Diese Woche hat ein LinkedIn-Post vom deutschen E-Commerce-Experten Stefan Wenzel für Aufsehen gesorgt: Ein Printscreen vom Ultra-Fast-Fashion-Onlineshop Shein (genauer gesagt, de.shein.com), der vier Adidas-Schuhe präsentiert. Stefan Wenzel schreibt dazu:
Erste Wholesale-Bestände von Marken sind auf Shein.de im Angebot, Lieferzeit 5 Tage – mehr Auswahl auf Shein US. Adidas hat es als erstes erwischt, andere werden folgen. Buckle-up und ein Reminder, warum Wholesale auch ‚uncontrolled distribution‘ genannt wird.
Mit seinem Post spielt er darauf an, dass Adidas erst der Anfang einer länger werdenden Liste an bekannten Brands ist, die über die Zeit ebenfalls auf Shein erhältlich sein werden. Des Weiteren macht er deutlich, dass die Marke Adidas sowie auch Adidas‘ Handelspartner diese Entwicklung selbst nicht gutheissen würden.
Amazon «reloaded»
Die Adidas-Schuhe sind wohl über irgendeinen Grosshändler auf Shein gelangt. Der Preispunkt ist tiefer als bei Mitbewerber Amazon.de, wo der beliebte «Samba» erst ab EUR 90 zu finden ist. Bei Shein kostet er gerade mal EUR 62.
Vor allem wegen dieser Preisthematik haben Marken ein gewisses Interesse daran, möglichst nicht auf solchen Plattformen zu landen. Kontrollieren können sie es aber kaum, denn ganz verhindern oder verbieten lässt es sich nicht. Und so wiederholt sich mit diesem «Adidas-Shein-Fall» scheinbar, was vor etwa 10 Jahren bei Amazon passierte: Marken distanzieren sich von den Plattformen, sagen öffentlich, sie wollen keine Produkte dort draufhaben. Birkenstock ist so ein Beispiel. Aber auch Birkenstock hat es bei Amazon nicht geschafft.
Shein Schweiz ist schon viel weiter
Während noch unsicher ist, inwiefern denn die Plattformen von politischer Seite gebremst werden können, ist dieses «Marken-Angebot» Thema also unaufhaltsam: Auf der deutschen Plattform von Shein mögen wir erst die Anfänge beobachten.
In der Schweiz sind wir schon viel weiter: Auf ch.shein.com finden sich nicht nur ein viel grösseres Adidas-Angebot, sondern bereits einige andere Marken, wie Ray Ban, Skechers, Tissot, Nike oder Guess. Aber nicht nur in der Schweiz ist das Markenangebot grösser; ein kleiner Länder-Vergleich zeigt: Während beispielsweise von Nike oder Tissot auf der deutschen Plattform keine Produkte zu finden sind, gibt es sie auf ch.shein.com, auf es.shein.com, fr.shein.com oder shein.co.uk.
Ob vielleicht die ausgeprägte deutsche Abmahnkultur bei diesem Phänomen eine Rolle spielte? Insbesondere was die Bildrechte angeht, könnten Marken in Deutschland schnellere und stärkere Durchsetzungskraft haben.
Eine weitere spannende Entdeckung förderte der kleine Desk-Research zutage: Nicht nur beim Marken-Angebot, sondern auch beim Look-and-Feel ist der Shein-Schweiz-Auftritt anders: Die Shein-Deutschland-Plattform präsentiert sich im orangen Discount-Stil, der an diversen Stellen mit Rabatten und günstigen Preisen wirbt – sehr ähnlich wie Temu. Der Shein-Schweiz-Auftritt mutet derweil schlichter und hochwertiger an.
Shame on Shemu
Ob es Adidas und die anderen Marken neben der Preisthematik ausserdem stört, dass Shein weiterhin das Image des Billigwaren-Anbieters hat, was sich wiederum negativ auf die Marke auswirken könnte? Vielleicht. Aber: Trotz regelmässiger Kritik an Shein, lässt sich nicht leugnen, dass die Plattform im Online-Modemarkt inzwischen eine hohe Relevanz geniesst: Eine kürzlich durchgeführte E-Commerce Shopper Trends Studie von DHL, die in 24 Ländern das Einkaufsverhalten von 12’000 Shoppers untersuchte, zeigte, dass auf Amazon als am häufigsten besuchten Marktplatz Shein folgt (Amazon: 51%, Shein: 24%, Temu: 18%).
Shein und Temu sind also ganz vorne dabei. «Shemu» wie die zwei als Duo inzwischen gerne auch genannt werden, als Anspielung darauf, dass beide sich sehr ähneln: Beide sind (im Falle von Shein: ursprünglich) aus China, beide agieren nach dem Manufacturer-to-Consumer-Geschäftsmodell. Das heisst, sie verbinden Konsument*innen weltweit direkt mit den Lieferanten in China und verkaufen deren No-Name-Produkte zu Tiefstpreisen.
Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass die Plattformen inzwischen von der Politik unter Druck kommen: Deutschlands Bundeswirtschaftsminister Habeck erarbeitete einen Aktionsplan, der unter anderem fordert, Shemu schärfer zu kontrollieren und die 150-Euro-Zollfreigrenze abzuschaffen. Auch in der Schweiz haben die Handelsverbände beim Seco Beschwerde gegen Temu eingereicht.
Shein ist Temu voraus
Beide Plattformen haben ausserdem ein Marktplatz-Geschäftsmodell: Bereits vor einem Jahr lancierte Shein den Marktplatz. Das Modemagazin fashionunited schrieb dazu: «Nun soll das Sortiment auf dem Marktplatz für Mode-, Beauty- und Lifestyle-Produkte auch mit ‚ausgewählten globalen Marken und Drittanbieter:innen‘ erweitert werden, teilte Shein am Montag mit.»
Temu wiederum hat seinen Marktplatz erst vor kurzem für europäische Händler geöffnet und lockte diese mit sehr attraktiven Konditionen: Zum Start sollen diese weder Listing Fees noch Verkaufsprovisionen noch Werbekosten tragen müssen. Die Strategie, neben den No-Name-Produkte auch Marken aufzunehmen, ist durchaus plausibel: Die Kundin möchte neben dem No-Name-Billig-Top eben auch die klassischen Adiletten als «Basic-Piece» im Schrank haben.
Wie sich nun zeigt, konnte Shein bereits Erfolge verzeichnen, was das Öffnen des Marktplatzes für globale Marken angeht. Bei Temu ist dies (noch) nicht der Fall. Ein Anzeichen dafür, dass Shein vielleicht häufiger in einem Atemzug mit Temu genannt wird, als ihm gerecht wird.