Schweizer-Online-„Volks“-Marktplatz – wirklich nur ein Gedankenspiel?

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Themen wie Frankenschock, Einkaufstourismus, Ladensterben etc. beschäftigen den Schweizer Handel enorm – je länger je mehr aber auch uns alle ganz persönlich. Sei es im beruflichen Alltag, beim Flanieren in der Innenstadt und im Portemonnaie – während und nach einem Einkauf. „Danke, ich gucke nur ein wenig“ oder „Mist, dass hätte ich auch viel günstiger haben können“, „was macht der, die wenn es denn Laden nicht mehr gibt“ oder „wie sieht es hier wohl in 5-10 Jahren aus“ sind Aussagen welche ich schon fast mit schlechtem Gewissen mache und Gedanken welche mich beschäftigen.

Einer der Hauptgründe ist, dass die Konsumentenpreise in Herkunftsländern der Schweizer Importe bis zu 38% tiefer als in der Schweiz sind (vgl. Retail Outlook 2016 von der Credit Suisse), das Ausland nahe ist und der Einkaufstourismus 2015 Off- und Online deutlich zunahm. Der Grenzüberschreitende Online-Handel ist im 2015 überproportional um 22 % gewachsen (vgl. GfK 2016, Online und Versandhandelsmarkt Schweiz 2015). Diese Pace wird vermutlich gehalten – wenn nicht noch erhöht.

Mal ganz abgesehen davon, dass ausländische Händler Ihre Services auf den Schweizer Konsumenten gerichtet ausbauen und allfällige Hürden wie lange Lieferzeit, unklare Versand- und Retouren-Kosten abbauen. Kurzum, die Welle welche auf uns zukommt zurast sehen und spüren wir alle. Viele haben nasse Füsse und einige andere sind bereits ertrunken.

Der gemeine Schweizer handelt aber weiter immer schön nach dem Motto „hinter mir die Sintflut“ und kommt sich clever vor, wenn er sich mit der Pistole, welche er im Ausland besorgt hat, kurz- und mittelfristig ins eigene Knie und langfristig in diejenigen unser Kinder schiesst.

Dass die Preise in der Schweiz ganz grob gesagt wegen höheren Arbeits-, Beschaffungs-, Transport-, Logistik und Miet-Kosten einfach höher sein müssen versteht jeder. Das diese Punkte vernetzt, komplex und deshalb nicht schnell zu lösen sind auch. Der digitale Wandel im Handel, in der Gesellschaft und im Kaufprozess befeuert diese Problematik noch ungemein.

Eine Lösung ist, dass sich der Handel neu erfinden muss. Was einfach gesagt ist aber bei der Umsetzung mangels KnowHow und Ressourcen leider oft scheitert. Ein tolles Omnichannel-Konzept muss her welches die Kunden von heute und morgen begeistert – mit allem was dazugehört inkl. erweiterten Services, Off-Online-Marketing und, und, und. Und wer hätte es Gedacht – auch das ist immer mit Kosten verbunden welche schlussendlich irgendwie wieder auf die Produkt-Preise überwälzt werden müssen. So weit, dass wir für die Beratung im Laden zu zahlen bereit sind, sind wir, und das Ladenpersonal leider häufig auch, noch nicht.

Grössere und grosse Händler können diese Aufgabe stemmen. Indem sie die anfallenden Kosten besser verteilen und durch höhere Skaleneträge schneller amortisieren können. Mit mehr als 99% der Unternehmen und zwei Drittel der Arbeitsplätze ist die Schweiz aber ein Land der KMU’s. Nur auf den Detailhandel bezogen, dürften diese Anteile mutmasslich noch höher sein. So viele Rettungsringe haben wir nicht – wenn die Welle kommt.

Mit Beiträgen, Steuern und tragen von Risiken für soziale Versicherung, Kurzarbeit, Subventionen, Steuererlasse und Massnahmen der Nationalbank zur Stützung des Schweizer Frankens etc. sind wir alle schon heute am Bauen von Dämmen beteiligt. Mit der Gewissheit, dass diese wohl eher früher als später einstürzen werden. Warum also nicht (auch) vereint direkt helfen das Problem an den Wurzeln bzw. bei den Kosten zu packen – statt lediglich Symptombekämpfung zu betreiben?

Hierzu ein Gedankenspiel welches mit Sicherheit noch nicht zu Ende gedacht und evtl. auch etwas planwirtschaftlich angehaucht ist:

Schweizer_Volksmarktplatz_

Die Post inkl. Postfinance und die SBB gehören ganz dem Bund und somit uns allen, die Swisscom zu 51% und die SRG hat durch das Bundesgesetz über Radio und Fernsehen und die Konzession einen besonderen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen. In der Summe vereinen diese Betriebe alle E-Commerce Kernkompetenzen. Über die Qualität, mit welcher ich persönlich und im Vergleich zum Ausland sehr zufrieden bin, kann sicher diskutiert werden. Soll jetzt aber nicht das Thema sein.

