Vergangene Woche habe ich an einem Impuls-Referat für einen Kunden zur Digitalisierung im Handel die Metapher des SBB Kursbuches aufgegriffen.
Es sind nun mal gut 10 Jahre her seit der Publikation dieses Kursbuches und heute nutzt kaum noch jemand ein solches. Geschweige weiss, wie man es überhaupt nutzt und in wenigen Jahren sind die Digital Natives in der Mehrheit und können erst recht nichts mehr damit anfangen (Nächste Generation ermöglicht Onlineanteil am Detailhandel von 50%).
Verkaufen wie anno 2006
Wenn wir uns jedoch die heutigen Ladenformate und stationären Verkaufsmodelle ansehen, so ist in den vergangenen 10 Jahren kaum ein signifikanter Fortschritt erkennbar. Zumindest ist keine Innovation erkennbar, die zum nachhaltigen Vorteil des Konsumenten ist. Und dies obwohl man Land auf und Land ab von der Neuerfindung des stationären Handles spricht.
In jüngster Vergangenheit beschränkt sich die Veränderung auf das Verkleinern von Flächen, schliessen von Filialen oder gar die geplante Umnutzung ganzer Formate (Einkaufscenter Stücki in Basel; Betreiber ziehen die Reissleine und funktionieren zwei Drittel der Ladenflächen zum Kino um).
Controller nicht Consumer treibt die stationäre «Innovation»
Die sogenannte „Innovation“ im stationären Handel scheint bislang vom Controller und nicht vom Consumer getrieben zu werden. Und genau so verhält es sich auch grossmehrheitlich bei den Omni-Channel Konzepten die von internen Prozessen, technischen Unzulänglichkeiten, kulturellen althergebrachten Zöpfen oder Kanibalisierungsangst wie gelähmt wirken.
Er scheint in der Praxis äusserst mühsam und steinig, der Weg von der Evolution im Handel rsp. vom Multi-Channel, Cross-Channel, Omni-Channel-Händler einfach wieder zum Händler, wo es nur um den Kunden geht (Multichannel ist tot – es lebe der Handel!).
Nach wie vor dominiert im Schweizer Detailhandel beinahe flächendeckend die Innensicht, und der Schritt zur Aussensicht – die Perspektive des Kunden – mag den wenigsten zu gelingen oder die wenigsten sind gewollt, dass es gelingen will. Keine Spur von leidenschaftlicher Beziehung zwischen den Touchpoints.
Nur so ist erklärbar, warum die Einzelhändler nach wie vor wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen und kaum vom Fleck kommen. Und in Prof. Gerrit Heinemanns – der in diesem Blog auch schon mit Mythen aufgeräumt hat – neuem Standardwerk Digitale Transformation oder digitale Disruption im Handel liest sich eine der Schlüsselpassagen wie folgt:
Vom Profit-Center zu einem Gesamt-Center
Zukünftig kann nicht mehr differenziert werden, ob der Umsatzimpuls stationär oder online ausgelöst wurde und warum wo der Kauf abgeschossen wird. Handel der Zukunft bedeutet, dass der Händler dort verkauft, wo der Kunde ist und sich nicht durch „starre“ Vertriebsgebiete und Provisionspolitik selbst ausbremst.
und weiter
Wenn der Kaufprozess nicht betriebswirtschaftlich sauber abgegrenzt werden kann, dann bedeutet das konsequenterweise das Ende der Profi-Center-Denkweise.
Durch den Versuch, die Umsätze verursachergerecht einzelnen Filialen und dem Online-Geschäft zuzuordnen, werden kreative Möglichkeiten eher begrenzt.
Schöner kann man’s nicht auf den Punkt bringen, den ich aus der täglichen Erfahrung blind und vorbehaltlos unterschreibe. Und auch die NZZ philosophierte gestern auf Facebook mit Verweis auf ihre aktuelle Replik zum Schweizer Detailhandel.
«Amazon didn’t kill Macy’s. Macy’s did.»
Interessant, dass quasi gleichzeitig Recode ebenfalls die Metapher von 2006 aufgegriffen hat in ihrer Casestudy zum ehemaligen Vorzeigebeispiel des US-Detailhandels Macy’s, das heute nur noch ein Schatten ihrer selbst ist.
In short, a visit to Macy’s in 2016 felt a lot like a visit to Macy’s in 2006. That’s great for nostalgia, but very bad for business. Want proof? Macy’s market cap was $24 billion at its 2006 peak. Today it’s just $9 billion.
In den vergangenen 10 Jahren hat sich beinahe alles verändert und Technologie war in der Regel der Treiber.