Diese Woche durfte Alexandra Scherrer im Podcast «Let’s talk marketplace» dabei sein. Der Podcast wurde von den beiden deutschen Marktplatz-Expertinnen Ingrid Lommer (Internet World) und Valerie Dichtl (Marketplace-Uni) ins Leben gerufen. Da viele Hörerinnen und Hörer aus Deutschland kommen, durften wir ein Update aus dem Nachbarland geben.
Dieser Beitrag ist in der Vorbereitung für den Podcast entstanden. Themen aus dem Podcast werden hier teilweise zusammengefasst, teilweise nochmal vertieft. Die Inhalte sind, abgestimmt auf die Podcast-Hörerinnen, vor allem an ein Nicht-Schweizer Publikum gerichtet.
Hier geht’s zum Podcast:
Onlinehandel Schweiz – eine Einordnung
Als Einordnung für einen Leser aus dem Ausland interessiert zuerst der Onlinehandelsmarkt in der Schweiz: Die Schweiz ist mit ihren 8.7 Millionen Einwohnern ein vergleichsweise viel kleinerer Markt als Deutschland. Entsprechend sind die B2C-Onlineumsätze mit Waren tiefer. Diese beliefen sich im Jahr 2022 auf CHF 14 Mrd. (zum Vergleich Deutschlands Onlineumsätze 2022: EUR 84,5 Mrd.).
In der Schweiz werden bereits 11.7 % des gesamten Schweizer Detailhandelsumsatzes von CHF 102.6 Mrd. online erwirtschaftet. Differenziert sind es bei Food & Near Food 3.6 %, bei Non-Food 17.8 %.
Diese Marktplätze dominieren in der Schweiz
Carpathia erhebt jedes Jahr die Onlineumsätze der grössten Händler und erstellt damit das Umsatz-Ranking, das auf unserer Insights-Plattform angesehen werden kann. Die Top 5 Anbieter sind alles Marktplätze: zalando.ch (führt das Ranking an mit CHF 1’750 Mio. Umsatz im 2022), digitec.ch (CHF 1’145 Mio.), galaxus.ch (CHF 1’035 Mio.), amazon.de (CHF 850 Mio.), ricardo.ch (CHF 825 Mio.; auch C2C / Auktions-Plattform).
Danach folgt mit BRACK.CH auf dem sechsten Rang ein reiner Händler, auf den Rängen acht und neun dann nochmal zwei Marktplätze: aliexpress.com und microspot.ch.
Von den insgesamt 7 Marktplätzen in den Top 10 sind wiederum 4 aus der Schweiz: digitec.ch, galaxus.ch, ricardo.ch und microspot.ch. Für unsere Analyse klammern wir ricardo.ch aus, da dies kein klassischer Onlinehandels-Marktplatz (vergleichbar mit eBay bzw. kleinanzeigen.de) ist, obwohl dort sehr wohl auch Händler ihre Produkte verkaufen.
Die Rolle von Marktplätzen in der Schweiz
Betrachtet man das ganze Umsatz-Ranking (Top 11-50), gibt es noch weitere Schweizer Marktplätze zu nennen. Dann kämen noch zusätzlich dazu: Manor (Omni-Channel-Händler) und Zur Rose (Gesundheitsprodukte, Kosmetik) und Globus (Luxus-Warenhaus; gehört jetzt dem Signa Holding/Central Group Joint Venture). Mehr über alle diese Schweizer B2C-Marktplätze Digitec Galaxus, Manor, Microspot und Globus gibt es hier zu lesen.
Marktplätze spielen also auch im Schweizer Onlinehandel eine wichtige Rolle, sind gar Wachstumstreiber. Dies sieht man etwa am Beispiel von galaxus.ch: Das Onlinewarenhaus, das seit 2016 auch Marktplatz ist, verzeichnete in den letzten Jahren ein starkes Wachstum. Dies sogar im letzten Jahr noch, als andere Schweizer Händler im Vergleich zum Vorjahr stagnierten.
Für ausländische Marken und Händler: Digitec Galaxus
Leserinnen und Leser aus dem Ausland dürften sich vor allem dafür interessieren, etwas über diejenigen Schweizer Marktplätze zu erfahren, über die sie als Marktplatz-Händler einen einfachen Zugang zum Schweizer Markt erhalten. Beim Blick auf den Umsatz sticht hier eigentlich nur einer hervor: Digitec Galaxus. Aus diesem Grund gehen wir nun vor allem auf diesen ein und die Möglichkeiten, die ausländische Händler haben.