Was wäre also wenn der Bund im Auftrag von uns allen einen echten Schweizer-Online-„Volks“-Marktplatz realisieren würde? Bei welchem die Kosten für die Teilnahme, Transaktion und Fulfillment für Schweizer Detailhändler derart tief wären, dass Sie bzgl. Preisniveaus mit dem Ausland wieder mithalten können oder zumindest einen grossen Schritt in deren Richtung machen könnten. Weil Sie sich Aufwand und Kosten für alle E-Commerce Kernthemen an der Front sparen könnten und sich vor allem kleinere und mittelgrosse Händler dem immer professioneller werdenden Online-Wettbewerb, welchem Sie häufig ohnehin nicht mehr gewachsen sind, nicht mehr alleine stellen müssten. Sie könnten sich stattdessen voll und ganz auf die Optimierung Ihres Product Feeds, die POS-Digitalisierung und den lokalen Service-Gedanken konzentrieren.

Ein weiteres Ziel wäre, dass dieser Schweizer-Online-„Volks“-Marktplatz zu der primären Anlaufstellen in Sachen Produktsuche wird. Ein Ort also wo nur Produkte gelistet sind welche von Schweizer Detailhändlern gehandelt werden. Grosse Summen welche heute zum „Farbigen“ und „Blauen“ nach Kalifornien abwandern könnten gespart werden. Oder in der Schweiz verbleiben – falls auf dieser neuen Plattform eine Art „Sponsored Products“ gemacht werden soll.

Auch bezüglich Logistik soll der Nationale Handel bevorzugt werden – indem die über diese Plattform gehandelten Produkte zu Spezialkonditionen gelagert, national und international versendet, retourniert und wieder aufbereitet werden.

Im Bereich Zahlungsabwicklung, Radio und TV-Werbung würde das ähnlich aussehen – indem der Schweizer-Online-„Volks“-Marktplatz als Ganzes zu Spezialkonditionen Zahlungen abwickeln und Werbung schalten kann.

Soviel mal zur grundsätzlichen Idee. Ich bin mir vollkommen bewusst, dass das Protektionismus ist und einige andere Branchen welche ähnliche Dienstleistungen anbieten dann weniger haben würden. Evtl. können diese aber auch im Auftrag von uns allen gewisse Funktionen übernehmen und langfristig dann doch mehr haben. Auch weil monopolistische und staatliche „Institutionen“ idR als wenig innovativ und wettbewerbsfähig gelten. Nicht weil sie nicht könnten – sondern vielmehr weil sie es ganz einfach nicht müssen.

Denn es versteht sich von selbst, dass dieser Schweizer-Online-„Volks“-Marktplatz alle Kunden-Erwartungen bzgl. Services, User Experience und Usability erfüllen bzw. noch übertreffen muss, indem die Verschmelzung von Off-Online und lokaler Nähe perfektioniert wird. Dadurch hätten wir last but not least aber auch einen ernsthaften Gegenspieler wenn einer der ganz Grossen den Schritt über die Grenze macht.

Ich persönlich würde ein solches Angebot nutzen – vor allem mit dem Wissen, dass ich damit nationale bzw. lokale Händler gegenüber dem Ausland bevorzuge und damit das Land, in welchem ich und vielleicht auch mal meine Kinder leben, stärke. Langfristig wünsche ich mir einfach belebte Innenstädte mit spannenden Konzepten – die werden sich mit den sich zwingend ändernden Mietverhältnissen auch verändern – und einen prosperierenden Handel mit allen Firmengrössen und einhergehend grosser Produktauswahl.

Vielleicht ist das ganze etwas träumerisch – trotzdem wollte ich den Gedanken in unserer Rubrik „Carte Blanche“ mal platziert haben und würde mich selbstverständlich freuen, wenn der Beitrag den einen oder anderen Kommentar, oder gar eine Diskussion, hervorruft.



6 KOMMENTARE

  1. Ich bin ganz grundsätzlich gegen die künstliche Erhaltung von Berufen, bei denen ein Land nicht konkurrenzfähig ist. Alte Zöpfe sollte man abschneiden, damit Neue nachwachsen können.

