.

Wie verlässlich ist die Informationsquelle?

Ich war von Beginn weg skeptisch – wie man auf Twitter nachlesen kann – ob diese Berechnung stimmt, auch wenn sie mathematisch korrekt ist.

E-Mail an Händler von Amazon-Deutschland / Quelle: wortfilter.de

Denn die beiden oben erwähnten Aussagen stammen zwar aus einer E-Mail von Amazon Deutschland an deutsche Amazon-Seller.

Doch es sind keine offiziellen Zahlen sondern sind Bestandteil eines Marketing-Mailings, das doch eher „hemdsärmlig“ daher kam (vgl. Screenshot).

Amazon dementierte denn auch diese Zahlen, wenn gleich sie sich dazu doch mehr als einen Tag Zeit liessen und nun einige Fragen offen lassen, die ich vollumfänglich nachvollziehen kann.

Eine Amazon-Sprecherin ggü. der Internetworld:

Diese Zahlen sind in keiner Weise korrekt. Die Person, die diese Informationen zusammengestellt hat, hat Zahlen benutzt, die nichts mit den Verkäufen von Drittanbietern bei Amazon zu tun haben.

Dies ist allein auf einen menschlichen Fehler zurückzuführen und es wäre falsch, anzunehmen, dass diese Zahlen etwas über das Geschäft von Amazon in Deutschland oder auf der ganzen Welt aussagen

Soweit das Dementi.

Warum dieser Umsatz zu tief sein dürfte

Einzig wirklich verlässliche Zahl, die es zum Deutschland-Geschäft von Amazon gibt, sind die USD 19.9 Milliarden Net-Sales aus den offiziellen SEC-Filings von Amazon in den USA. In EUR umgerechnet entspricht dies EUR 16.8 Mrd Netto-Erlöse für Deutschland 2018.

Die von Amazon publizierten Umsätze umfassen auch für Deutschland die eigenen Handelsumsätze plus die Erlöse aus dem Marktplatzgeschäft inklusive Fulfillment. Ebenfalls darin enthalten sind Einnahmen aus den Amazon-Prime Mitgliedschaften, Marketing-Services bis hin zum AWS-Geschäft in Deutschland.

Setzt man nun die auf dem „Datenleck“ errechneten EUR 10.2 Milliarden Marktplatzumsatz ins gleiche Verhältnis zum Eigenumsatz, welches laut Bezos‘ Aktionärsbrief 58:42 betragen soll, kommt man auf ein Gesamthandelsvolumen (GMV) von EUR 17.6 Mrd, was immer noch beeindruckend ist.

Nun kommt jedoch die Krux mit der Validierung dieser spekulierten Zahl mit den EUR 16.8 Mrd. Net-Sales in Deutschland gem. offiziellem SEC-Filing von Amazon in den USA.

Nehmen wir den auf dem Datenleak errechneten Umsatz im Eigenhandel von EUR 7.4 Mrd. (Verhältnis 58:42 / EUR 10.2 Mrd. Marktplatz) sowie angenommene durchschn. Provision von 15% auf dem errechneten Marktplatzgeschäft von EUR 1.5 Mrd. ergäbe dies Erlöse aus dem Handelsgeschäft (Eigenhandel und Provision Markplatz) von gut EUR 9 Milliarden.

Demnach würde Amazon satte EUR 7.8 Mrd. mit AWS, Prime-Mitgliedschaften, Marketing etc. in Deutschland erzielen, um auf die offiziellen EUR 16.8 Mrd. Net-Sales zu kommen. Global ist dieser Anteil jedoch knapp 30%, wie man aus den SEC-Filings berechnen kann, wäre jedoch in diesem auf dem Datenleak berechneten GMV satte 46%, was unrealistisch erscheint.

Amazons Anteil am deutschen E-Commerce liegt wohl bei knapp 50%

Wir haben im Februar ein GMV-Szenario auf den offiziellen SEC-Filing-Zahlen berechnet – notabene noch vor Bekanntwerden von Jeff Bezos Aktionsärsbrief im April – und sind auf ein GMV von EUR 24.8 Milliarden für Deutschland gekommen.

Ich halte das in diesem Szenario berechente GMV nach wie vor als belastbarer als die  Berechnungen, die auf dem „Datenleak“ basieren, weil sie sich validieren lassen mit der Retour-Berechnung und den offiziellen Zahlen aus dem SEC-Filing.

Aufgrund des von Jeff Bezos in seinem Aktionärsbrief publizierten Verhältnis zwischen Eigenhandel und Marketplatz von 42:58 wäre das auf unserem Szenario basierende GMV neu gar zu erhöhen auf EUR 26 Milliarden für Deutschland.

Da die Berechnungen auf den offiziellen Net-Sales Zahl aufbauen, ist das GMV ebenfalls Netto. Verglichen mit den HDE-Zahlen aus Deutschland, die im Gegensatz zum BeVH auf Nettoumsätzen basieren, die für 2018 einen deutschen E-Commerce Umsatz von EUR 53.4 Milliarden ausweisen, entspricht ein Amazon-GMV von EUR 26 Milliarden knapp 50% Markanteil.

Amazon Deutschland: Totaler Handelsumsatz mit Retail, Marketplace und GMV – Szenario / Grafik: Carpathia AG – Update Juni-2019

Datengrundlage:

Berechnung GMV-Szenario für Deutschland, basierend auf den offiziellen SEC-Filing Daten


letzter ArtikelDigital Transformers: Innovate or Die – Videomitschnitt der #dcomzh
nächster ArtikelInterview mit Julia Herz – Herzblut als Differenzierungsfaktor von QUALIPET
Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Bitte fügen Sie ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie ihren Namen hier ein