Accessibility Studie Schweiz zeigt wie barrierefrei Schweizer Onlineshops sind

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In der Accessibility Studie Schweiz von der Stiftung Zugang für alle wurden 41 Onlineshops auf ihre Barrierefreiheit geprüft. Die Stichprobe der Onlineshops umfasst dabei private Anbieter und öffentliche Verwaltungen als auch bundesnahe Betriebe. Bei den privaten Anbietern wurden umsatz- und transaktionsstarke Onlineshops berücksichtigt, ergänzt mit internationalen Shops und umsatzstarken Reise- und Ticketshops sowie horizontalen Plattformen. Ziel der Auswahl war, eine möglichst gute und relevante Abdeckung von in der Schweiz genutzten Onlineshops zu prüfen.

Die Prüfung erfolgte anhand der internationalen Richtlinie für Barrierefreiheit (WCAG 2.1, Konformitätsstufe AA). Dabei wurde für jeden Onlineshop mit einem standardisierten Kaufprozess gearbeitet, bei dem ein für den Onlineshop typisches Produkt gekauft wurde. Die Studie kommt zum Fazit, dass nur knapp 25 Prozent der getesteten Onlineshops für Menschen mit einer Behinderung gut bis sehr gut nutzbar sind. Heisst im Umkehrschluss, dass gut drei Viertel der Onlineshops nicht oder nicht ohne Hürden für Personen mit einer Behinderung nutzbar sind.

Ein bedenkliches Fazit, das umso gravierender sei, schreibt Bundesrat Alain Berset im Vorwort der Studie, weil

sich der Konsum bekanntlich seit Jahren rasant ins Internet verlagert; ein Wandel, den die Corona-Krise noch zusätzlich beschleunigt.

Öffentliche Verwaltungen und bundesnahe Betriebe schneiden besser ab als private Anbieter

Ein Blick auf die Gesamtrangliste zeigt, die Plätze eins bis vier werden allesamt von öffentlichen Verwaltungen oder bundesnahen Betrieben belegt. Erst den fünften Platz belegt ein privater Anbieter. Bei Betrachtung der Top 10 zeigt sich, dass sechs der zehn Plätze von öffentlichen Verwaltungen und bundesnahen Betrieben besetzt werden. Dieses Ergebnis bestätigt ein Befund, der bereits in der Accessibility-Studie 2016 festgestellt worden ist: Die Sensibilisierung für das Thema Barrierefreiheit ist auf Stufe Bund und bundesnahe Betriebe vermehrt vorhanden und umgesetzt. Die Studie äussert eine Vermutung, für das gute Abschneiden der vier Onlineshops, die sich in den Top 10 positionieren konnten. So seien die Swiss, Nespresso, Airbnb und Ikea in Ländern tätig, in welchen strengere Vorschriften bezüglich digitaler Barrierefreiheit gelten. Wobei dort Klagen oder Bussen bei Nichterfüllung drohen können. Dieser Zwang wirke sich positiv auf den barrierefreien Webauftritt in der Schweiz aus.

Rangliste barrierefreie Onlineshops Schweiz – Quelle und Grafik: Accessibility Studie Schweiz

Unklare Bedeutungszusammenhänge und fehlende Klarheit der Bedienelemente

Im Bereich der Hilfestellung bei Interaktionen haben neun von zehn Onlineshops eine klar ungenügende Note erhalten. Bei diesem Aspekt geht es darum, wie gut einem Kunden bei der Interkation mit dem Shop geholfen wird. Dazu gehört, dass der Zustand und die Verwendung von Buttons und Icons klar sind. Dies nicht nur für sehende Personen, sondern auch solche die einen Screen-Reader nutzen. Auch bei der semantischen Struktur müssen viele Onlineshops nachbessern. Damit ist die korrekte Verwendung der Titelhierarchien gemeint, aber auch dass die inhaltlichen Bedeutungszusammenhänge korrekt abgebildet werden. Die Hälfte der getesteten Onlineshops haben im Bereich Syntax/Kompatibilität nur einen von möglichen fünf Punkten erzielt. Damit ist in vielen Onlineshops die Bedeutung von Elementen und deren Bedienung nicht klar. Ein Beispiel dafür ist ein Aufklappmenu, welches nur als Link angegeben ist. Eine blinde Person erfährt so nicht, dass über dieses Menu der nachfolgende Inhalt gesteuert werden kann, womit sich die Seiten-Navigation für beeinträchtige Personen enorm erschwert.