  2. Brauchen wir wirklich einen subventionierter Marktplatz? Ich halte von der Idee des Protektionismus wenig, denn wo bleibt da die freie Marktwirtschaft?
    Ersten schafft man als subventionierter Betrieb einen etablierten Zirkel, wer dazu gehört, gehört dazu, und wer die Bedingungen nicht erfüllt, aufgrund beispielsweise der Herstellungsbedingungen „Made in Switzerland“ bleibt ausgeschlossen?! Das kann doch auf die Dauer nicht funktionieren. Und wer setzt die Kriterien dafür? Zweitens entzieht man sich dem freien Markt und der Konkurrenz, die gerade auf der Ebene von KMU’s so erfinderisch und kreativ macht. Der Antrieb zur Innovation versickert sozusagen wegen lauter Protektionismus. Und was macht die Schweiz wettbewerbsfähig, ist es nicht die Innovation, der Erfindergeist, die Vielfalt ?
    Und schliesslich, wie ich die grossen Staats-Apparate aus eigner Erfahrung kennengelernt habe, sind diese riesen Organisationen Orte, wo die Mühlen der Entscheidungsträger sehr langsam mahlen. Und die Entscheidungsmacher meist keine Ahnung der Prozesse der Auszuführenden haben. Dabei entwickelt sich der E-Commerce gerade in einem sehr dynamischen, schnelllebenden und kreativen Umfeld. Da noch Sand ins Getriebe zu schütten, denke nicht, dass dieser Weg funktionieren würde.

    • Hallo Salome
      Herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Grundsätzlich bin auch für die freie Marktwirtschaft – in einem geschlossenen Wirtschaftsraum wo sich alle den gleichen Bedingungen stellen müssen. Wie aber im Beitrag beschrieben, und auch von „KMU-CEO“ im 4. Kommentar kommentiert, ist das beim Grenzüberschreitenden Warenverkehr in vielen Bereichen nicht der Fall.

      Die Wettbewerber haben also unterschiedliche Grundvoraussetzungen, welche sie selbst zum ganz grossen Teil weder direkt beeinflussen noch mit Innovationen im kleinen Rahmen wettmachen können. Natürlich können sie, wie du sagst, erfinderisch und kreativ sein um möglichst adäquat auf die sich radikal verändernden Bedingungen zu reagieren. Indem sie sich z.B. sehr gut überlegen, welches Leistungsmerkmal sie für ihre Zielgruppe besonders gut abdecken können und sich darauf fokussieren. Oder sie spielen die physische Nähe zu ihren Kunden und das bessere Verständnis ihrer Bedürfnisse gegenüber ausländischen Anbietern aus. Sie könnten auch Arbeitsteilungen und Kooperationen eingehen (was schwer ist und unsere Bauern zeigen) um zusammen ein höheres Leistungsniveau zu erreichen. Und, und, und – In den Bereichen Arbeits-, Beschaffungs-, Transport-, Logistik und Miet-Kosten wird sich die Situation aber dennoch nicht so schnell zu Ihren Gunsten ändern.

      Die Idee ist eben nicht Betriebe direkt zu subventionieren – das machen wir heute schon. Sondern wettbewerbsfähige Rahmenbedingen mit einer Infrastruktur zu schaffen, welche es Schweizer Handelsunternehmen, gegenüber Ausländischen, überhaupt erst erlaubt wettbewerbsfähig zu sein.

      Bezgl. Deinem attestierten Manko von grossen Staats-Apparaten sind wir ja durchaus gleicher Meinung. Vgl.: „weil monopolistische und staatliche „Institutionen“ idR als wenig innovativ und wettbewerbsfähig gelten. Nicht weil sie nicht könnten – sondern vielmehr weil sie es ganz einfach nicht müssen.“ Deshalb argumentiere ich ja auch, dass andere, darauf spezialisierte Unternehmen, „ im Auftrag von uns allen gewisse Funktionen übernehmen“ könnten und sollen.

      Deinem Argument, dass sich der E-Commerce gerade in einem sehr dynamischen, schnelllebenden und kreativen Umfeld entwickelt stimme ich komplett zu – finde das Gebiet gerade deshalb auch äusserst spannend. Viele kleine Händler können hier aber ganz einfach nicht mehr mithalten. Man kann jetzt, wie Peter im 2. Kommentar sagt, die alten Zöpfe abschneiden. Oder man schafft eine Infrastruktur, sozusagen als Standortvorteil Schweiz, damit diese weiterhin ein Chance haben und parallel neue Zöpfe schneller nachwachsen können.

  3. Der Bund sollte Gesetze und Prozesse vereinfachen. Das würde die Schweizer KMU’s viel mehr helfen als noch mehr Einmischung im Geschäftsleben. Und die EU-Subventionen an Amazon & Co („400 EUR Mini-Jobs“ etc, etc) politisch bekämpfen.

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