Ohne Whatsapp geht nichts mehr – schon gar nicht in Indien

Die deutsche Supermarkt Kette verschickt seine Papier-Prospekte künftig per Whatsapp, in Indien kann man über Whatsapp Lebensmittel kaufen. Schweizer Detailhändler zögern noch – dabei geht in Asien nichts mehr ohne den Messenger.

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Die Klimakrise ist in aller Munde – und bietet eine gute Gelegenheit für Einzelhändler, die Digitalisierung weiter voranzutreiben und damit auch Kosten zu sparen. Analog war gestern, digital ist in der Post-Corona-Zeit das, was zählt. Kataloge mit Rabatt-Angeboten, die irgendwo halb zerknittert rumliegen oder sich im Briefkasten türmen, werden zu einem Relikt aus dem 20. Jahrhundert.

Die deutsche Supermarktkette Rewe schafft nun den Papier-Katalog endgültig ab. Die Angebote kann man sich nun per Whatsapp schicken lassen. Und das ist gar nicht so verkehrt, da auch die Grosseltern den Messsengerdienst von Tech-Gigant Meta, ehemals Facebook, mittlerweile ebenfalls eifrig nutzen. 

Ab Juli 2023 ist Schluss mit dem Altpapier, die Angebote gibt es ab dann nur noch online. Rewe argumentiert wie so viele andere Unternehmen mit dem Klimawandel. So sollen jährlich über 70’000 Tonnen Papier sowie – und gerade in der jetzigen Zeit besonders wichtig – natürlich auch Kilowattstunden an Strom gespart werden. 

Schon jetzt können sich die Kunden von Rewe jeden Sonntag die entsprechenden Angebote in ihren Whatsapp-Chat flattern lassen. Erste Tests seien positiv ausgefallen, heisst es in den deutschen Fachmedien. Auf der Website von Rewe gibt es einen QR-Code, dann wird der Chat gleich geöffnet. Das spart nicht nur Druckkosten, sondern der Chat kann automatisiert werden und Kunden können Fragen zu den Produkten stellen. Der Chatbot gibt auch den Supermarkt an, der am nächsten beim Nutzer ist. 

«Jetzt loschatten»: Rewe-Kunden können den QR-Code scannen, um den digitalen Katalog zu sehen. Zusätzlich können sie per Chat Fragen zu den Aktionen stellen.

Die Datenkrake Meta ist begeistert von der Zusammenarbeit. «Wir freuen uns, dass Rewe der erste Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland ist, der die Business Solutions nutzt», heisst es von dem Silicon-Valley-Giganten. Wenn es Rewe gelingt, das Angebot bei ihren Kunden zu etablieren, werden bestimmt auch andere Supermärkte oder Detailhändler hellhörig. Ausser Discounter Aldi. Er möchte an den Papierkatalogen festhalten. 

Das scheint auch bei den grossen Schweizer Detailhändlern zurzeit der Fall zu sein: Die Migros teste zwar viele verschiedene Medien, eigene wie externe für den Kontakt mit der Kundschaft, heisst es von der Medienstelle in Zürich. «Ein grosser Teil davon geschieht durch die Printmedien». Man verfolge jedoch neue Kommunikationstechnologien «sehr genau.»

Ähnlich klingt es bei Coop. Man nutze diverse analoge und digitale Kanäle, um «die jeweilige Zielgruppe effizient zu erreichen». Und hat eine klare Meinung zu Prospekten: «Auf absehbare Zeit gehören dazu auch weiterhin die beliebten gedruckten Aktionsprospekte und Aktionsanzeigen.» Diese könne man auch auf der Website anschauen. «Whatsapp ist bei Coop derzeit nicht als Kommunikationsmittel für Angebote geplant.»

Alles in einer App

Für den Whatsapp-Katalog, der in Deutschland oder der Schweiz als Innovation gefeiert wird, haben die Chinesen nur ein müdes Lächeln übrig. Die Bewohner des grössten Landes der Welt shoppen längst über Messengerdienste. Es fällt ihnen auch einfacher, weil alles aus einer Hand kommt. Die Über-App in China heisst Wechat. Die wichtigste App der Welt startete auch als Messenger, vereint aber inzwischen gefühlte 20 Apps in einer. Chatten, Social Media, Bezahlen und Kaufen in einer App. Datenhändler raufen sich die Haare, Nutzer können sich das hin und her springen zwischen Apps, das Rauskopieren von Kreditkartennummern und Einfügen in andere Felder ersparen. 

Der chinesische Tech-Gigant Tencent hat dank dem unverzichtbaren Messenger nicht nur 1,2 Milliarden Nutzern gewonnen, sondern kann ihnen in der gleichen App auch Produkte verkaufen. Alles aus einer Hand in dem Land mit einer Regierung. Europa hinkt da hinterher meilenweit hinterher. Nicht ganz unfreiwillig, denn in unseren Breitengraden sind die Menschen nach wie vor skeptisch gegenüber dem masslosen Ansammeln von Daten. Das ist gut so, auch wenn es auf Kosten der Convenience geht. 

