Sonntag, später Nachmittag. Klassischer Second-Screen-Moment. Beim Scrollen durch Social Media ploppt eine Temu-Werbung auf – Nike-Schuhe. Kein „inspiriert von“, sondern echte Modelle. Ich klicke…

..und lande direkt in einem Sortiment mit über 1’000 Produkten von Nike, Adidas und Puma. Gelistet auf Temu. Für die Schweiz. Heute.


Dass Markenprodukte auf Plattformen wie Shein auftauchen, ist längst bekannt. Bereits in unserem Carpathia Blogbeitrag „Auf dem Schweizer Shein werden schon Adidas, Nike, Guess und Tissot verkauft“ (September 2024) haben wir dies thematisiert: Marken, die nie offiziell mitspielen wollten, tauchen trotzdem auf – über Zwischenhändler, Distributoren oder Restposten. Jetzt also auch auf: Temu.
Viele Händler, viele Fragezeichen
Die Listings auf Temu stammen nicht etwa von offiziellen Brand-Stores, sondern von zahlreichen Kleinhändlern – jeder führt rund 20 bis 60 Artikel. Die Namen erscheinen beliebig und austauschbar:
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Sichuanyongruishangmao Co., Ltd.
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Nanchangshixushitiyuyongpin Co., Ltd.
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HEYUANSHIMOQIANMAOYIYOUXIANGONGSI
Dazu kommen E-Mail-Adressen wie 2431500064@qq.com und 303675283@qq.com, identische Telefonnummern und Adressen in chinesischen Wohnblocks.

Wholesale oder Wildwuchs?
Die Ware? Vielleicht Restposten. Vielleicht Graumarkt. Vielleicht Replika. Klar ist: Die Produkte sind da – mit Markennamen, Produktbildern und Spezifikationen. Geliefert wird direkt aus China, meist in 5 bis 7 Tagen.
Viele Artikel sind deutlich günstiger als das, was man sonst kennt. Teilweise findet man genau diese Produkte bei uns bekannten Shops gar nicht – was stark darauf hindeutet, dass es sich um Replika handeln könnte.
Ein paar Klassiker von Adidas und Nike haben wir entdeckt – und mit uns bekannten Händlern verglichen. Ergebnis: Globus und Galaxus waren sogar günstiger als Temu. Snipes und About You lagen nur leicht darüber.
Temu spielt nicht Retail – Temu spielt Plattform
Ein klassisch kuratiertes Sortiment ist nicht erkennbar. Welche Produkte sichtbar sind, scheint primär vom Algorithmus bestimmt zu werden – nicht von Marken oder Einkaufsteams. Wenn offizielle Anbieter fehlen, übernehmen anonyme Reseller. Für sie steht wenig auf dem Spiel. Für Marken dagegen viel: Preis, Kontrolle und Image. Temu profitiert – mit einem Angebot, das Vertrauen ausstrahlt, aber keine Garantie bietet.
Amazon reloaded – nur ohne Umwege
Die Plattform setzt auf Skalierung ohne Umwege – kaum kuratierte Listings, wenig erkennbare Markensteuerung, Sichtbarkeit vor allem durch Preis, Verfügbarkeit und Algorithmus. Wer liefert, wird gelistet. Wer nicht, wird ersetzt – oft durch generische Händler mit ähnlichen Produkten, manchmal durch No-Name-Ware. Klassisches Category Management? Fehlanzeige. Markenführung? Nicht sichtbar. Ganz neu ist das nicht: Auch Amazon war lange kein Vorbild in Sachen Markenschutz oder transparenter Distributionslogik. Viele Marken – von Birkenstock bis Nike – haben mit Fälschungen und Graumarktangeboten zu kämpfen gehabt und zeitweise die Reissleine gezogen. Temu folgt nun ähnlichen Mustern – aber kompromissloser, schneller und globaler.
Temu kündigt an – und lässt laufen
Erst letzte Woche hat OnlinehändlerNews berichtet, dass Temu der International AntiCounterfeiting Coalition (IACC) beigetreten ist und zum Gründungsteam des neuen Marketplace Advisory Council (MAC) gehört. Offiziell will die Plattform stärker gegen Produktfälschungen vorgehen. Ob das mehr ist als Symbolpolitik, bleibt offen. Denn das Markenangebot auf Temu ist weiterhin: wild, fragmentiert und intransparent.
So finden sich etwa Shirts und Pullover der Marke Wilson für 5 bis 20 Franken – hier besteht offensichtlich noch Nachholbedarf bei der Kontrolle und Transparenz.

Fazit
Temu zeigt exemplarisch, wie Marken ihre Vertriebs- und Preishoheit verlieren können – ohne aktiv involviert zu sein. Die Plattform listet, was lieferbar ist. Herkunft, Echtheit oder Lizenzstatus spielen eine untergeordnete Rolle. Einige Preise wirken verdächtig niedrig, andere sind höher als bei offiziellen Anbietern – nur ohne Garantie auf Echtheit. Für Konsument*innen ist das kaum durchschaubar. Für Marken heisst das: Wer die Kontrolle über seine Kanäle nicht behält, landet in einem Umfeld, das weder Transparenz noch Markenschutz kennt.



















