Der Shift vom Produkt zur Plattform

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1990

Das Ziel dieses Beitrags ist es, Lesende anhand von Theorie (denn zwischendurch tut es gut, wiedermal «back to the basics» zu gehen), konkreten Beispielen und gezielten Fragen gedanklich das eigene Geschäftsmodell weg vom Produkt- hin zum Plattform-Ansatz zu lenken.

Die theoretischen Inhalte stammen von den MIT-Professoren Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson und ihrem Buch Machine, Platform, Crowd. Der Buchtitel deutet an, was nach Meinung der Autoren durch die Digitale Transformation bei Unternehmen passieren muss, nämlich eine Verschiebung von den Gegenkonzepten: Minds zu Machines, Products zu Platforms und Core zu Crowd. Dieser Beitrag handelt spezifisch von der Verschiebung Products to Platforms.

Die 3 Eigenschaften von digitalen Produkten

In ihrem Buch sprechen die Autoren digitalen Produkten folgende Eigenschaften zu: Free, instant and perfect.

  1. Free bedeutet, dass das Produkt ohne hohe Kosten vervielfältigt werden kann
  2. Perfect bedeutet, dass alle Kopien identisch, also perfekt, sind
  3. Instant bedeutet, dass eine Kopie sofort erstellt und überall verfügbar gemacht werden kann

Die Musikindustrie und die Medienindustrie haben als erste die Auswirkungen der Digitalisierung von Produkten und diesen drei Eigenschaften gespürt. Die Autoren weisen aber darauf hin, dass längerfristig alle Branchen davon betroffen sind, da sogenannte Online-to-Offline-Plattformen (O2O) genutzt werden können, um physische Produkt zu digitalen Produkten zu machen. Als bekannteste Beispiele werden Airbnb oder Uber genannt.

Fragen und Beispiele fürs Gedankenspiel

Stellen Sie sich die Fragen:

  1. Was bedeutet das für unser Business?
  2. Verkaufen wir ein physisches Produkt, das irgendwie digitalisiert werden könnte?
  3. Was würde passieren, wenn  Mitbewerberbende oder neue Marktteilnehmende dies plötzlich anbieten würden?

Solche Gedankenspiele sind immer einfacher mit ein paar Beispielen zur Hand. Diese finden sich in jeglichen Branchen und bei verschiedenen Produktarten.

  • So zum Beispiel gibt es in der Automobilindustrie mehr und mehr Plattformen, die Automiete anbieten, wie Clyde oder getaround
  • im Fitnessbereich gibt es Plattformen wie classpass oder Peloton, die gestreamte Fitness-Kurse anbieten
  • im Fashionhandel ist Rent the Runway bekannt als Online-Service, der Design-Kleidung und Accessoires vermietet, statt diese zu verkaufen

Eigenschaften von digitalen Produkten nutzen

Besonders spannend werden die drei Eigenschaften von digitalen Produkten kombiniert mit den Eigenschaften von komplementären Produkten.

Was sind komplementäre Produkte?

Komplementäre Produkte werden gemeinsam nachgefragt. Dies hat zur Folge, dass eine Preissenkung bei einem Produkt die Nachfrage-Kurve für das andere nach rechts verschiebt (bei gleichbleibendem Preis; vgl. Abbildung unten für komplementäre Produkte A und B).

Zur Veranschaulichung das Burgerbeispiel: Wenn die Preise für Burger-Brötchen gesenkt werden, dann steigt nicht nur dafür die Nachfrage, sondern auch nach dem Burgerfleisch, obwohl die Preise dafür gleich bleiben. Ein weiteres bekanntes Beispiel für komplementäre Produkte ist Rasierer und Rasierklingen.

Digitale Produkte als komplementäre Produkte

Weil nun digitale Produkte die Eigenschaft haben, dass sie ohne hohe Kosten vervielfältigt und somit auch entsprechend preiswert oder kostenlos angeboten werden können, sind sie als komplementäre Produkte besonders spannend. Doch auch digitale Services, die ein Produkt komplementieren und kostenlos dazu angeboten werden, können die Nachfrage desselben erhöhen.