Zuerst ein paar Facts: Digitec Galaxus ist ein Onlinehändler, der dem Schweizer Detailhandelskonzern Migros gehört. Digitec wurde 2001 gegründet mit digitec.ch, Galaxus erst 2012. Auf digitec.ch wurden seit jeher Elektronik-Produkte verkauft. Der Shop wurde ursprünglich auch von drei Gamern aufgebaut. Mit Galaxus (galaxus.ch) sollten dann auch Produkte abseits des Elektronik-Handels verkauft werden.
Heute zählt das Unternehmen Digitec Galaxus 1’850 Mitarbeitende. Die beiden Plattformen erzielten letztes Jahr zusammen einen Umsatz von mehr als CHF 2 Mrd. Beeindruckend ist, dass galaxus.ch, das viel jünger ist als sein älterer Bruder digitec.ch, mit CHF 1’035 Mio. (Carpathia Schätzung) inzwischen einen ähnlich hohen Plattform-Umsatz erzielt, wobei beim Online-Warenhaus mit dem Claim «Fast alles für fast jeden» noch weiteres Wachstumspotenzial vorhanden ist. Den Marktplatzumsatz schätzen wir auf etwa CHF 150 bis 200 Mio.; gemäss dem Marktforschungsinstitut GfK hat das Onlinewarenhaus in vielen Bereichen einen Online-Marktanteil von weit über 50 %.
Digitec Galaxus ist ein selektiver Marktplatz. Das heisst, Händler und Marken müssen sich aktiv bewerben, um angebunden werden zu können. Dabei müssen sie eine gewisse Grösse haben und technologisch entsprechend aufgestellt sein, wie auch gute Produktdaten vorweisen können. Danach profitieren sie von der grossen Reichweite des Marktplatzes (3 Mio. User kauften mindestens einmal ein im 2022) und weiteren Vorteilen.
Europäische Händler können über galaxus.ch und digitec.ch an Schweizer Kundinnen verkaufen. Von den über 400 angebundenen Partnern, sind bereits einige aus Deutschland aktiv, darunter bekannte, wie Conrad, Dyson, Decathlon oder Internetstores. Allerdings überwiegen noch immer die Schweizer Händler.
Zwei spannende Alleinstellungsmerkmale von Digitec Galaxus sind einerseits die eigene, unabhängige Redaktion. Diese schreibt über diverse Themen und kann bei Produkttests durchaus mal negativ berichten. Andererseits ist es die aktive Community, die Produktbewertungen schreibt und Nutzer-Fragen beantwortet.
In den vergangenen Jahren hat es Digitec Galaxus immer wieder geschafft, diese zwei Themen geschickt zu spielen: Eine der bekanntesten Kampagnen bestand beispielsweise daraus, teilweise gnadenlosen Nutzerbewertungen zu nehmen und diese grossflächige und ohne Korrektur oder Zensur zu veröffentlichen. Des Weiteren schafft es die Kommunikationsabteilung immer wieder, mit spannend verpackten Daten-Stories von Medien aufgenommen zu werden.
Auch neue Features sind oft medienwirksam: Ein kürzlich lanciertes ist zum Beispiel das Feature, das auf den Produktdetailseiten transparent die Retouren- und Garantiefallquote von Produkten derselben Marke in derselben Kategorie anzeigt. Ein Feature, das ebenfalls in Richtung erhöhte Transparenz geht ist die Preisentwicklungskurve, die ebenfalls auf der PDP zu finden ist.
Digitec Galaxus ist übrigens seit 2018 mit der 100%-igen Tochterfirma Galaxus Deutschland GmbH mit Sitz in Hamburg und Logistikzentrum in Krefeld (Nordrhein-Westfalen) aktiv. Damals wie noch heute mit dem selbstbewussten Ziel, einmal unter die Top 5 der Onlinehändler in Deutschland zu kommen. Inzwischen hat es galaxus.de im EHI-Umsatzranking der grössten deutschen Onlineshops auf Platz 111 in diesem Jahr geschafft, zählt seit September mehr als eine Million Kunden und verzeichnete im 2021 erstmals einen Nettoumsatz von mehr als EUR 100 Mio. In Deutschland wirbt Galaxus übrigens mit dem Claim, Deutschlands ehrlichster Marktplatz zu sein.
