Darum sind frische Lebensmittel online frischer

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Die in jüngerer Vergangenheit wohl am meisten gehörte Mär ist, dass man Lebensmittel vor dem Kauf anfassen müsse und man online wohl weniger frische Ware erhalte. Das Gegenteil ist wahr – doch einmal der Reihe nach.

Bereits in unserer Vision von 2014 des Supermarkts 2020 (das ist bereits in einem guten Jahr) legten wir dar, für was es überhaupt Emotionen, Haptik und ggf. auch den Duft beim Einkauf von Lebensmitteln benötigt. Doch das kann jeder Konsument selber nachvollziehen beim Blick in seinen physischen Einkaufswagen beim nächsten Einkauf.

In zahlreichen Gesprächen der letzten Wochen und Monate mit verschiedenen Produzenten und Händlern aus unterschiedlichen Food-Bereichen drehte sich das Thema immer wieder um Frische. Unisono die Erkenntnis, dass Lebensmittel-Geschäfte oft begehbare dezentrale Lager sind bei denen die Früchte noch nachreifen oder ein nicht ganz unerheblicher Teil der Haltbarkeit bereits beim Warten auf den Kunden im Regal verstreicht.

Kommt erschwerend hinzu, dass die während der gesamten Prozesse aufwändig aufrecht erhaltene Kühlkette nach der Kasse abbricht, wenn der Kunde die letzte Meile übernimmt und seine Ware ggf. im warmen Auto transportiert oder anderweitig länger ungekühlt aufbewahrt.

Online-Lebensmittel sind in der Regel frischer als im Laden.
Online-Lebensmittel sind in der Regel frischer als im Laden.

Online frischer – von Profis ausgesucht

Der Onlinehandel mit Lebensmitteln erlebt aktuell einen Innovationsschub. International ist das Thema ganz oben auf der Agenda und in der Schweiz ging letzte Woche mit Miacar ein neuer Player aus dem Migros-Inkubator Sparrow-Ventures an den Start (Miacar: Migros‘ Picnic-Klon als Migroswagen 2.0).

Farmy machte ebenfalls mehrfach auf sich aufmerksam mit neuen Vertriebskonzepten und mit LeShops Ex-CEO Dominique Locher an Bord. Und selbst Coop@Home lanciert in regelmässigen Abständen Neuheiten, ob Online-Metzgerei, Chäs-Hüsli und mehr.

Und doch kämpfen diese Konzepte immer noch gegen den weitverbreiteten Irrglauben, online Lebensmittel seien weniger frisch als im Laden. Warum eigentlich? Nur weil ich etwas im Laden gesehen habe heisst das doch nicht, es muss frischer sein.

Wenn sich in einer im Laden gekauften Schale Rispentomaten ein einziges faules Exemplar befindet, geht kaum jemand ins Geschäft zurück. Sollte auch nur ein einzig faules Exemplar per Online-Bestellung geliefert werden, ist gleich Feuer im Dach und der Kundendienst gefordert. Nur um ein Zitat eines Lebensmittel-Onlinehändlers widerzugeben.

Nur schon daher kann es sich kein Onliner leisten, auch nur irgendwie beeinträchtigte Ware zu liefern. Kommt hinzu, dass im Laden gerade das Gemüse von Dutzenden von Händen anderer Konsumenten bereits geprüft, gedrückt wurde ohne Einhaltung von Hygienevorschriften.

Mich ekelt oft nur schon der Gedanke an diese Situationen derart, dass ich mir überlege, überhaupt noch Gemüse im Laden zu kaufen. Dann lasse ich mir Früchte und Gemüse lieber von Profis prüfen und aussuchen unter Beachtung aller Vorschriften und unter Einhaltung der Kühlkette, und zwar bis vor meine Haustüre.

Wer meint, er müsse Lebensmittel vor dem Kauf fühlen glaubt auch, die Erde sei eine Scheibe

Der aktuelle Artikel von Forbes „Needing To Touch And Feel Groceries Is Like Believing The Earth Is Flat“ bringt es genau auf den Punkt und deckt sich mit den Erfahrungen bei Kundenmandaten und Gesprächen mit Lebensmittel-Händlern und -Produzenten.

Es gibt keinen Grund, Lebensmittel spüren und fühlen zu müssen vor dem Kauf. Bahn frei für den Online-Handel mit Food!

The “touch and feel” argument will come crashing down in grocery for the same reasons it has crashed down in nearly every category that has gone before it.

Vor 10 Jahren haben viele behauptet, man müsse Schuhe vor dem Kauf unbedingt spüren und probieren. Heute feiert Zalando sein 10-jähriges Jubiläum – herzlichen Glückwunsch –  und ist in der Schweiz innert 6 Jahren zum grössten Modehändler avanciert, grösser als H&M!

Ein weiteres Beispiel gefällig? Vor 5 Jahren behaupteten viele, Möbel kann man nicht online kaufen. Heute weist Ikea die höchsten Wachstumsraten online auf, Möbel Pfister gibt digital Gas und kooperiert mit Galaxus und Beliani, Goodform, Home24, Connox, Westwing und andere sind feste Grössen in der Branche.

Und frische Lebensmittel wollt Ihr heute immer noch anfassen, drücken, an ihnen riechen? C’mon!

Es geht im Grunde doch gar nicht um die Lebensmittel – es geht wie bei den Beispielen aus Mode und Möbel um Vertrauen. Und das scheint bei Lebensmitteln noch nicht ganz so gefestigt wie bei anderen Branchen. Lediglich eine Frage der Zeit.

