Diese Woche fand in Las Vegas die Shoptalk statt, die nach eigenen Angaben weltgrösste Konferenz für E-Commerce und Retail Innovationen. Und das viertätige Programm war vollgepackt mit Highlights, Informationen und Impulsen so, dass es bisweilen schwierig war, unter den bis zu 6 parallel laufenden Tracks die Juwelen rauszupicken.
Unter dem Hashtag #shoptalk18 findet sich eine internationale und breite Berichterstattung zu den vier Tagen und den einzelnen Highlights.
Der Kunde steht im Zentrum – aus B2C wird C2B
Wenn man die vielen Informationen verdichtet und für sich die Takeaways identifiziert, dann gibt es einen gemeinsamen Nenner, den radikalen Kundenfokus. Dieser ist jedoch in verschiedenster Ausprägung erkennbar über die vielen Geschäftsmodelle hinweg.
Altlasten behindern Omni-Channel Händler beim Kundenfokus
Von Nordstrom über Target und Macy’s bis Walmart, alle waren sie gekommen und deren CEOs haben von den „tremendous successful super agile disruptiv initiatives“ berichtet was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass das herkömmliche Geschäft nach wie vor die Agenda bestimmt und solche Unternehmen nach wie vor grosse Schwierigkeiten bekunden, ihr Geschäftsmodell komplett auf den Kunden auszurichten.
Denn auch in den USA steckt der Retail in der Transformationsfalle, aus der er nur schwer herausfinden kann. Die angekündigten Innovationen wie beispielsweise bei Macy’s die Self-Checkouts und die VR- und AR-Initiativen sind gut gemeint und sicher innovativ. Sie werden jedoch getragen vom herkömmlichen Geschäftsmodell, das auf stationäre Frequenz ausgerichtet ist und auf Flächenproduktivität basiert.
Da war nicht viel mehr zu erkennen als, dass das bestehende Konzept optimiert und angepasst wird. Mehr Evolution statt Revolution. Doch gerade letzteres wäre nötig, um den manigfaltigsten Herausforderungen begegnen zu können.
Ohne Wenn und Aber – Neue Geschäftsmodelle richten sich konsquent am Kunden aus
Wenn man sich die neuen Geschäftsmodelle und -konzepte genau angesehen hat, dann haben die einen gänzlich anderen Fokus als die traditionellen. Schon die Herangehensweise ist eine komplett andere.
In Kurzform: Analysiert werden einzelne Segmente und identfiziert werden Kundenbedürfnisse, die heute noch nicht oder nur mangelhaft adressiert werden. Als nächster Schritt gilt es, beispiellose Services zu kreieren, die das Bedürfnis überwältigend erfüllen können.
Und alles unter der Prämisse, die absolut beste Customer Experience bieten zu können. Ohne Wenn und Aber und ohne sich von Problemen jeglicher Art (Prozesse, Systeme, Organisation etc.) ablenken zu lassen. Und hier liegt oft auch der Unterschied zu den traditionellen Konzepten, die sich zu lange daran aufhalten lassen (müssen).
Traditionell obsiegt nach wie vor die Innensicht – neu wird alles der Aussen- und Kundensicht untergeordnet.
Indivueller, Persönlicher – der Kunde führt
Vorbei die Zeiten, wo sich ein Angebot identisch an alle Kunden richtet. Die heutigen Konzepte sind hochgradig individualisiert und personalisiert. Die Technologie macht’s möglich. Inspiration und Bedürfnis-Adressierung stehen ganz klar vor Warendruck und isoliertem Produktverkauf.
Der Wechsel von der Innen- zur Aussensicht manifestiert sich auch darin, dass mehrheitlich nicht mehr von B2C sondern C2B gesprochen wird; Consumer to Business. Alles ist personalisiert, jeder Kunde hat sein individuelles Angebot, Services werden massgeschneidert. Etwas, was bereits Jack Ma, Gründer und CEO von Alibaba, im Rahmen des WEF diesen Winter in Davos klar formuliert hat (Video ab 24:20).
