Metaverse, NFTs, Digital Fashion – Stefan Wenzel wirbt dafür, bei den Themen rund um das Web 3 nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Aber auch nicht in das hellste Licht zu fliegen.
Gastbeitrag von Stefan Wenzel, selbständiger Berater, Speaker und Investor. Er ist seit mehr als zwei Jahrzehnten im digitalen Handel unterwegs und gehört zu den profiliertesten Köpfen der Branche. Seine Vita beinhaltet u.a. Stationen als Geschäftsführer für Unternehmen wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tailor Digital.
Der Artikel ist ursprünglich bei profashionals erschienen und wir publizieren ihn mit freundlicher Genehmigung.
Die Frage, ob virtuelle Güter ein Markt sind, ist rasch beantwortet. Dieses Jahr werden ca. 130 Mrd. US-Dollar für Abos, Services und virtuelle Produkte ausgegeben, das entspricht in etwa der Größe des kompletten deutschen Online-Handels. Der Markt für In-App-Einkäufe ist größer als die globale Musik- und Filmindustrie zusammen. Gerade heute hat Nike das virtuelle Sneaker-Start-up RTFKT akquiriert.
Dinge virtuell zu besitzen, ist wesentliches Merkmal der dritten Evolutionsstufe des Netzes. Während Teile unserer Branche noch mit digitalen Basics aus der ersten und zweiten Stufe des Netzes kämpfen (Web1 = lesen, Web2 = lesen und schreiben), ist das Web3 angekommen (Web3 = lesen, schreiben und besitzen). Und es hat Themen wie Metaverse, die nächste große Anwendungs-Plattform nach Desktop und Mobile, und NFTs im Schlepptau. Der neue Wirkungsraum ist komplex, unterschiedliche, bislang unbekannte Themen greifen ineinander, neue Nomenklaturen verwirren. Wer zum Beispiel virtuelle Einzelstücke verkaufen möchte, tut dies als NFT (Non-Fungible-Tokens = einzigartige digitale Objekte), deren Eigentümer über die Blockchain (einem dezentralen digitalen Regulationskonstrukt) eindeutig und transparent dokumentiert sind, und lässt sich über Cryptos (= virtuelle Währungen) bezahlen. Alles klar?
Gaming steht dabei als Triebfeder hinter vieler dieser Entwicklungen und ist heute schon mit weltweit mehr als drei Milliarden Nutzern über alle Altersgruppen hinweg die beliebteste Unterhaltungsform. Vor Streaming und TV.
Einige Fashion-Brands haben das früh erkannt, Balenciaga zum Beispiel verkauft virtuelle Mode für Avatare im Online-Spiel Fortnite und koppelt digitale Zwillinge an physische Produkte. Moschino verkauft virtuelle Mode im Spiel Sims, Canada Goose in Taobao Life und Louis Vuitton in League Of Legends. Das Thema bewegt sich zugleich aus der Gaming-Szene heraus. Nike eröffnet mit ‘Nikeland’ einen eigenen Themenpark im Metaverse-Spiel Roblox. Adidas geht einen Schritt weiter und kauft ein virtuelles Grundstück im Metaverse Sandbox. In diesen virtuellen Welten entstehen virtuelle Stores, virtuelle Community-Events und virtuelle Fashion-Shows. Marken verkaufen virtuelle Produkte via NFTs als Teil von physischen Launches oder Stand-alone und nutzen NFTs als Eintrittskarte für eine exklusive Community oder Events. Es entstehen völlig neue Marken und Firmen, die den Nerv des Zeitgeistes treffen, wie zum Beispiel das Pariser Start-Up RTFKT (sprich Artefakt).
Wer auf die grundlegenden Fragen “Warum genau gibt es mich? Was mache ich anders, und vor allem, was mache ich besser?” keine überzeugenden Antworten hat, hat kein Technologie‑, sondern ein Propositions-Problem.
Niemand will sich stundenlang in virtuellen Realitäten aufhalten? Fragen Sie mal die Teenager in Ihrem Umfeld. Und wie sehr neue Devices die Nutzung von Technologien beschleunigen, hat man 2007 mit der Einführung des iPhones gesehen. Man kann sich vorstellen, wie allein das Thema augmentierte Realität (AR) mit Apples anstehender, alltagstauglicher AR-Sicht-Brille in den Mainstream katapultiert werden könnte.
Eine ablehnende Haltung gegenüber Neuem liegt in unserer Natur. Wenig verwunderlich also, dass wie schon zu Beginn der ersten beiden Evolutionsstufen des Webs auch die dritte von vielen etablierten Marktteilnehmern mit Kopfschütteln und Achselzucken abgehakt wird. Und ja: wann immer neue Technologien neue Anwendungen ermöglichen, entstehen auch spekulative, nicht tragfähige Blasen. Die richtige Antwort ist weder pauschale Euphorie noch grundsätzliche Aversion. Es geht vielmehr darum, die strukturellen Änderungen hinter all diesen neuen Entwicklungen zu erkennen und deren Relevanz für den eigenen Kontext und vor dem Hintergrund der eigenen Möglichkeiten zu bewerten.
Für Hersteller und Händler ist das ein schwieriger Spagat, denn das Spektrum in der Branche reicht von COVID-induzierten digitalen Spätzündern mit Store-Fetisch bis zu voll digitalisierten Performance-Automaten. Technologien sind aber immer nur Mittel zum Zweck. Und der Zweck ist, bei Kund:innen Dopamin zu triggern. Belohnende Erlebnisse wie zum Beispiel eine beeindruckende Experience oder exzellenter Service sind nachgewiesene Dopamin-Trigger. Vor modischen Reflexen in der Business-Strategie ist zu warnen. Im leider weit verbreiteten POS- und Plattform-Einheitsbrei geht es viel mehr um etwas anderes: um wertstiftende Andersartigkeit. Wer auf die grundlegenden Fragen “Warum genau gibt es mich? Was mache ich anders, und vor allem, was mache ich besser?” keine überzeugenden Antworten hat, hat kein Technologie‑, sondern ein Propositions-Problem.
Ob und inwieweit der Wirkungsraum des Web3 Möglichkeiten zu wertstiftender Andersartigkeit bietet, muss jeder für das eigene Geschäft bewerten. Da die höchsten Kosten in der Regel aber die Opportunitätskosten sind, muss auch hier die Reihenfolge heißen: verstehen, bewerten, priorisieren. Die gute Neuigkeit: all das steht noch in den Anfängen und für die allermeisten beginnt die Lernkurve gerade. Ein guter Zeitpunkt also, sich damit zu beschäftigen.
Beitragsbild übernommen von profashionals.de.
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