Der Artikel von Forbes führt diesbezüglich weiter aus:

This fear is the same issue inherent within the grocery debate. People don’t want to touch and feel avocados for the act of touching and feeling avocados.

They want to touch and feel their produce because they do not trust that other people can do the job as well as they can or that delivery services can keep their precious kumquats fresh while deliveries wait for long periods of time on their porches. This distrust is the real reason people cling to the “touch and feel” argument.

An diesem Vertrauen arbeiten viele Onlinehändler auf verschiedenen Ebenen. Erfahrungsberichte, Ratings und mehr helfen hierbei.

Frische im Laden ist nie so frisch wie online

Denn eines ist klar:

Buying Groceries Online Is Actually Fresher And The Picking Is Done By Real Experts!

Und die Experten bei den Onlinehändlern werden unterstützt durch Technologie, Algorithmen und mehr und wissen genau(er), wann welches Produkt frisch und reif für den Tisch ist.

Oder wann waren Sie das letzte Mal in einem Michelin-Restaurant, wollten vorab an den zu verarbeiteten Produkten riechen und dem Sterne-Koch vorschreiben, welche Zutaten er verwenden soll?

It doesn’t happen because it is insane.

What also is insane is that going to the grocery store to buy produce is actually the LEAST fresh way of doing it.

Supermarkets cater to people, not products. . . precious days of freshness end up getting lost.

Denken Sie daran, dass die Verantwortung für die Frische des Produktes beim Online-Lebensmittelhändler erst an Ihrer Türe endet und nicht bereits an der Ladenkasse.

Und denken Sie auch daran, wenn Sie das nächste Mal eine Aprikose oder Avocado drücken, wie wohl einige vor Ihnen schon.



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Thomas Lang, Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker, unterstützte Unternehmen bei der Strategieentwicklung von digitalen Vertriebsmodellen, beim Aufbau von digitalen Geschäftsmodellen, bei Expertisen rund um Onlinehandel und der operativen Umsetzung im Bereich Organisation, Prozesse, Innovation, Change-Management und Unternehmenskultur. Er ist Gründer der Carpathia AG, der unabhängigen und neutralen Unternehmensberatung für Digital-Business, E-Commerce und Digitale Transformation im Handel. Zudem ist er Autor von zahlreichen Fachartikeln und -studien, Dozent für Online-Vertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Keynote-Speaker zu E-Commerce und Digital Transformation im Handel. Er ist Initiator und Organisator der Connect - Digital Commerce Conference sowie des Digital Commerce Awards. Der von ihm gegründete Carpathia Digital-Business-Blog (https://blog.carpathia.ch) zählt im deutsch-sprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel. Medien bezeichnen ihn als digitalen Vordenker, zitieren und interviewen ihn regelmässig . Am Mittwoch 17. November hat Thomas Lang für immer die Augen geschlossen.

3 KOMMENTARE

  1. Im Kern stimme ich Ihnen durchaus zu, aber der Artikel vereinfacht das Ganze doch etwas zu stark. Meines Erachtens hat Zalando nicht bewiesen, dass Schuhe nicht probiert werden müssen vor dem Kauf. Die 50%-Retourenquote zeichnet da ein etwas anderes Bild. Auch das Beispiel mit den Avocados greift etwas zu kurz. Ich persönlich drücke die Avocados nicht, weil ich Coop nicht zutraue die Reife beurteilen zu können, sondern weil ich abschätzen möchte, ob ich diese am selben Tag essen kann oder ob sie noch einige Tage reifen muss. Da der Detailhändler nicht wissen kann, ob ich als Kunde die Avocado nun am selben Tag oder erst in 5 Tagen verzehren wil, kann er mir auch nicht die „passende“ Avocado liefern (es sei denn man kann das beim Einkauf noch angeben). Bei den Bananen sehe ich ein ähnliches Problem, gewisse Leute essen diese am liebsten wenn sie noch leicht grün sind, andere warten lieber bis sie bereits etwas braun sind. Das Problem sehe ich somit ebenfalls nicht darin, dass der Kunde die Ware online nicht anfassen kann, sondern dass er nicht mitteilen kann wann er die Ware konsumieren will und wie seine Präferenzen bezüglich der Reife des Produkts sind…

    • Also Zalando hat sehr wohl bewiesen, dass Schuhe vor dem Kauf probiert werden müssen. Das ist nach wie vor der Fall. Doch niemand behauptet, dies müsse im Laden erfolgn. So geschieht es zu Hause – als Teil des Geschäftsmodels – was Retouren um die 50% zur Folge hat.

  2. […] So richtig rund läuft es dennoch nicht. Einerseits liegt das wohl an den Konsumentenbedürfnissen. In einer aktuellen Umfrage des Consulting-Unternehmens Oliver Wyman wurden 1000 deutsche Konsumenten befragt: 44 Prozent davon erklärten, dass sie «mangelndes Vertrauen in die Produktqualität von einem Online-Kauf von Frischwaren» abgehalten hat [3]. Insbesondere bei Frischeprodukten wie Fleisch, Fisch oder grünem Salat meiden die Kunden den Online-Kanal. Warum das eigentlich ein Irrtum ist, erläutert Thomas Lang von Carpathia ausführlich und plausibel in seinem Blogbeitrag „Darum sind frische Lebensmittel online frischer“. […]

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