Ja, das Internet ist mittlerweile zu einem festen Bestandteil unseres Alltags geworden. Und das stellt den E-Commerce vor eine Herausforderung: Woher kommt der neue Traffic?
So paradox es auf den ersten Blick erscheint, aber der E-Commerce profitiert nur bedingt davon, wenn wirklich jeder das Internet nutzt. Die meisten Business-Modelle bauen ihren Erfolg über Skalierung des Traffic-Volumens auf und folgen einer (sehr vereinfachten) Rechnung: Doppelter Traffic = doppelter Umsatz. An sich ist das nicht unrichtig und hat die letzten 10 Jahre auch ausserordentlich gut funktioniert. Also warum das System ändern?
Die Antwort ist so banal wie einschneidend: Weil es kaum mehr geht.
Das Modell der Skalierung über Traffic kann nur funktionieren, solange die Ressource „neue Besucher“ in relevanter Zahl verfügbar ist. Je mehr Internetnutzer es hat, desto abgeschöpfter ist diese Ressource. Dies führt letztlich dazu, dass Wachstum fast nur noch auf Kosten des Wettbewerbs möglich ist. Da aber niemand seinen Traffic freiwillig hergibt, wird der Wettbewerb immer stärker – und teurer.
Wo stehen wir heute in diesem Szenario?
Dem BFS nach nutzten 2011 rund 85% aller SchweizerInnen ab 14 Jahren das Internet. Kombiniert mit der neuesten HSG-Studie, in welcher 2.4% der Befragten Ende 2012 angaben, über weniger als 12 Monate Erfahrung mit dem Internet zu haben, würden heute rund 87.5% der SchweizerInnen das Internet nutzen.
Und wie viele davon kaufen online ein? Auch hierzu gibt die HSG-Studie eine interessante Zahl bekannt: Es sind bereits 88% der Schweizer Internetnutzer.
Die Wachstumskurve zur Internetnutzung flacht stark ab. Zwar wird die Gruppe der verbliebenen rund 12.5% Nicht-Internetnutzer wohl auch weiterhin schrumpfen, allerdings in wahrscheinlich eher gemütlichem Tempo. Ähnlich sieht dies bei der Gruppe der rund 12% Internetnutzern aus, die noch nicht online einkaufen.
Was sind die Alternativen?
Wenn reales Wachstum nicht länger auf „mehr Traffic“ basieren kann, dann bieten sich spontan andere Wachstumsfaktoren an. Beispielsweise:
- Steigerung der Einkaufs-Frequenz
Eine wesentliche Steigerung der Kauf-Frequenz ist kurzfristig nicht in Sichtweite, da gemäss der HSG bereits 70% der Online-Käufer zu der Gruppe der Mehrfachkäufer (mehrmals pro Monat) gezählt werden. Ziel sollte also sein, die Gruppe der Mehrfachkäufer in die Gruppe der Vielkäufer zu transferieren. Allerdings ist das ein Prozess der zwar stetig, aber nur langsam voranschreitet. - Steigerung der durchschnittlichen Warenkorbwerte
Je mehr die bestehenden Kunden in ihre Warenkörbe legen (oder je hochpreisiger), desto besser. Erreicht werden kann dies z.B. über Optimierung von Kommunikation, Produktpräsentation, Recommendation-Systeme, konsumpsychologische Darbietung teurerer Alternativen, Incentives, Versandkostenstreichung oder Bundles. Alles in allem erfordert dies jedoch das Wissen über den Kunden und seine spezifischen Trigger. - Partizipation am Wandel der Bestellverteilung (von Katalog/Telefon ins Internet)
Ein Blick in die Statistik zum Schweizer Online- und Versandhandel 2012 des VSV zeigt, dass das Umsatzwachtums im Schweizer E-Commerce zu grossen Teilen durch die Veränderung der Bestellverteilung getragen wird. Gemäss VSV wird dieser Trend auch noch etwas anhalten, so dass Online-Händler in Ihrer Kommunikation gern die Vorteile der Online-Shops gegenüber Katalogen und Telefonverkäufen benennen können. Das relevante Ende dieser Fahnenstange könnte aber bereits in 3-4 Jahren erreicht sein. - Prozesskostensenkung