Banane mit einem Klick

Von dieser Macht kann selbst Mark Zuckerberg nur träumen. Aber er möchte mit dem Meta-Konzern und Whatsapp aufholen. Seit Ende letzten Jahres können Händler unter der Funktion «Carts» auf einem Whatsapp-Business-Konto ihre Produkte ausstellen. Und diesen automatisch an ihre Kunden verschicken. Mit einem Klick geht es dann weiter zum Onlineshop. In Europa wird das Angebot jedoch kaum genutzt – der Grund ist nicht nur die fehlende Offenheit gegenüber diesen Diensten, sondern auch strengere Datenschutzrichtlinien. 

Dabei geht es nicht nur um einen virtuellen Produktkatalog, sondern auch um Service. Wenn ein Kunde zur Aktion der Woche eine Frage hat, kann er sie gleich im Chat stellen und erhält dann eine automatisierte Antwort. Experten sind sich einig, dass Whatsapp auch als Verkaufsplattform dienen kann. «Die Verbraucher sind faul und nun können sie auf einer App, die sie eh schon viel nutzen, auch noch einkaufen», sagt Marketingexperte Lasse Krüger im Wirtschaftsmagazin «Business Insider».

Whatsapp setzt auf Indien

Wenn es um das Handling von Messerengerdiensten geht, dient China als Vorbild. Doch Meta ist vorsichtig gegenüber den Europäern und drohenden Milliardenbussen wegen Datenschutzverletzungen. Deshalb gilt nicht der Westen als Testmarkt, und auch nicht das demokratisch fragwürdige China, sondern ein Land dazwischen: Indien. Mit seinen 1,39 Milliarden zweitgrösstes Land der Welt und extrem digital affin. In der Schweiz nutzen laut dem Onlineportal Statista sechs Millionen Menschen Whatsapp. Im Vergleich zu Indien ein Klacks: In dem Subkontinent geht ohne Whatsapp wirklich fast nichts. Die Inder sind nahezu besessen von den beiden Meta-Anwendungen Whatsapp und Instagram. 

Die Gründe liegen auf der Hand: Wie in zahlreichen Schwellenländern sind Millionen von Indern direkt zum Smartphone gesprungen. Rechner, Laptops, Browserfenster. In Indien kleben vor allem die jüngeren Konsumenten am Smartphone und wechseln sich zwischen Instagram und Whatsapp ab. Damals noch Facebook hatte doch mal angekündigt, die beiden Messenger zu vereinen? Doch nicht nur Millenials und Generation Y haben in Indien Whatsapp stundenlang offen, sondern auch Beamte und Business-Leute. Wer in Indien eine E-Mail schreibt, wartet tagelang auf eine Antwort, bei Whatsapp kommt sie innert Minuten. 

Jetzt testet Meta den indischen Markt mit den Lokalmatadoren Reliance Retail und Jio Plattforms. Bei der Onlinehandels-Plattform können indische Whatsapp-Nutzer Kataloge durchstöbern und Produkte in ihren digitalen Einkaufswagen legen. Und vor allem können sie auch gleich in der App bezahlen. Das hat Meta Ende August bekannt gegeben. In Indien droht Meta weder die Gefahr von zu strengen Datenschutzrichtlinien, noch eine Beschneidung des Staates in der grössten Demokratie der Welt. 

Per QR-Code beim «Chai Wala» zahlen

Damit ist Indien noch viel weiter als Deutschland. Das riesige Land ist mit seinen 500 Millionen Whatsapp-Nutzern (von den insgesamt zwei Milliarden Whatapp-Nutzern weltweit) ist für Meta der grösste Markt. «Das ist unser erstes nur in Whatsapp stattfindendes Einkaufs-Erlebnis», schwärmt der stets positive Mark Zuckerberg. Er möchte Whatsapp endlich lukrativ machen, weil er mit der kostenlosen Messengerfunktion immer noch nicht wirklich Geld verdienen kann. 

Schliesslich hat Zuckerberg happige 16 Milliarden Dollar im Jahre 2014 für Whatsapp bezahlt. Das Shopping-Testing in Indien erscheint zwar überraschend, ist aber logisch, denn Meta ist nun auch an Jio Platforms beteiligt. So wie viele westliche Tech-Giganten zurzeit in dem Land mit verschiedenen Religionen und Sprachen investieren. Die Inder lieben Whatsapp und mögen es, spontan und unkompliziert zu sein – auch beim Shoppen. 

Strassenhändler in Delhi mit der Gelegenheit, per Paytm zu zahlen.

Anwendungen wie Razorpay oder Paytm werden in Indien immer beliebter. Sie funktionieren ähnlich wie Twint mit einem QR-Code. Da in Indien auch zahlreiche günstige Smartphones aus China erhältlich sind, besitzen die meisten Inder ein Smartphone mit Apps. So braucht ein kleiner «Chai Wala»-Händler nur einen QR-Code auszudrucken und neben dem Teekocher hinzustellen. Die Kunden zahlen den süssen Tee für knapp einen Rappen ganz einfach per App. 

Wer sich keine Kreditkarte leisten kann, der verbindet die Apps mit seiner Telefonrechnung, der Betrag wird dort mit verrechnet. Telefonrechnungen oder Prepaid-Karten werden aber wiederum sehr oft in einem der tausenden grossen oder sehr kleinen Telefonanbieter-Kiosken am Strassenrand mit Bargeld bezahlt. Digital und analog wechseln sich in Indien innert Minuten ab – und machen das Land als Testmarkt besonders interessant.



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