«German Angst»: Zögern statt radikale Massnahmen im stationären Handel

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Gleich zwei Meldungen aus der deutschen Handelslandschaft vergangene Woche machen mich sprachlos: Die staatliche Hilfe für die angeschlagene Warenhauskette Galeria Kaufhof Karstadt (GKK) von fast einer halben Milliarde Euro und die Ankündigungen von Douglas, fortan auf „Digital First“ zu setzen und (nur) 20% der Filialen zu schliessen.

Doch mal der Reihe nach und warum die Verwendung des Begriffs «German Angst», laut Wikipedia übersetzt als „typisch deutsche Zögerlichkeit“. Ob dies typisch Deutsch ist? Ich weiss es nicht, selbst habe ich keine solchen Erfahrungen gemacht.

Doch die beide Meldungen haben sehr viel mit Zögern und auch Mutlosigkeit zu tun oder anders formuliert, spätestens jetzt wären radikalere und einschneidendere Massnahmen nötig, anstatt einem Sterben auf Raten.

GKK: EUR 460 Mio Rettungskredit für ein totes Pferd

Systemrelevanz und Rettung der Innenstädte sind nur zwei Argumente, die im Zusammenhang mit der (erneuten) Rettung der letzten verbliebenen nationalen deutschen Warenhauskette genannt werden.

Fast eine halbe Milliarde Euro Investition in die Vergangenheit, denn GKK ist bis heute den Beweis schuldig geblieben, dass sie ihr Geschäftsmodell profitabel betreiben können. Und die Marktentwicklungen – und vor allem das Konsumentenverhalten – spricht eine gänzlich andere Sprache.

Denn die „wahren Warenhäuser sind heute im Internet“ ist seit Jahren bekannt, und gerade in Deutschland mit einem dominierenden Amazon allgegenwärtig.

Wie Absurd dieser GKK in Aussicht gestellte Rettungskredit ist, kann man nicht treffender formulieren, als dies Kollege Nils Seebach auf LinkedIn gemacht hat:

Es ist doch geradewegs absurd zu behaupten, dass die „Konsumtempel“ von Galeria Karstadt Kaufhof, die seit nunmehr zwanzig Jahren mit verschiedensten Managern und diversesten Konzepten nicht profitabel zu betreiben sind, die Grundlage einer florierenden Einzelhandelslandschaft bilden.

Es ist ebenso absurd, sämtliche Probleme von sehr vielen verschiedenen Innenstädten allein auf ein einzelnes Phänomen – die mangelnde Attraktivität von (jetzt nur noch) einer Kaufhauskette – zurückführen zu wollen.

Ebenfalls entbehrt es nicht einer gewissen Absurdität, angesichts eines Karstadt-typischen Betonklotzes gerade dort die Zukunft der Innenstadt verorten zu wollen.

Und weiter pflichte ich Nils absolut bei, dass die Millionen, die GKK bekommen soll, ein Schlag in das Gesicht aller kleineren Händler ist, die sich entweder fleissig digitalisiert haben und/oder noch immer auf die Corona-Hilfen warten.

Lebendige Innenstädte, ja sicher. Doch wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir Einkaufen und sozialer Kontakt entkoppeln müssen.

Die NZZ kam bzgl. dem GKK-Rettungskredit am Freitag zum berechtigten Schluss:

Ob die Steuerzahler das Geld je wiedersehen, ist zweifelhaft.

In der Schweiz sind wir noch nicht so von Amazon dominiert, was verschiedene Gründe hat. Vergleiche hierzu der Hintergrundartikel von vergangener Woche in Der Zeit „Kauft lokal, auch online.“

Amazon dominiert den Online-Handel in der westlichen Welt. Außer in der Schweiz. Hier konnten sich heimische Start-ups durchsetzen. Wie kommt das?

Und die Schweizer Warenhäuser?

Da scheint die Bilanz durchzogen. Coop City ist nach wie vor nicht online und lokale Warenhäuser wie Loeb in Bern nur mit einem sehr überschaubaren Sortiment.