Fragen und Beispiele fürs Gedankenspiel

Stellen Sie sich die Fragen:

  1. Was bedeutet das für unser Business?
  2. Welche digitalen Produkte oder Services könnten wir komplementär zu unseren physischen Produkten anbieten, um die Nachfrage derselben zu erhöhen?

Ein paar Beispiele aus dem Handel:

  • Zalandos digitaler Kleiderschrank Zircle, mit dem Modeliebhaber*innen ihren Kleiderschrank digitalisieren und Kleider an Zalando oder andere Nutzer*innen verkaufen können
  • die Watch-Collection im Nutzerkonto von Chrono24, um die eigenen Uhren zu verwalten und deren Wertentwicklung zu beobachten
  • die Rezepte-App Cookidoo von All-In-One-Küchengerät Thermomix, die Schritt für Schritt durch das ganze Rezept durchführt
  • Aber auch im B2B-Bereich sind solche ergänzenden digitalen Produkte und Services vorzufinden, zum Beispiel in Form von Planungstools oder sehr ausgereiften Kundenportalen, die mehr können, als nur die Bestellhistorie aufzuzeigen

Ungünstig ist es, wenn das komplementäre digitale Produkt von den Nutzenden als nicht besonders nützlich angesehen werden. Die Autorin spricht da aus eigener Erfahrung mit der elektrischen Schallzahnbürste Philips Sonicare, die mit einer App verbunden werden kann. Die App ist nicht schlecht gemacht, aber die Autorin hatte es nach nur dreimaliger Nutzung satt, sich von ihr sagen zu lassen, wie und wo sie putzen soll. Ein Ziel hat Philips ehrlicherweise doch erreicht: Die Zahnbürste wurde gerade wegen dieser zusätzlichen App gekauft.

Plattformen und Netzwerkeffekte

Die nächste Stufe – und jetzt kommen wir zum effektiven Shift vom Produkt zur Plattform – besteht darin, wenn bei den digitalen Produkten Netzwerkeffekte spielen. Das heisst, dass sich der Wert und somit die Nachfrage des Produkts erhöht, sobald weitere Personen dieses Produkt auch nutzen.

Fragen und Beispiele fürs Gedankenspiel

Stellen Sie sich die Fragen:

  1. Können wir ein digitales Produkt anbieten, dessen Wert sich für Nutzende erhöht, sobald noch mehr Menschen dieses Produkt nutzen?
  2. Können wir ein digitales Produkt anbieten, dessen Wert sich für die eine Nutzergruppe erhöht, sobald eine andere Nutzergruppen das Produkt nutzt (zweiseitige Netzwerkeffekte)?

Aus den obigen Beispielen kann hier wieder Zalandos digitaler Kleiderschrank Zircle genannt werden, denn er ermöglicht es, Kleider anderen Nutzer*innen des Kleiderschranks anzubieten.

Die Digitalisierung bringt neue Möglichkeiten und Spielregeln mit sich. Es ist wichtig, dass wir diese verstehen, um sie uns zu Nutze machen und darauf reagieren zu können.

Ich hoffe, die Kombination aus Theorie, Fragen und Beispielen hat Ihnen geholfen, dieses Gedankenspiel vom Produkt zur Plattform für Ihr Unternehmen zu schaffen und daraus etwas Wertvolles mitzunehmen. 



