7 Argumente gegen die grosse Temu-Gefahr

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Zurzeit ist die chinesische Onlineplattform Temu in aller Munde und beschäftigt Schnäppchenjäger*innen, die hiesige Händlerlandschaft und zunehmend auch die Politik.

Es gibt viele offene Fragen und den Handel interessiert vor allem, wie gross die Temu-Gefahr für das eigene Geschäft ist und was in Zukunft zu erwarten ist. Die geschätzten CHF 350 Mio. Umsatz hierzulande in nur neun Monaten und der starke Online-Werbedruck sind durchaus beeindruckend. Geht dieses Wachstum nun in gleichem Masse weiter und entwickelt sich der Billiganbieter zum Bulldozer, der in den nächsten Jahren den Schweizer Handel zerstört? Im Folgenden bringen wir einige Argumente, die gegen eine derartige Entwicklung sprechen und einen langfristigen Erfolg von Temu in Frage stellen.

  • Das Geschäftsmodell, günstige Chinaprodukte direkt vom Produzenten via Onlineplattform in die Schweizer Haushalte zu bestellen, ist nicht neu. Aliexpress bietet im Prinzip seit vielen Jahren ein vergleichbares Angebot und erzielte hierzulande bereits im Jahr 2016 geschätzte CHF 130 Mio. Umsatz mit einem Hype-Peak im Jahr 2018 bei CHF 475 Mio. Danach gings abwärts auf zuletzt CHF 390 Mio. im 2023. Gewiss eine substanzielle Grösse, aber von einem unaufhaltsamen China-Tsunami ist nicht mehr die Rede. Der US-Klon Wish ist übrigens wieder ganz verschwunden. Ein Zeichen, dass das Marktpotential für China-Standardprodukte durchaus Grenzen hat.
  • Auch wenn Aliexpress und Temu davon sprechen, zukünftig höherwertige Markenartikel und voluminösere Artikel wie Möbel zu verkaufen, blieb das Sortiment bei Aliexpress über all die Jahre doch sehr gleichbleibend mit Fokus auf die Warengruppen Elektronikzubehör, Werkzeug- und Handwerksbedarf, Deko & Accessoires, und Kleinprodukte in Home & Living und Hobby, Garten und Outdoor. Eine Sortimentsausweitung scheint also schwierig zu bewerkstelligen und wieso sollte dies Temu besser gelingen als Aliexpress? Wir haben Kenntnis, dass Temu namhafte Markenhersteller für ihre Plattform gewinnen will, bisher jedoch vor allem Absagen kassierte.
  • Es hat seine Gründe, wieso die genannten Warengruppen und nur diese über die China-Plattformen gut funktionieren:
    • Produktion befindet sich überwiegend in China
    • Marken spielen eine untergeordnete Rolle
    • „One size fits all“-Produkte ohne Beratungs- und Individualisierungsbedarf
    • Low-Involvement-Produkte mit tiefem Preispunkt

Der Markt für Schweizer Händler mit identischen Produkten wird mittelfristig verschwinden. Bei Produktkategorien mit folgenden Eigenschaften bleiben hingegen Schweizer Händler im Vorteil:

    • Schweiz-Individualisierung nötig (bspw. bei Massen, Vorschriften, Verpackung)
    • Erfüllen von Sicherheitsstandards und damit Vertrauenssache
    • Direkter Haut- und Körperkontakt
    • Food & Nearfood
    • Hohe Markenrelevanz und Emotionalität
    • Sofortnutzung als wichtiger kurzfristiger Kaufimpuls
    • Hohes Qualitäts- und Preisniveau
    • High-Involvement-Produkte
    • Hoher Beratungs- und Servicebedarf
    • Nachhaltige Produktion
  • Die oft genannten günstigeren Preise von Temu im Vergleich zu Aliexpress, Amazon und Shein kommen nicht aufgrund einer neuartigen Temu-Geschäftsmodelllogik mit effizienterer Wertschöpfungs- oder Distributionskette zustande, sondern aufgrund von Temu-Subventionen und strikten Preisvorgaben gegenüber Lieferanten. Neues Disruptionspotential, ausser das von Shein bereits bekannte C2M-Modell, und damit strukturelle Preisvorteile sind nicht ersichtlich.
  • Thema Preisbestimmung: Bei echten Marktplätzen bestimmt der Händler den Verkaufspreis. Nicht so bei Temu. Hier bestimmt die Plattform die Produktpreise und wählt in einem Bieterverfahren den günstigsten Lieferanten aus. Der Kaufvertrag findet dann aber wieder zwischen Konsument und Lieferant bzw. Händler statt. Wettbewerbsrechtlich eine abenteuerliche Geschäftspraxis. Ob dies langfristig so durchsetzbar ist?
  • Die Temu-Preisvorteile kommen zunehmend aufgrund neuer Regulierungen und Zollgebühren in westlichen Ländern unter Druck. So plant Frankreich eine Umweltabgabe pro Artikel in Höhe von bis zu EUR 10. Weitere Ländern prüfen ähnliche Vorlagen, so auch die Schweiz. Bei konsequenter Umsetzung droht den China-Anbietern der Verlust des wichtigen Wettbewerbsvorteils.
  • Und zu guter Letzt bleibt das Thema Wirtschaftlichkeit. Irgendwann möchte der Mutterkonzern Pinduoduo wohl auch mit Temu Geld verdienen wollen und seine Marketingausgaben entsprechend zurückfahren. Ob die Kunden dann loyal bleiben, ohne Preissubventionen (Gratisversand etc.) und penetranter Dauerbewerbung? Zudem muss auch Temu den Beweis erbringen mit Zusatzservices im Rahmen eines Eco-Systems profitable Umsätze zu erwirtschaften. Mit der Handelsmarge und Provision alleine wird’s schwierig, wie es schon viele Mitbewerber erfahren mussten (Stichwort Amazon AWS). Der Weg in die nachhaltige Profitabilität ist mehr als ungewiss und dann ist da noch der chinesische Staat, der auch schon Kollege Jack Ma von Alibaba plötzlich und unerwartet die Flügel stutzte.

Wer mehr zu Temu erfahren will, muss an die SCORE! vom 29. Mai kommen für die Keynote „Temu demystified“ von Digital China Tech Analyst Ed Sanders. Jetzt noch Ticket sichern!



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