Gute Voice-Bedienbarkeit und konsistentes Verhalten

Die Anforderungen an die Mobile Benutzbarkeit wurden über alle Onlineshops hinweg automatisch als erfüllt eingeschätzt. Für die Mobile Bedienbarkeit müssen die Shops im Hoch- und Querformat bedienbar sein. Zudem muss sichergestellt sein, dass Aktionen, welche über Gerätebewegungen wie zum Beispiel schütteln, ausgelöst werden, auch durch konventionelle Eingabemethoden bedient werden können. Beim Kriterium der Sprachsteuerung schneidet nur einer der getesteten Onlineshops ungenügend ab. Damit die Bedienung per Stimme möglich ist, müssen die visuellen Beschriftungen eines Bedienelements exakt mit den zugänglichen Beschriftungen übereinstimmen. Denn nur so kann per Stimme der korrekte Button gewählt oder eine Aktion getätigt werden. Auch im Bereich der Konsistenz / Vorhersehbarkeit wurden gute Ergebnisse erzielt. Neun von zehn Onlineshops erzielten in diesem Kriterium eine gute bis sehr gute Bewertung. Bei diesen Onlineshops bleiben die Navigation und Funktionselement innerhalb eines Webauftrittes gleich. Es ist somit vorhersehbar, wie der Onlineauftritt auf eine Interaktion reagiert.

Die Web Content Accessibility Guidelines

Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) werden durch das World Wide Web Consortium (W3C), einem internationalen Gremium,welches Internet-Standards definiert, herausgegeben. In der Schweiz wird von den bestehenden eGoverment-Standards auf die Guidelines verwiesen, womit die WCAG für Kantone, Städte und Gemeinden verbindlich wird.

Die aktuelle Version 2.1 der WCAG ist in vier Prinzipien untergliedert, denen dreizehn Richtlinien mit ein- bis mehrere Erfolgsfaktoren zugrunde liegen. Die vier Prinzipien sind die Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit sowie die Robustheit. Jeder Erfolgsfaktor weist entsprechend seiner Priorität eine Konformitätsstufe auf. Diese zeigt, wie wichtig das Einhalten des Erfolgsfaktors für eine barrierefreie Nutzung des Webauftrittes ist. Folgende Stufen werden unterschieden:

  • Stufe A: Basisanforderungen der Barrierefreiheit, höchste Priorität
  • Stufe AA: Anforderungen mittlerer Priorität
  • Stufe AAA: zusätzliche Anforderungen niedrigerer Priorität

Wichtig zum Verstehen der WCAG ist zudem, dass die Konformität jeweils nur für eine ganze Seite und einen ganzen Prozess erreicht werden kann oder eben nicht. Ein Beispiel dafür ist der Zahlungsprozess. Kann im ersten Schritt des Checkout-Prozesses die Eingabe der Adresse nicht barrierefrei erfolgen, erreicht der gesamte Prozess die Konformität nicht. Auch wenn die nachfolgenden Schritte, wie das Auswählen des Zahlungsmittels oder das Tätigen der Bestellung barrierefrei möglich sind.

Rund 1,7 Millionen Menschen in der Schweiz haben eine Behinderung. Mit der Umsetzung der WCAG wird diesen Personen der Zugang zu Online-Angeboten erleichtert oder gar erst ermöglicht.



1 KOMMENTAR

  1. Danke für den wichtigen Beitrag! Gerade im Bereich E-Commerce erstaunt es doch stark, dass dem Thema nicht mehr Gewicht beigemessen wird. Sprich nur die Anbieter die aus gesetzlichen Gründen verpflichtet sind (bundesnahe / öffentliche Hand) oder solche, die international aktiv (wo z.B. strengere Auflagen gelten) sich ernsthaft bemühen ihr digitales Angebot zugänglich zu gestalten.

    Hier liegt viel Potential brach, um Kaufabbrüche zu verhindern und Neukunden zu gewinnen. Schliesslich sind unter den 1.7 Millionen Menschen die hier z.T. bewusst ausgeschlossen werden (die Probematik ist ja fast so alt wie das Internet) auch viele Neukundinnen und Kunden. Auch ist unlängst bekannt, dass von Optimierungen der Barrierefreiheit auch Personen ohne offensichtliche Einschränkungen profitieren, die Code-Qualität und damit auch die Rankings bei Google verbessert werden.

    Was muss geschehen, damit am nächsten Digital Commerce Award der barrierefreiste Shop der Schweiz ausgezeichnet werden kann?

    [Disclaimer: Ich arbeite bei einer Agentur, die sich zum Ziel gesetzt hat an der Situation etwas zu ändern. Wir wollen und können bei dem Thema helfen.]

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