Entkoppelung von Bestellung und Zahlung: Zalando will Payment aus dem Online-Checkout entfernen

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Zalando nennt es selber eine Revolution des Online-Zahlungsverkehrs. Tatsächlich kommt es einer gleich, wenn auch einer überschaubaren.

Ein Novum ist es auf jeden Fall. Denn der Zahlungs-Schritt im Checkout gehört in der Regel zu den kritischsten und ist neben der Registrierung nach unserer langjährigen Erfahrung für die meisten Drop-Outs verantwortlich, wenn der Kunde den Kaufprozess abbricht.

Zalando testet sein "Try First Pay Later" Konzept und will den Zahlungsschritt aus dem Checkout entfernen.
Zalando testet sein „Try First Pay Later“ Konzept und will den Zahlungsschritt aus dem Checkout entfernen.

Zalando will dies nun ändern und testet in Frankreich das neue Konzept „Try First Pay Later“. Der Online-Kauf kommt also ohne Wahl des Zahlungsmittels zu stande. Die Ware wird zugestellt und erst wenn dem Kunden die Artikel gefallen wählt er, wie er bezahlen will.

Rick Centeno, MD Zalando Payments, dazu in der Medienmitteilung:

Wir trennen erstmals den Bezahlvorgang vom Check-Out – was im Online-Bereich einzigartig ist.

Kunden unserer Testgruppe in Frankreich, die im Check-Out “Try First Pay Later” als Zahlungsoption wählen, müssen bei Abschluss der Bestellungs noch keine Zahlungsinformationen angeben.

Nach Zustellung der Bestellung erhält Zalando vom entsprechenden Lieferpartner eine Benachrichtigung und sendet daraufhin eine E-Mail an die Kunden in der wir fragen, ob sie etwas zurückgeben und wie sie zahlen möchten. Kunden können also zu Hause in Ruhe entscheiden, was sie behalten möchten.

Und zur Sicherheit:

Welchen Kunden die neue Bezahlmethode angeboten wird, ermittelt ein komplexes Kontrollprogramm. Die Prüfung erfolgt automatisch anhand unterschiedlicher Kriterien für jede neue Transaktion.

Wir haben ein engagiertes Team mit über zehn Jahren Erfahrung, das an Risikomodellen arbeitet. Risikomanagement ist also eine unserer Kernkompetenzen.

Und auch der stationäre Vergleich darf nicht fehlen:

Wer in einem Geschäft Artikel anprobiert, bezahlt auch nicht vor der Umkleidekabine, sondern erst nach der Entscheidung, welche Artikel mit nach Hause genommen werden. Warum sollte es beim Online-Einkauf anders sein?

Vorteile für den Händler

Für den Händler dürften folgende Vorteile resultieren:

  1. Tiefere Abbruchquoten im Checkout durch den Wegfall des Bezahl-Schrittes
  2. Weniger aufwändige Prozesskosten bei Retouren wie Gutschriften auf Kreditkarten, Paypal oder Anpassung der offenen Posten bei Rechnungszahlung, insbesondere auch, wenn dies durch einen externen Dienstleister übernommen wird.
  3. Höhere durchschnittliche Bestellwerte da wenn die Waren schon mal zu Hause sind und sie auch passen, das eine oder andere Teil mutmasslich mehr gekauft wird. Und Zalando hat gerade in jüngster Vergangenheit unter einem ständig sinkenden durchschnittlichen netto Warenkorb gelitten (Zalando in Zahlen: Immer mehr für immer weniger).

Und nebenbei könnte Zalando damit ganz elegant die derzeit nochmals aufgeschobenen PSD2-Regulierungen umgehen die bei Online Kreditkartenzahlungen eine stärkere Authentifizierung erfordern. Auch wenn erst im Nachhinein per Kreditkarte bezahlt wird wäre es damit nach meiner Auffassung möglich, dies über eine speziell gesicherte reine (interne) Payment-Seite abzuwickeln mit einem (mittlerweile) bestehenden Kunden. Es könnte damit keine sog. Mail-Order Transaktion mehr sein, was jedoch zu verifizieren wäre. Zahlung gegen Rechnung oder Lastschrift sind ohnehin nicht betroffen von dieser zweiten europäischen Zahlungsdienstleisterrichtlinie (Payment Services Directive II, kurz: PSD2)

Die Kehrseite der Medaille

Doch diese Entkoppelung von Bestellung und Zahlung birgt auch Nachteile wie beispielsweise den Wegfall von „Erziehungs-Massnahmen“ bei Viel-Returnierern denen man schon mal den Rechnungskauf entzog und nur gegen Kreditkartenzahlung lieferte, also zuerst Zahlen, dann Liefern.

Zudem dürfte diese „Try First Pay Later“ Methodik unter Umständen zu höheren Retouren führen, jedoch mutmasslich gleichzeitig auch zu höheren durchschnittlichen Bestellwerten (vgl. oben) und zur Steigerung der Neukunden-Akquisition

Unterschied zu Amazon Prime Wardrobe

Amazon hat vor geraumer Zeit den Service „Prime Wardrobe“ ausgerollt. Ihr „Try before you Buy“ Konzept beinhaltet im speziellen Wardrobe-Checkout bereits die Wahl der Zahlungsmethode, was bei Wardrobe ausnahmslos die Kreditkarte ist mit mind. 90 Tage Gültigkeit.

Obwohl vor der Lieferung noch keine Belastung stattfindet, mit Ausnahme einer USD 1.- Charge zur Verifikation der Karte, muss das bevorzugte Zahlungsmittel beim Kaufprozess definiert werden. Amazon belastet im Prime Wardrobe Programm die Kreditkarte erst nach Rücksendung der Ware für die behaltenen Artikel.

Die Wahl des Zahlungsmittels im Checkout ist damit der grösste pressuale Unterschied zu Zalandos neuem Konzept.



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

2 KOMMENTARE

  1. Ich bin gespannt wie sich dies entwickelt. Denn neben den Prozesskosten sollten damit ja auch die Transaktionskosten für die Bezahlarten zurückgehen. Mit dem neuen Vorgehen werden ja nur noch Transaktionen für getätigte Käufe anfallen und nicht für Käufe die anschliessend retourniert werden. Das Ganze ist auch bezüglich Risiko interessant, wie Du dies im Blog ja auch bereits einmal bezüglich Bezahlart Rechnung von Zalando dokumentiert hast. https://blog.carpathia.ch/zalando-1s15-payment/ Und last but not least bin ich mir nicht sicher ob hier gewüsse Vorgaben aus PSD2 auch noch einen Einfluss hatten. Insgesamt eine interessante Überlegung. Danke für das aufbereiten 🙂

  2. Wäre spannend zu wissen, wievielen Kunden die Option dann letztendlich angeboten wird. Und bis wann der Kunde, nach Lieferung zahlen muss. 🙂

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