Logistics is Key: Wie Same-Day Crossborder den Vorteil der Kundennähe von Schweizer Händlern pulverisiert

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Mit der Meldung von diesem Donnerstag, dass Zalando im Testbetrieb Same-Day Crossborder-Lieferungen nach Zürich schafft, hat der Schweizer Handel seinen Vorteil der geografischen Nähe zum Kunden und damit auch der Geschwindigkeit verloren.

Und ich revidiere meine Meinung bzgl. Amazons Markteintritt in die Schweiz, der ja schon längst stattgefunden hat. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass wenn Amazon mit den verschiedenen Länderplattformen über CHF 800 Mio. aus dem Schweizer Markt ziehen kann ohne nennenswerte Marketingbemühungen, werden sie ihr Online-Retail Business weiterhin ennet von Rhein und Rhone operativ betreiben.

Und bislang war ich der Ansicht, dass erst wenn Kunden als Mindestanforderung die Lieferung Same- oder Next-Day erwarten, erst dann wird Amazon trotz massiv höherer Kosten hierzulande auch operativ in die Schweiz kommen müssen; weil Nähe = Geschwindigkeit.

Doch das gilt nicht mehr.

Nähe !=Geschwindigkeit

Die Formel Nähe = Geschwindigkeit, die den Schweizer Händlern einen Vorteil bereitete, wurde durch den Same-Day-Crossborder Beweis von Zalando und der Schweizer Post neu definiert.

Ab sofort scheint es möglich, mit einem Cutoff am späteren Vormittag noch am gleichen Abend in urbane Gebiete zu liefern.

Same-Day Crossborder Zalando - Grafik: Carpathia AG
Same-Day Crossborder Zalando – Grafik: Carpathia AG

Im Falle von Zalando; bis 10h30 vormittags bestellt und am Abend in Zürich geliefert aus deren Logistikzentrum im süddeutschen Lahr inklusive Verzollung und Direkteinspeisung via Distributionsbasis der Post in Zürich-Oerlikon oder direkt in die Micro-Hubs von Notime.

Noch zu beweisen ist, wie skalierbar und kosteneffizient diese Services sind und ob der Kunde bereit ist, dafür zu bezahlen, sollte der Service ihm überhaupt in Rechnung gestellt werden, was noch offen scheint. Anderseits entlastet diese neue Lieferoption auch die Basis-Infrastruktur der Post für Next-Day, Economy etc. und könnte dort neue Kapazitäten schaffen.

Der Vorteil der Schweizer Onlinehändler durch deren geografische Nähe zum Kunden schnell liefern zu können, wie auch des stationären Handels durch die vor Ort Präsenz, pulverisiert sich dadurch allmählich.

Und ich bin mir nach wie vor nicht sicher, ob allen auch die Tragweite dieses Tests von Zalando und der Post bewusst ist?

Same-Day Crossborder Potential Schweiz

Denn durch die raffinierten Logistikprozesse werden die Schleusen geöffnet, dass nebst Zalando auch Amazon und selbstverständlich weitere internationale Händler die Schweizer Konsumenten Same-Day oder zumindest Next-Day beliefern können.

Und damit gleich schnell wie lokale Händler die selber oft schon nur mit Next-Day Mühe haben. Und das Potential ist enorm, wie nachfolgende Grafik zeigt.

Same-Day Crossborder Potential Schweiz; alleine Amazon und Zalando haben 6 Logistikzentrum im Bereich von 200-250km um die Schweiz postiert. Grafik: Carpathia AG
Same-Day Crossborder Potential Schweiz; alleine Amazon und Zalando haben 6 Logistikzentrum im Bereich von 200-250km um die Schweiz postiert. Grafik: Carpathia AG

Denn in einem Gürtel von ca. 200-250km um die Schweiz haben alleine Amazon und Zalando sechs Lager und Logistikzentren postiert, viele davon mit Flächen um die 100’000 Quadratmeter und damit um ein Vielfaches grösser als die Paketzentren der Schweizer Post, die allerdings auch „nur“ der Sortierung und Verteilung dienen.

Diese Amazon und Zalando Logistikzentren liegen in etwa 2 bis 3 Fahrstunden Entfernung zur Grenze rsp. zum nächsten Paketzentrum der Schweizer Post. Nicht eingezeichnet (mit Ausnahme am Beispiel von Zürich) die vielen regionalen Distributionsbasen der Schweizer Post wie auch die Microhubs von Notime.

Diese „clever geschmierten Logistikketten“ bedeuten, dass wohl das Volumen und die Marktanteile von internationalen Händlern im Schweizer Onlinehandel weiter überproportional zunehmen. Schon heute beträgt der Anteil 20%, Tendenz stark wachsend.

Und volkswirtschaftlich heisst dies vermutlich ebenso, dass Arbeitsplätze der internationalen Händler noch länger (oder nie) in die Schweiz kommen und Schweizer Jobs möglicherweise ins Ausland abwandern.

Alibaba macht sich in Belgien bereit

Und als ob dies nicht schon Ungemach genug wäre kommt die Tatsache hinzu, dass Alibaba im belgischen Lüttich ein riesiges Logistikzentrum für Europa (und die Schweiz?) plant.

Und Lüttich ist auch „nur“ knapp 5 Stunden von Basel entfernt – wenn die Logistikkette und -prozesse also weiter optimiert und geschmiert werden, dann wäre es doch auch vorstellbar, dass der Kunde bei Alibaba bis 9:30 Uhr bestellt, in Lüttich bis spätestens 11 Uhr kommissioniert und verpackt wird. Der Transport schafft es bis 16 Uhr nach Basel inkl. digitaler Verzollung

Und einer spätabendlichen Same-Day Zustellung der China-Ware steht eigentlich nichts im Wege, oder? Und Next-Day ist damit ohnehin problemlos möglich.

Wie lange dauert das noch: 1, 2 oder 3 Jahre? Diskutiert gerne mit hier im Blog, auf Twitter, LinkedIn, Facebook etc.



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

3 KOMMENTARE

  1. Die grossen Pure-Player geben – was die Weiterentwicklung von Dienstleistungen anbelangt – eindeutig den Takt vor. Umso wichtiger ist es, dass jeder hiesige Händler seine Hausaufgaben macht und sein Profil schärft. Den Kunden tatsächlich in den Mittelpunkt seines Handelns stellen und nicht „nur“ auf schönen Folien darauf hinweisen und darüber reden. Ansonsten wird es tatsächlich immer schwieriger, gegenüber den ausländischen Mitbewerbern zu bestehen.

    Umso wichtiger ist es auch, dass die Politik für die inländischen Händler gegenüber den Cross-Border-Anbietern gleich lange Spiesse schafft. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist für die Schweiz durchaus erheblich, in wie fern Händler auch national Arbeitsplätze schaffen und/oder erhalten. In dieser Rangliste sind Anbieter wie Zalando, Amazon, Ali Baba usw. definitiv nicht auf den vordersten Rängen zu finden….

  2. Lüttich – Basel in 5 Std. inkl. Verzollung ist etwas zu optimistisch, zumindest wenn das Volumen auf LKWs oder Brücke konsolidiert werden muss (wovon mann ausgehen muss um durch die maximale Auslastung der Ladeeinheiten entsprechend die Kosten tief zu halten). Aber zumindest Next-Day ist problemlos realisierbar.
    Besten Dank für den interesannten Artikel

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