Der mündige Kunde
Die Kundin und der Kunde weiss, was sie/er will und vorbei die Zeiten, wo man sich Bevormunden liess. Die Informations-Demokratisierung legte die Basis dazu, nun schöpfen neue Geschäftsmodelle die sich konsequente am Kunden ausrichten das Potential ab. So zum Beispiel auch im Beauty-Bereich, wo Glossier eine beeindruckende Präsentation bot.
Jochen Krisch hat bei Exciting Commerce umfassend zu einem seiner Highlights berichtet wie Bloggerin und Glossier-CEO Emily Weiss an der Shoptalk auflistete, wovon Beauty-Kundinnen genervt seien (Bevormundung, Kleinhalten, Vorgaukeln, etc.).
Emily Weiss stellte dem ihre Vision entgegen; selbstbewusste Frauen die wissen was sie wollen und im Zweifel lieber Rat und Tipps bei Gleichgesinnten holen als bei (fremden) Verkäuferinnen, die kaum in der Lage sind, sie und ihre Bedürfnisse und Wünsche einzuschätzen.
Wenn die Hersteller nicht mitmachen dann werde selber zum Hersteller (D2C)
Radikal am Kunden ausgerichtete Geschäftsmodelle stehen quer zu heutigen mehrstufigen Vertriebskonzepten, die nach wie vor getrieben sind von Kontrolle und Abschöpfung.
Die spannenden neuen Player machten denn auch klar, dass wenn die Hersteller nicht mitmachen, man selber zum Hersteller werden sollte. Im digitalen Zeitalter haben sich viele Argumente überlebt, die früher mit Marken assoziiert wurden.
Heute stehen Services, Convenience und damit verbundene Lock-In Effekte im Mittelpunkt. Und stimmen diese für den Kunden, kann es je nach Sortiment zweitrangig werden, welche Marke oder Hersteller das Produkt kreiert hat. Ein Revival der Handelsmarke oder besser gesagt, heute Servicemarke.
Bereit für das Zeitalter von Null Marge
Services stehen ohnehin im absoluten Zentrum, denn sie werden eher früher als später die Erlösquellen vieler Handelsmodelle ablösen, wenn die Margen Richtung Null tendieren.
War noch vor kurzer Zeit oft die Diskussion, wie man profitabel sein kann im Versandgeschäft, wenn man ohne Versandkosten liefern muss, verschärfen sich diese Diskussionen mittlerweile dahingehend, dass man Lösungen identfizieren muss, die wegfallenden Margenerträge durch neue Erlösquellen zu ersetzen.
Und diese sind in Services zu finden für welche Kunden (noch) bereit sind zu bezahlen, weil sie einen Wert darstellen, ihnen das Leben erleichtern, ein spezifisches Problem lösen, Convenience bedeuten und mehr. Die Zeiten der reinen Margenabschöpfung sind definitiv vorbei.
Gerade für Schweizer Händler stellt sich diese Entwicklung noch komplexer dar, weil neben den Margen-Erosionen auch die zunehmende Angleichung des Preisniveaus an das Ausland die Situation alles andere als einfacher macht.
In Las Vegas haben wir eine Vielzahl an grossartigen Präsentationen von jungen aufstrebenden und neuen Geschäftsmodellen gesehen, einige ärgerliche „corporate brainwashed“ Sales-Pitches u.a. von Amazon (viel geredet und wenig gesagt zB zu Amazon Go wo man mit herkömmlichen stationären Problemen kämpft), Google (sucht die Nähe zum stationären Handel mit den Shopping Actions nachdem Online an Amazon verloren ging) oder auch Nike.
Mein persönliches Highlight war Ocado-CEO Tim Steiner der in doch eher unzimperlichen Art und Weise den Teilnehmern (mehrheitlich US-Amerikanern) vorgeführt hat, wie viel Vorsprung UK auf die USA hat bzgl. Online-Food, was zu einem wahren Exodus an Teilnehmern aus dem Saal führte.
Zudem präsentierte Tim Steiner quantitativ den Unterschied zwischen in-Store- und Warehouse-Picking und räumte mit einigen Mythen auf, die sich immer noch rund um Online-Lebensmittel ranken.
Am Wochenende der zweite Teile unseres Rückblickes, warum der Digital Commerce gerade dank Technologien menschlicher wird.