In diesem Jahr hat die Galaxus Deutschland GmbH ihre Expansion im EU-Raum weiter vorangetrieben: Etwas früher, noch 2021, ging der Shop in Österreich online, dieses Jahr wurde der Marktplatz in Deutschland lanciert und die Shops in Italien, Frankreich, den Niederlanden und Belgien eröffnet.
Die Rolle von ausländischen Onlineshops in der Schweiz
Amazon
Ein grosser Unterschied in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland oder Österreich ist, dass bei uns Amazon den Onlinehandel nicht so stark dominiert. Dies ist sicher darauf zurückzuführen, dass es für die Schweiz nie einen dedizierten Shop gegeben hat (Schweizerinnen kaufen bei amazon.de, .fr und .it ein) und mit Digitec Galaxus oder BRACK.CH schon früh gute Alternativen da waren. Für Schweizer ist zudem nicht das ganze Sortiment auf Amazon bestellbar. Das macht es zuweilen mühsam; insbesondere auch deshalb, weil es keinen Filter gibt «lieferbar in die Schweiz».
Obwohl Amazon nicht mit einem Länder-Shop in der Schweiz aktiv ist, kommt er mit allen drei Shops, über die Schweizerinnen bestellen, immerhin auf einen geschätzten Umsatz von rund CHF 1 Mrd. Das geht manchmal vergessen. Immer mal wieder gibt es nämlich hierzulande Schlagzeilen, dass Amazon «Ernst macht» und «in die Schweiz kommt». Zuletzt in diesem Jahr, weil Amazon einen Verkaufspartner-Event in Zürich veranstaltete, bei dem es lediglich darum ging, Marken und Händlern zu erklären, wie man über Amazon verkaufen kann.
Zalando
Auch Zalando ist schon längst in der Schweiz angekommen. 2011 kam der Fashion-Händler in die Schweiz und hat den hiesigen Modehandel aufgemischt. Inzwischen ist er mit einem geschätzten Umsatz (GMV) von CHF 1’750 Mio. der grösste Onlinehändler hierzulande sowie der grösste Modehändler. Die Schweiz ist indes auch ein sehr wichtiger Markt für Zalando.
Etwas, das man als Zalando-Schweiz-spezifisch bezeichnen könnte, sind sicher die höhere Warenkörbe: Während dieser bei Zalando overall im Schnitt etwa bei EUR 60 liegt, schätzen wir ihn für die Schweiz auf CHF 80. Zalando adressiert mit zalando.ch den Schweizer Markt auch sehr zielgruppengerecht: So erhält man am Schweizer Nationalfeiertag am ersten August etwa passende Outfits per Newsletter geschickt oder auf der Startseite werden Matura-Ball-Kleider gezeigt (in Deutschland wäre das der Abi-Ball). Auch kann mit der Schweizer Bezahllösung Twint bestellt werden.
Asiatische Onlineshops
Last but not least sind auch asiatische Plattformen in der Schweiz aktiv: Aliexpress und Wish schon länger, wobei diese in den vergangenen Jahren nicht wirklich vom Fleck kamen. Auch hier sind aktuell Shein und neu auch Temu (seit Mitte Juni) auf dem Vormarsch. Diese zwei machten in den letzten Monaten aggressiv Werbung auf Social Media, aber auch offline Plakat-Werbung (Shein am Hauptbahnhof in Zürich).
Zu guter Letzt: Eigenheiten des Markts Schweiz
- 4 Landessprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch, Rätoromanisch)
- hohe Kaufkraft
- wir haben mit den Schweizer Franken eine eigene Währung und schreiben die Preise teilweise anders, z.B. Apostroph als Tausendertrennzeichen und Punkt als Dezimaltrennzeichen
- Gewichtszoll als einziges Land
- wir haben Twint als sehr beliebte Zahlungsart
- Sprachliche Eigenheiten
- grosse Einflüsse der französischen Sprache: wir sagen Velo statt Fahrrad oder Jupe statt Rock, Trottoir statt Gehsteig usw.
- es gibt einige Helvetismen, wie etwa Rahm statt Sahne, Schraubenzieher statt Schraubendreher
- wir verwenden nie das scharfe S
- wir haben kein Widerrufsrecht im E-Commerce und Versandhandel
- sehr hohe Paketzustellrate (auch wegen dem «Milchchäschtli», in dem in der Schweiz die kleineren Pakete deponiert werden können)
Beitragsbild: Midjourney