2 KOMMENTARE

  1. Spannender Artikel und jedes Unternehmen ist gut beraten, sich diese Überlegungen zu machen. Der Shift zu digitalen Plattformen ist unübersehbar, es ist nur die Frage, ob er auch nachhaltig ist. Um das zu überprüfen, erhöhen wir mal die Flughöhe, und schauen wir uns mal die grossen Shifts an:
    -Agrargesellschaft – Industriegesellschaft: Der Shift ist lange her, aber er hat auf der unteren Ebene vor allem Verlierer hinterlassen. Essen müssen wir noch immer, nur dass der Bauer nichts mehr daran verdient. Der Staat übernimmt dann im Dienst des grossen Ganzen die Differenz.
    -Industriegesellschaft- Dienstleistungsgesellschaft: Also physische Produkte brauchen wir noch immer, nur haben sich die Gewinnmargen ins Dienstleistungsgewerbe verlagert. Man vergleiche die Löhne in der Industrie mit Bankern, Versicherungsmitarbeitern und Beratern;-) Der Staat macht dann Industriepolitik – um das Schlimmste zu verhindert, reguliert ganze Industrien, und ist schwer damit beschäftigt, auch die Regulierung der Regulierung zu schaffen. Man denke nur mal an die Energiepolitik, die das Desaster der Landwirtschaftspolitik wiederholt.
    -Dienstleistungsgesellschaft – Plattform-Ökonomie: Noch ist nicht sicher, ob hier nur das eine weiterentwickelt wird, oder ob es wirklich eine neue Dimension ist. Fakt ist, die Gewinnmargen verlagern sich auf eine letztlich unakzeptable Weise in die Plattformökonomie, Monopole entstehen in nie gesehener Geschwindigkeit und saugen unglaubliche Werte ab, die nichts mehr produzieren und fast niemanden mehr ernähren. Der Uberfahrer verdient so wenig wie ein Bauer, und Uber weigert sich konsequenterweise, ihn als Angestellten zu sehen. Google, Amazon, Uber undsoweiterundsofort. Vielleicht hilft airbnb kurzfristig, die Verfügbarkeit und Mobilität von Wohnraum zu verbessern, längerfristig saugt airbnb aber Geld von der Wohnungs- und Hotelindustrie ab. Der Staat muss wieder einschreiten, um das Schlimmste zu verhindern.
    -Endphase Staatsgesellschaft: Die Löhne bei Bundesangestellten, so zeigte kürzlich eine Studie, sind deutlich höher als in der Privatindustrie, das heisst neben den jeweils übergelagerten Ebenen saugt auch der Staat immer mehr ab und wird fetter und mächtiger. Niemand kann etwas dagegen sagen, er verhindert ja nur das Schlimmste.
    Fazit:
    Essen müssen wir immer noch, Nahrungsmittel und auch physische Güter müssen produziert und verteilt werden, das Impfdesaster zeigt ganz nebenbei, dass dazu der Staat, sozusagen die Oberplattform, nicht in der Lage ist.
    Was aus der individuellen Perspektive des einzelnen Unternehmens richtig scheint, hinterlässt overall gesehen zu viele Verlierer, die Gewinnmargen akkumulieren sich in der jeweils UBERgelagerten Ebene, irgendwann wird die physische Wertschöpfung, die alles tragen und ernähren soll, darunter zusammenbrechen. Und brauchen wir nicht auch bei physischen Gütern Innovation? Wie soll sie finanziert werden?
    Vertikale Ansätze scheinen mir da nachhaltiger, die die Ebenen zu integrieren versuchen. Sie unterscheiden sich mindestens aus grosser Flughöhe gesehen vorteilhaft von der Schmarotzermentalität von Google, Facebook, Uber, Airbnb und einigen Tausend anderen Möchtegern-Monopolisten-Startups. Asset-light ist eine Systemgefahr. Menschen brauchen nun mal ‚assets‘, und zwar ziemlich ‚heavy‘

    • Wie schön, dass ich mit dem Beitrag einen Denkanstoss geben konnte und Sie sich die Zeit für einen Kommentar genommen haben. Vielen Dank. In Ihrem Fazit schreiben Sie, dass weiterhin Nahrungsmittel und physische Güter produziert werden müssen. Dem stimme ich zu. Im Beitrag ist von einem „Shift“ vom Produkt zur Plattform die Rede. Damit ist nicht gemeint, dass Unternehmen keine Produkte mehr herstellen sollen, sondern vielmehr, dass sie sich im Zeitalter von Plattformen Gedanken machen müssen, wie sie ebenfalls von den Eigenschaften digitaler Produkte und von Netzwerk-Effekten profitieren können. Viele Unternehmen machen das heute noch nicht, denken also noch zu stark in „Produkten“ – ein Rebalancing/Shift ist nötig.

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