Weihnachten sind vorbei und der Ausverkauf in den Schweizer Innenstädten hat wie jedes Jahr begonnen. Obwohl der Onlinehandel in der Schweiz stetig zulegt, strömen die Leute beim «Sales» gerne in die Stadt und schauen sich Schnäppchen vor Ort an. Das freut die Shopbetreiber, die sich im kommenden Jahr mehr denn je fragen müssen, wie sie gegenüber E-Commerce-Plattformen bestehen können.
Ein Buzzword, welches immer wieder auftaucht, ist «Smart Retail». Doch was bedeutet Smart Retail genau? Es ist die Verschmelzung von traditionellen Einkaufsmechanismen und intelligenten Technologien, vor allem IoT («Internet of Things»). Wenn alle Geräte und Kanäle miteinander synchron verbunden sind, kann ein personalisiertes und eben intelligenteres Einkaufserlebnis für die Kunden entstehen. Dabei geht es aber nicht nur um das Erlebnis für den Konsumenten, sondern auch die Optimierung von Lieferketten, die dadurch mehr Effizienz, Qualität und Nachhaltigkeit erfahren soll.
Der stationäre Handel braucht sich nicht zu verstecken
Die Untergansszenarien für die Läden in der Innenstadt, die von den Medien und Experten gestrickt wurden, haben das Selbstvertrauen des stationären Handels geschwächt. Das ist nicht notwendig, weil die Unterschiede von physischen Shops gegenüber dem Onlinehandel auf der Hand liegen und als Benefit kommuniziert werden können. Es sollte kein Konkurrenzkampf sein, sondern der stationäre Handel kann durchaus auch Merkmale des Onlinehandels adaptieren, ohne dabei die eigene Identität zu verlieren.
Die Kunden haben sich an die Bequemlichkeit von Onlineshopping gewöhnt und nutzen heute verschiedene Kanäle, um ihre Kleider ohne Elektronikgeräte zu gelangen. Physische Shops können ihre Rolle in diesen Omnichannel-Angeboten aber künftig auch wieder stärken, indem sie dem Kunden klar aufzeigen, wo es Sinn macht, Produkte vor Ort anzufassen oder eine Beratung von einer kompetenten Mitarbeiterin im Laden zu erhalten.
Die Verschmelzung des stationären Einkaufserlebnis mit der Convenience des Onlinehandels führt zur Strategie von «Smart Retail». Mit der Corona-Pandemie hat der stationäre Handel einen enormen digitalen Schub erhalten und dabei Features vom Onlinehandel in das eigene Angebot implementiert.
Neben einem ausgedehnten Click&Collect haben Shops auch Bestellungen per Telefon oder Whatsapp entgegengenommen oder sogar eigene kleine Webshops lanciert, und sei das auch nur auf Instagram gewesen. Damit haben sich Nischenanbieter oder Boutique-Shops eine eigene Kundschaft im Netz aufgebaut. Dabei werden sie von den Marktplatz-Angeboten von grossen Onlinehändlern wie Zalando begleitet.
Mitarbeiter beraten nicht nur im Laden, sondern auch im Netz
Die direkte und auch unterhaltsame Interaktion mit dem Kunden wird künftig nicht nur vor Ort im Laden wieder an Relevanz gewinnen, sondern auch im Netz: Ein Trend, der in China äusserst beliebt ist, heisst Live-Shopping. McKinsey prognostiziert, dass Livestream-Shopping bis im Jahre 2026 rund 20 Prozent der Onlineverkäufe ausmachen könnte, wie die Plattform «Retaildive» schreibt.
Der Ansatz ist klar: Influencer und Brand-Ambassadors stellen Produkte und deren Funktionalität in Videos oder auf Social-Media-Plattformen vor. Dabei können auch Mitarbeiter, die ansonsten in den Shops vor Ort Kunden beraten, auch per Video mit der Kundschaft interagieren, wie der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) in einer Studie schreibt.
Ein Bereich beim Shopping sollte inzwischen selbstverständlich sein: Die Bezahlung. Sie soll möglichst einfach, flexibel und vielfältig erfolgen können. Die Kunden sollen selbst wählen können, wie und wann sie bezahlen. Vor Ort, online oder auch in Raten. Wenn sie etwas zurückgeben ist es unabdingbar, dass das Guthaben rasch und unkompliziert zurückfliesst.
Shops dienen als Lager für Onlinehändler
Mit verschiedenen Angeboten versuchen Onlinegiganten, das Angebot von kleinere Läden auf ihre Marktplätze zu bringen. Diese stationären Sortimente sind dann auch online erhältlich. Andersrum nutzen Onlinehändler die physischen Läden, um näher bei den Kunden dran zu sein. Brick-and-Mortar-Stores dienen vermehrt als Auslieferungspunkt für Produkte, da sie durch ihre Lage in Städten näher an den Käufern dran sind als ein Warenlogistikcenter. Daraus ergibt sich eine grössere Auswahl für Kunden, da sie auch Zugriff auf das Sortiment von kleinen, spezialisierten Nischenshops haben und die Lieferzeiten verkürzt werden.
Ohne Kassen bleibt mehr Zeit für die Beratung
In der Schweiz sind immer mehr «human-less»-Läden anzutreffen: Migros und Avec sind dabei die Vorreiter und installieren immer mehr Läden ohne Personal in der Schweiz. Selfscanning-Systeme führen aber nicht wie oft angenommen zu weniger Personal, sondern sie bieten Platz für Beratung und einem besseren Kundenservice. Das bedeutet, dass die Ladenmitarbeiter sich um die Anliegen der Kunden kümmern können anstatt Produkte zu scannen oder Regale aufzufüllen.
Der stationäre Handel darf sich selbstbewusst den Unterschied zum Onlinehandel auf die Fahne schreiben: Die Möglichkeit, Produkte anzufassen und eben auch eine Begegnung mit qualifiziertem Personal zu bekommen sind nur ein Aspekt. Dazu können sich physische Shops je nachdem auch mit dem Thema Nachhaltigkeit hervortun. Es gibt keine Rücksendungen, es braucht keine weitere Verpackung, um Produkte zu transportieren.
Mit einer klaren Positionierung kann der stationäre Handel auch 2023 gegenüber dem Onlinehandel relevant bleiben – und sogar mit den Konkurrenz aus dem Netz gemeinsame Sache machen. Das ist auch im Sinne der Marken und Grosshändler, die ihren Kunden ein möglichst reibungsloses Erlebnis beim Shoppen bieten wollen.