Der E-Commerce wird teurer und der Preis ist für rund 77% der Konsumenten noch immer das wichtigste Kriterium, das für den Einkauf im Internet spricht. Mit zunehmendem Wettbewerb fallen somit die Preise für den Kunden. Dies wiederum erhöht den Preis- und Margendruck auf Seiten der Online-Händler. Wenig erfreulich ist auch eine Prognose von Forrester Research, die davon ausgeht, dass sich die Online-Werbeausgaben in Europa bis 2016 im Vergleich zu 2011 knapp verdoppeln werden. Wer seine Prozesskosten senken kann, ist hier im Vorteil. Aber bitte nicht um jeden Preis. - Steigerung des Nutzenversprechens
Nach Porter und seinen Wettbewerbskräften hat ein eindeutiges Nutzenversprechen einen positiven Einfluss auf die Preiselastizität der Nachfrage. Je werthaltiger das Angebot wahrgenommen wird, desto mehr ist der Konsument auch bereit dafür auszugeben. Hierzu ist es für Online-Händler jedoch unbedingt notwendig, die „richtigen Knöpfe“ zu drücken und die Nutzer an ihren Bedürfnissen zu packen (hierzu in einem späteren Beitrag mehr). - Steigerung der Effizienz (mehr Besucher zu Kunden machen)
Das Problem: 95% des Traffics kosten zwar Geld, bringen aber keinen Umsatz. Die Lösung: mehr aus dem Traffic herausholen und damit die (globalen) Kosten pro Bestellung verringern. Der mit Abstand grösste (und idR. schnellste) Skalierungshebel ist die Steigerung der Zielerreichungsrate. Hierbei können kleine Änderungen im Shop zu grossen Resultaten führen -> siehe Conversion Optimierung.
Welche Strategie für welches Business-Modell? Das gehört in eine Kontext-Betrachtung und ist von einer Reihe von Faktoren abhängig. Global jedoch, ist die Senkung der Kosten pro Bestellung durch Steigerung der Zielerreichungsrate eine dringende Empfehlung, die gegenüber jedem Online-Händler ausgesprochen werden muss, weil damit alle Probleme im Zusammenhang der Skalierung und dem Wachstum gelöst werden können.
Fazit
Das organische Internetwachstum hat eine natürliche Grenze – und die ist bald erreicht. Somit verliert das Wachstumsmodell „Skalierung über Traffic“ – notabene über den Onlinehandel als Ganzes angewandt – an Relevanz und erfordert alternative Skalierungskonzepte, um dem stärker werdenden Wettbewerb begegnen zu können. Lösungsansätze gibt es sicherlich eine ganze Reihe. Wenn man diese jedoch kondensiert und durch den Aufwand-/Ertrags-Filter laufen lässt, dann wird deutlich, dass die Konzentration auf den Kunden und seine Handlungsentscheidungen – kurz: seine Motive – in den Vordergrund rücken.
Ist so etwas wie Konsumpsychologie oder „Neuro-Commerce“ das nächste grosse Ding im E-Commerce? Ja, es sieht ganz danach aus. Ein wirklich spannendes Thema, zu dem es hier im Blog demnächst mehr zu lesen geben wird.
Hier wird die Annahme getroffen, dass Visitor = Traffic. Allerdings ist der Traffic ja nicht vom Anteil der Internetznutzer an der Bevölkerung abhängig. Es hat ja nicht jeder Onlineshop jeden User als Besucher. Und selbst dann könnten die einzelnen Besucher ja auch noch mehr Traffic bei den einzelnen Shops verursachen.
Aber ungeachtet dieses mathematischen Ansatzes gebe ich Ihnen natürlich Recht, dass es klüger ist, mehr aus den Besuchern zu machen als immer mehr Besucher teuer „einzukaufen“. Wobei meines Erachtens bei der Conversion Optimierung zu viel Augenmerk auf die Steigerung der Konversionsrate (durch mehr Traffic) gelegt wird als auf die Senkung der Abbruchrate, was nicht das Selbe ist.
Besten Dank für Ihr Feedback. Gern kommentiere ich dies wie folgt:
Hier wird die Annahme getroffen, dass Visitor = Traffic.
Ja, das ist so. Traffic = Besucher (engl. Visitor)
Allerdings ist der Traffic ja nicht vom Anteil der Internetznutzer an der Bevölkerung abhängig.
Die CH-Bevölkerung ist für CH-Shops Zielgruppe. Der Anteil CH-Internetnutzer markiert somit das Marktpotential.
Und selbst dann könnten die einzelnen Besucher ja auch noch mehr Traffic bei den einzelnen Shops verursachen.
Das machen sie auch. Innerhalb eines Marktsegmentes ist es für jedes profitorientierte Unternehmen jedoch von elementarer Bedeutung, dass Besucher zu Kunden konvertieren.