Die Nummer zwei Globus steckte in den letzten Jahren viel Energie (und Geld) in die Digitalisierung (Globus strebt online CHF 100 Millionen Umsatz an und investiert kräftig in die Digitalisierung). Wie es da nun weitergeht, ist fraglich. Nachdem nach der Aufteilung und dem Verkauf bei den 12 verbliebenen Warenhäusern ebenfalls die Eigntümer von GKK das Sagen haben: Globus geht an KaDeWe: Digitaler Highway oder Sackgasse?.

Anders Manor, das grösste Schweizer Warenhaus wo ebenfalls viel in die Digitalisierung investiert wird und man sich gerade in der aktuellen Krise erfrischend pragmatisch und kreativ zeigt:

Manor CEO Jérôme Gilg auf LinkedIn.
Manor CEO Jérôme Gilg auf LinkedIn.

Digital First bei Douglas und 20% weniger Filialen

Eine andere Meldung diese Woche kam von Douglas, die sich nun selbst ihrer „Digital First“ Strategie verschrieben haben. Kollege Jochen Krisch hat dies zusammengefasst drüben bei ExcitingCommerce.

Von den rund EUR 3 Milliarden Umsatz gruppenweit (Abschluss per Ende Sep-2020) entfällt bereits eine ganze Milliarde auf das Onlinegeschäft, wie Douglas nicht ohne berechtigten Stolz vermeldet. Das entspricht einem Plus von 59% gegenüber dem Vorjahr.

Gleichzeitig wurde vermeldet, dass man jede Fünfte Filiale in Europa schliessen will. Nun kommt die mathematisch berechtigte Frage: Warum schliesst man nur 1/5 der Filialen wenn man nur noch 2/3 der Umsätze stationär erwirtschaftet?

Und bis das Filialnetz gestrafft ist, dürften sich die Umsätze weiter stark in den digitalen Kanal verlagern. Da muss man doch einfach radikaler vorgehen und ebenfalls mindestens jede Dritte Filialen wenn nicht noch mehr dicht machen. Vor allem gerade, weil man sich einer „Digital First“ Stratgie verschrieben hat. Und ich bin auch nicht alleine mit dieser Meinung:

Diese Umsätze werden auch nicht mehr zurückkommen in das Filialgeschäft, die sind weggebrochen. Immerhin konnte man sie im eigenen Unternehmen halten und hat sie nicht an Online-Mitbewerber verloren. Glaubt man letzten Endes bei Douglas gar nicht an die eigene „Digital First“ Strategie, dass man nur so verhalten die Filialen schliesst? Auch hier ist dieses zögerliche Verhalten nur schwer nachvollziehbar.

Mir ist die Tragweite massiver Massnahmen absolut bewusst und die Auswirkungen auf die Beschäftigung, Innenstädte oder Immobilien. Doch es hat noch nie jemandem nachhaltig genützt, alte Strukturen und überholte Geschäftsmodelle künstlich am Leben zu erhalten. Nicht in der Vergangenheit und auch nicht in der Gegenwart. Das ist ruinöser Artenschutz und romantische Denkmalpflege.

Ich vermisse den Mut, konsequenter und radikaler Geschäftsmodelle oder Innenstädte neu zu denken. Douglas zeigt hier für Ersteres einen Ansatz mit ihrer Digital Strategie und wird dafür auch belohnt. Doch es fehlt gleichzeitig auch der Mut, die Konsequenzen ebenso beherzt umzusetzen und nicht zu zögern.

Ja, je radikaler der Schnitt, umso mehr weh tut er. Doch er wird sich nicht vermeiden lassen und es wäre fairer und vor allem nachhaltiger für alle Beteiligten, hier klare Signale zu setzen.

Hinweis: Nicht dass der Eindruck entsteht, die Schweizer seien weniger zögerlich. Oft ganz im Gegenteil. Der Ausdruck „German Angst“ bot sich einfach an, angesichts der beiden Beispiele. 



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

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