Aber ungeachtet dieses mathematischen Ansatzes gebe ich Ihnen natürlich Recht, dass es klüger ist, mehr aus den Besuchern zu machen als immer mehr Besucher teuer „einzukaufen“.
Danke.
Wobei meines Erachtens bei der Conversion Optimierung zu viel Augenmerk auf die Steigerung der Konversionsrate (durch mehr Traffic) gelegt wird …
Online-Shops können den Erfolg skalieren, wenn sie mehr Traffic erzeugen (geht nicht mehr so schön) oder mehr aus dem schon vorhandenen Traffic herausholen (Effizienz steigern; geht gut). Letzteres ist Ziel der Conversion-Optimierung.
… als auf die Senkung der Abbruchrate, was nicht das Selbe ist.
(A) Im Sinne der Zielerreichung ist die Abbruchrate eine „umgedrehte“ Konversionsrate. Die Betrachtungsweise ist eine andere, führt jedoch zum gleichen Ergebnis. (B) Im Zusammenhang mit Bounces (Abbruchrate) gilt es, Besucher innert 2-3 Sekunden davon zu überzeugen, dass er die richtige Seite gefunden hat, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Beides (A+B) ist Aufgabe der Conversion-Optimierung. Die ganz genaue Definition ergibt sich jedoch erst, wenn die Ziele der Optimierung bekannt sind (zB. „Wir wollen die Abbruchrate im Checkout senken“).
Genau zu diesem Thema haben wir dieses Jahr auf der SOM einen Vortrag gehalten:
Warum Bestandskunden die besseren Kunden sind!
http://www.affiliatemarketing.de/das-ungenutzte-potential-warum-bestandskunden-die-besseren-kunden-sind-464
Ich kann hier nur zustimmen. Das Marktpotential ist eine wichtige Größe, die der Skalierungs-Rechnung „Stetig mehr Umsatz durch mehr Traffic“ nach oben hin Grenzen setzt. Auf Dauer wird deshalb die Reaktivierung profitabler Bestandskunden gegenüber der Neukundenakquise immer noch weiter an Bedeutung gewinnen.
Herr Oelerich, Ihre Aufstellung alternativer Wachstumsfaktoren finde ich sehr gelungen. Das sind genau die Punkte, die auch für uns aus Sicht der Business Intelligence Entwicklung von besonderer Relevanz sind, denn genau diese Aspekte werden aus den beschriebenen Gründen rasant an Bedeutung gewinnen – und bedürfen zu ihrer Umsetzung qualifizierter Analyselösungen. Es muss an immer feineren Stellschrauben gedreht werden, und das geht nicht ohne eine transparente ganzheitliche (!) Datenlandschaft. Sie deuten das in einigen Punkten ja schon an.
In gewissen Branchen wie Mode und Unterhaltungselektronik/Computer ist der Zenit wohl schon fast erreicht, obwohl Entwicklung nicht in allen Ländern gleich weit fortgeschritten ist.
Was aber zu Prozesskosten und somit indirekt zum Retouren-Management zu sagen ist: wenn endlich einheitliche Kleider-, oder Schuhgrössen vorhanden wären, müsste man nicht immer alles gleich in 3-4 verschiedenen Grössen zum Probieren bestellen. Hier ist ebenfalls ein extrem grosses Optimierungspotential da. Das wiederum hält mich persönlich zurzeit davon ab, Kleider und Schuhe im Internet zu bestellen, da ich mit meinen mehr als 1,90m Grösse sowieso aus der „Norm“ falle und mit meiner Kleidergrösse in der Schweiz sowieso selten erfolgreich einkaufen kann.
Das wiederum bringt mich zum nächsten Punkt: da sich die „Big Player“ nur auf den Massenmarkt des Durchschnittsbürgers stürzen, verprellen sie die Kunden derer, die halt etwas anders sind und aus der besagten Norm herausfallen (z.B. Frauen, die über 1,80m gross sind).
Das wird aber auch wahrscheinlich die einzige Überlebenschance der „Kleinen“ sein, da sie meist nicht beim Preis oder der Angebotsvielfalt mithalten können, aber eben den Nischenmarkt bedienen können. Ausserdem wirtschaften die kleinen meist nachhaltiger und beuten die Mitarbeiter nicht so aus wie dies gewisse Grossfirmen (da rede ich vor allen Dingen für das Ausland) nachweislich tun. Denn wenn die Leute keinen anständigen Lohn mehr verdienen, können sie sich auch nichts mehr leisten und die Kaufkraft sinkt.
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